Benutzer:Edith Wahr/TT

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The Kraken, deutsch Der Krake, ist ein Gedicht des englischen Dichters Alfred Tennyson (1809–1892), erstmals erschienen 1830 in seinen Poems, Chiefly Lyrical.

Text[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Below the thunders of the upper deep;
Far far beneath in the abysmal sea,
His ancient, dreamless, uninvaded sleep
The Kraken sleepeth: faintest sunlights flee
About his shadowy sides; above him swell
Huge sponges of millennial growth and height;
And far away into the sickly light,
From many a wondrous grot and secret cell
Unnumber'd and enormous polypi
Winnow with giant arms the slumbering green.
There hath he lain for ages, and will lie
Battening upon huge seaworms in his sleep,
Until the latter fire shall heat the deep;
Then once by man and angels to be seen,
In roaring he shall rise and on the surface die.“

Form[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Gedicht lässt sich als ein aus den Fugen geratenes Sonett beschreiben: Es zählt 15 statt der 14 üblichen Verse, und folgt nach den halbwegs regelkonformen ersten beiden Quartetten einem zunehmend aberranten Reimschema:

abab cddc efg aaf g

Anders als etwa Wordsworth empfand Tennyson die klassischen lyrischen Formen als beengend und übte in Gedichten wie seiner Ode I Dare Not Write An Ode (1827) schon früh einen freieren, spielerischen Umgang mit metrischen und stilistischen Vorgaben. In den Poems, Chiefly Lyrical von 1830 finden sich zwar auch einige formal tadellose Sonette, doch 50 Jahre später gab Tennyson, nunmehr der berühmteste Dichter des Landes, zu erkennen, was er tatsächlich von dieser Gedichtform hielt: „I hate the perfect sonnet with a perfect hatred.“[1] Zumindest im Falle von The Kraken verstärkt das unkonventionelle Versmaß aber durchaus die Einheit von Form und Inhalt: Der metrische Kollaps ereignet sich vor allem in den Zeilen, die die Apokalypse zum Thema haben, also das Ende der alten kosmischen Ordnung und den Anbruch eines neuen göttlichen Zeitalters, in dem mutmaßlich auch die Gesetze der Verslehre neu geschrieben werden.[2] Ins Auge fällt vor allem der überzählige und ungereimte (verwaiste) Schlussvers, der als einziger kein iambischer Fünfheber, sondern ein Sechsheber ist, genauer gesagt ein Alexandriner.[3]

Die beiden ersten, fast tautologischen Verse stellen einen synonymen Parallelismus dar, wie er vor allem aus den poetischen Texten des Alten Testaments (und deren Übersetzung in der King-James-Bibel) bekannt ist, und etablieren ein auffälliges syntaktisches Muster: Präpositionalphrasen (And far away into the sickly light, From many a wondrous grot) oder adverbiale Ortsbestimmungen (there, above him) gehen den Aussagesätzen zumeist voran und verleihen der geschilderten Szene eine statische Qualität, ganz als würde ein Gemälde beschrieben.[4] Die Monotonie der Unterwasserwelt unterstreichen Assonanzen wie in see / flee / green / seen, Tautologien wie (his) sleep / The Kraken sleepeth, am sinnfälligsten aber die Wiederholung ausgerechnet des ersten Reimpaars deep / sleep in den Versen 12-13.[5]

Quellen, Themen und Motive[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seemannsgarn[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seeungeheuer des Nordmeers auf der Carta Marina von Olaus Magnus (1539)

The Kraken ist trotz seiner Kürze ein ausgesprochen vieldeutiges Werk, in dem mythische, christliche und naturwissenschaftliche Motive und Begrifflichkeiten nebeneinander bestehen. In der deutschen Übersetzung tritt diese grundlegende Ambivalenz schon im Titel zutage, da „Kraken“ im Deutschen heute zwei Bedeutungen hat. Der heute dominante Wortsinn „Achtarmiger Tintenfisch, Oktopus“ ist erst seit den Arbeiten des Naturforschers Lorenz Oken (1779–1851) geläufig, im Englischen ist er unbekannt. Hier wird das Wort nur in seiner ursprünglichen Bedeutung gebraucht, nämlich als Bezeichnung eines sagenhaften Seeungeheuers, das im Nordmeer sein Unwesen treiben soll.

Mit Kraken ist bei Tennyson mithin zunächst ausschließlich das Fabelwesen gemeint. In einer knappen Anmerkung zum Gedicht verwies er 1872 auf die Beschreibung, die der norwegische Bischofs Erik Pontoppidan (1698–1764) davon lieferte. Pontoppidan zufolge erreicht der Kraken eine Länge von mehr als einer Meile, so dass mancher Kapitän ihn schon für eine Insel gehalten und so verhängnisvollerweise versucht habe, an ihm zu ankern. Taucht es ab, verursacht er gewaltige Meeresstrudel, in dem schon so manches Schiff versunken ist, andere wurden von seinen riesigen Tentakeln umklammert und in die Tiefe gezogen. Pontoppidans Darstellung war Tennyson wohl aus knappen Zusammenfassungen in der Biographie Universelle und der English Encyclopaedia bekannt. Weitere wahrscheinliche Quellen sind die Beschreibungen des Kraken in Thomas Crofton Crokers Fairy Legends and Traditions of the South of Ireland (1825–1827) und in Walter Scotts The Pirate (1821).[6]

Wie Scott, Croker sowie dessen deutsche Übersetzer, die Gebrüder Grimm, schätzte Tennyson Seemannsgarn, Märchen und andere Sagenstoffe ob ihres ästhetischen Werts als „Volksdichtung“, und wie Scott griff er in seiner Kunstdichtung selbst häufig volkstümliche Sagenstoffe auf, so finden sich etwa in den Poems, Chiefly Lyrical Bearbeitungen der Artussage (The Lady of Shalott) und von Dornröschen (Sleeping Beauty). Thematisch steht The Kraken in diesem Band scheinbar den märchenhaften Gedichten The Sea-Fairies, The Merman und The Mermaid am nächsten, die Meermänner und Meerjungfrauen behandeln. Mit diesen ebenfalls aquatisch lebenden Geschöpfen hat Tennysons träger und bewusstlos vor sich hin dämmernder Krake letztlich aber ebensowenig gemein wie mit dem bei Pontoppidan oder auch Scott beschriebenen Seeungeheuer. Zwar stimmen die ersten Zeilen (Below the thunders of the upper deep / Far far beneath ...), die an die Eröffnungsfprmel Once upon a time, in a land far, far away (entspricht deutsch „Es war einmal …“) denken lassen, auf ein Märchen ein, doch wird diese Erwartung letztlich nicht erfüllt.

Wissenschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Illustration aus der Erstausgabe von Vernes 20.000 Meilen unter dem Meer (1870)

Im weiteren Verlauf des Gedichts ist die Sprache zunehmend mit ganz und gar nicht volkstümlichen Gräzismen und Latinismen (abysmal, millenial) durchsetzt und hebt mit dem reichlich unpoetischen Wort polypi zwischenzeitlich in ein explizit wissenschaftliches Register ab. Alles andere als märchenhaft sind auch die „Bewohner“ der Unterwasserwelt; neben Polypen sind hier nur Seegras, Schwämme und Würmer zu beobachten, aber keine anderweltlichen Wesen wie Meerjungfrauen oder dergleichen. Die Beschränkung auf natürliche Phänomene ist eine folgerichtige Konsequenz der wissenschaftlichen Weltsicht und der „Entzauberung der Welt“,wirft aber die Frage auf, um was für ein Wesen es sich bei Tennysons Kraken handelt, wenn nicht um ein Seeungeheuer. Auffälligerweise beschreibt das Gedicht ausschließlich die Umgebung des Kraken, nie aber dessen eigene Gestalt; die wenigen Sonnenstrahlen, die die Tiefe erreichen, erhellen ihn nicht, sondern „fliehen“ geradezu von ihm fort. Nicht nur angesichts der naturalistischen Schilderungen der Meeresfauna ringsum liegt es nahe, den Kraken ebenfalls als ein gewöhnliches Tier zu deuten, namentlich als Tintenfisch. Seit dem 18. Jahrhundert wurde unter Naturwissenschaftlern vielfach die Theorie diskutiert, dass der Aberglaube vom Kraken einen wahren Kern berge und es sich bei diesem vermeintlichen Fabeltier um riesenhafte Kopffüßer (wie den erst 1857 erstbeschriebenen Riesenkalmar) handeln könnte, zumal Seemänner, insbesonder Walfänger, immer wieder Sichtungen oder gar Angriffe solcher Tiere behaupteten. Auf diese These geht auch die Übertragung des Namens auf den Oktopus durch Lorenz Oken und damit seine heutige Bedeutung im Deutschen zurück. Tennyson könnte insbesondere die beiden ausführlichen Artikel gekannt haben, die der Zoologe James Wilson 1818 im Blackwood's Edinburgh Magazine zu dieser Frage veröffentlichte. Diese Erklärungsversuche haben auch in zwei der bekanntesten literarischen Werke des 19. Jahrhunderts niedergeschlagen, zum einen in Herman Melvilles Moby-Dick (1851, hier insbesondere im Kapitel 59, ‚The Squid‘) und vor allem in Jules Vernes 20.000 Meilen unter dem Meer (1869-1870). Tennysons Gedicht dürfte dabei sowohl Melville als auch Verne bekannt gewesen sein, auch wenn sich ein direkter Einfluss kaum nachweisen lässt.

Gottstehunsbei[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Schlusspassage weicht das aquaristische Stilleben unvermittelt der Schilderung des Weltuntergangs, des „letzten Feuers“. In diesen drei Zeilen verbergen sich einige Bilder aus den Endzeitvisionen der Johannesoffenbarung, plausibel anschließen lassen sich insbesondere Offb 8,8-9 ELB:

„Und der zweite Engel posaunte: Und etwas wie ein großer feuerflammender Berg wurde ins Meer geworfen; und der dritte Teil des Meeres wurde zu Blut. Und es starb der dritte Teil der Geschöpfe im Meer, die Leben hatten, und der dritte Teil der Schiffe wurde zerstört.“

sowie Offb 13,1 ELB:

„Und ich sah aus dem Meer ein Tier aufsteigen, das zehn Hörner und sieben Köpfe hatte, und auf seinen Hörnern zehn Diademe, und auf seinen Köpfen Namen der Lästerung.“

Richard Maxwell verweist zudem auf Offb 17,8 ELB:

„Das Tier, das du gesehen hast, war und ist nicht und wird aus dem Abgrund heraufsteigen und geht ins Verderben; und die Bewohner der Erde, deren Namen nicht im Buch des Lebens geschrieben sind von Grundlegung der Welt an, werden sich wundern, wenn sie das Tier sehen, dass es war und nicht ist und da sein wird.“

Übertragungen ins Deutsche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Der Krake. Deutsch von Ulla de Herrera, nach der spanischen Übersetzung von Jorge Luis Borges. In: Jorge Luis Borges: Einhorn, Sphinx und Salamander: Ein Handbuch der phantastischen Zoologie. Hanser, München 1964.
  • Der Krake. Deutsch von Werner von Koppenfels. In: Werner von Koppenfels und Manfred Pfister (Hrsg): Englische und amerikanische Dichtung, Band 2: Von Dryden bis Tennyson. C. H. Beck, München 2000, ISBN 3406464580, S. 392.

Sekundärliteratur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Isobel Armstrong: Victorian Poetry: Poetry, Poets and Politics. Routledge, London und New York 1993, ISBN 9780203193280, S. 50f.
  • Richard Maxwell: Unnumbered Polypi. In: Victorian Poetry 47:1, 2009, S. 7-23.
  • James Donald Welch: Tennyson's Landscapes of Time and a Reading of "The Kraken". In: Victorian Poetry 14:3, 1976, S. 197-204.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Zitiert in: Christopher Decker: Tennyson's Limitations, in: Robert Douglas-Fairhurst und Seamus Perry: Tennyson Among the Poets: Bicentenary Essays. Oxford University Press, New York 2009, S. 66
  2. Robert Pattison: Tennyson and Tradition. Harvard University Press, Cambridge, Mass. 1979, S. 41-42.
  3. Christopher Ricks: Annotationen The Kraken in: Alfred Lord Tennyson: Selected Poetry. Penguin, London und New York 2008, S. 303.
  4. James Donald Welch: Tennyson's Landscapes of Time and a Reading of "The Kraken", S. 201–202.
  5. Christopher Ricks: Tennyson. 2. Auflage. University of California Press, Berkleley CA 1989, S. 41.
  6. Herausgebernotiz von Christopher Ricks in: Tennyson: Selected Edition. 2., revidierte Ausgabe. Pearson Longmen, Harlow und New York 2007, S. 17.