Kolonialer Blick

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Als kolonialen Blick (auch: kolonialistischer Blick; im engl. Sprachraum auch imperial gaze oder colonial gaze) bezeichnet man eine hegemoniale Repräsentationsordnung, die auf kolonialen Kennzeichnungen beruht und die Konstruktion von Selbst- und Fremdwahrnehmungen impliziert. Geprägt von gesellschaftlichen und historischen Zusammenhängen, liegen der Repräsentation des ethnischen Anderen koloniale Gewohnheiten und Gedanken zugrunde. Der Begriff des kolonialen Blicks umfasst Sichtweisen, Darstellungen und Textpraktiken des Kolonisators, durch die der Kolonisierte imaginativ als der kulturell Andere konstruiert wird. Der koloniale Blick spiegelt sich in der Vielfalt der Textformen wider, in denen der Westen Wissen über nicht-westliche Kulturen, insbesondere solche unter kolonialer Kontrolle, produziert.

Ein Beispiel, in dem sich der koloniale Blick findet, sind etwa Kolonialfotografien. Der britische Literatur- und Kulturwissenschaftler Antony Easthope beschreibt „die ebenso tief verwurzelten, wie verborgenen Annahmen, die solchen Bildern als visuellem Text zugrunde liegen: daß der weiße Herr (bzw. die Herrin) ein Individuum ist und als solches beobachtend dasitzt, während die fremde Menschenmasse sich als kollektives Spektakel, als Objekt diesem Subjekt präsentiert. Repräsentationen dieser Art sind ihrem Wesen nach und unreflektiert rassistisch, denn sie gehorchen dem kolonialistischen Blick.“[1] Der koloniale Blick spielte ferner eine wichtige Rolle bei der Definition der Geschlechterbeziehungen, etwa indem er die kolonisierten Frauen als Lustobjekte auswies. Rassistische Denkgewohnheiten werden durch den kolonialen Blick erzeugt und durchgesetzt. Frantz Fanon verweist in diesem Zusammenhang auf das Trauma, als Objekt des weißen Blicks identifiziert zu werden.

In der Konstruktion von Selbst- und Fremdwahrnehmung sind Prozesse des Othering und Stereotypisierungen verwoben. Kolonialfotografien sind sowohl Produkt als auch Repräsentation sozialer Blickverhältnisse und stellen demnach einen wesentlichen Bestandteil der Reproduktion sozialhistorischer Machtasymmetrien dar. Neben Kolonialfotografien trugen auch Medien der Kolonialzeit, wie insbesondere die damalige Literatur (mit Autoren wie etwa Karl May) sowie die Postkartenindustrie, zur Verankerung des kolonialen Blicks bei.

Der koloniale Blick ist im Kontext der (Post)colonial Studies, der Visuellen Kultur und der Kritischen Weißseinsforschung zu verorten.

Englischer Sprachraum[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die im englischen Sprachraum am häufigsten synonym verwendeten Begrifflichkeiten sind der imperial gaze und der colonial gaze, wobei die genauen Definitionen je nach Kontext leicht variieren können.

Imperial gaze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Stereotypisierung von Josephine Baker

E. Ann Kaplan führte das postkoloniale Konzept des imperial gaze ein, demzufolge privilegierte Beobachtende eigene Wertvorstellungen heranziehen, um die von ihnen Beobachteten zu definieren. Sie beschreibt ihn als „eine Blickstruktur, die nicht versteht, dass, wie Edward Said es ausdrückt, nicht-amerikanische Völker integrale Kulturen und Leben haben, die nach ihrer eigenen, wenn auch anderen Logik funktionieren.“[2]

Angelehnt an Laura Mulveys Konzept des male gaze, verortet Kaplan den objektivierenden imperial gaze insbesondere in Hollywooddarstellungen, die unbewusst koloniale Vorstellungen reflektierten oder verkörperten. Kaplan schreibt: „Der imperiale Blick spiegelt die Annahme wider, dass das weiße westliche Subjekt zentral ist, so wie der männliche Blick die Zentralität des männlichen Subjekts annimmt.“[3]

Colonial gaze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Den colonial gaze definiert das Online-Wörterbuch des IGI Global als:

  1. Die Art und Weise, wie die koloniale Agenda versucht, die Macht zu erhalten und zu legitimieren, indem sie die kolonialen Realitäten bestimmt, einschließlich der Entmenschlichung der kolonialen Subjekte und der fortwährenden Trennung von Uns (Kolonisatoren, zivilisiert) und den Anderen (Kolonisierte, Wilde).
  2. Die Art und Weise, wie der Westen, durch eine entmenschlichende Darstellung von nicht-westlichen Ländern und Menschen, natürliche und menschliche Ressourcen kontrolliert und ausbeutet, indem er eine imaginäre Trennung zwischen den Kolonisatoren/Zivilisierten und den Anderen, kolonisierten/wilden Menschen schafft und aufrechterhält.[4]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Antony Easthope: Der kolonialistische Blick. Medien gegen den Strich lesen. Globalkolorit Multikulturalismus und Populärkultur. Hrsg. Mark Terkessidis and Ruth Mayer, 1998. ISBN 3-85445-152-0
  • Elizabeth Ann Kaplan: Looking for the other. New York & London: Routledge, 1997. ISBN 0-415-91017-X
  • Frantz Fanon: Schwarze Haut, weiße Masken. Turia + Kant: Wien, 2013. ISBN 978-3-85132-676-5
  • Juliane Strohschein: weiße wahr-nehmungen: der koloniale blick, weißsein und fotografie, Magisterarbeit. Diplomica Verlag, 2014, als pdf auf dem edoc-Server der Humboldt-Universität.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Antony Easthope: Der kolonialistische Blick. Medien gegen den Strich lesen. In: Mark Terkessidis, Ruth Mayer (Hrsg.): Globalkolorit Multikulturalismus und Populärkultur. 1998, S. 195 (Übers. d. Verf.).
  2. Elizabeth Ann Kaplan: Looking for the Other. Feminism, Film, and the Imperial gaze. Routledge, New York & London 1997, S. 78 (Übers. d. Verf.).
  3. Elizabeth Ann Kaplan: Looking for the Other. Feminism, Film, and the Imperial gaze. Routledge, New York & London 1997, S. 78 (Übers. d. Verf.).
  4. What is Colonial Gaze | IGI Global. Abgerufen am 15. März 2022 (Übers. d. Verf.).