Benutzer:Blidfried/Artikelentwurf3

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Das Phänomen des Ordals oder Gottesurteils, welches in mittelalterlichen Quellen häufig mit dem Terminus iudicium dei benannt wird, bezeichnet die praktische Anwendung einer Divination im Zuge eines Rechtsstreits, bei der das Urteil einer Gottheit oder anderweitigen transzendentalen Macht zur Rechtsfindung herangezogen wird, um Schuld oder Unschuld eines Beschuldigten oder die Rechtmäßigkeit einer Prätention zu bestimmen, wenn andere Methoden der Rechtsfindung scheitern oder keine Anwendung finden können. Es handelt sich dabei also um die bewusste Herbeiführung eines übernatürlichen Zeichens in der Forme eines rückwirkenden Orakels, bei dem eine extramundane Macht als höchster Richter, Hüter und Gewährsmann der Gerechtigkeit und des Rechts fungiert. Die Praxis des Gottesurteils ist in vielfältigen Formen bereits seit dem Altertum bezeugt, erlangte aber erst im europäischen Früh- und Hochmittelalter besondere Bedeutung in der Rechtsfindung. Ab dem 13. Jhd. war das Phänomen in Europa im Niedergang begriffen und wurde zunehmend durch andere, rationalere Formen der Rechtsfindung, wie die Folter ersetzt, wobei es aber auch noch im 19. Jahrhundert gelegentlich zur Anwendung klassischer Ordalien kam. Der Anstoß dafür resultierte aus einer stetig wachsenden Rezeption des antiken, römischen Rechts sowie aus der Einsicht, dass auch häufige Unschuldige ein Ordal nicht bestehen, sowie in dem Verdacht, dass die Durchführung eines Gottesurteils in einem Bereich der Versuchung Gottes angesiedelt sein könnte. Heute finden sich Ordalien nur noch in einigen traditionellen Gesellschaften, etwa bei den Eingeborenen Schwarzafrikas oder den Beduinen des Negev. Im Folgenden soll der Versuch einer Gesamtdarstellung des Phänomens des Gottesurteils in der abendländischen Kulturgeschichte erfolgen.

Religions- und kulturgeschichtliche Hintergründe

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Unter dem Begriff Ordal, von angels. ordāl (Gottesurteil), wiederum dem fries./fränk. ordēl (Urteil, nicht spezif. Gottesurt.) entlehnt, lateinis. ordalium, latein. iudicium dei divinium, Dei iudicium oder examen, [Hübner: Gottesurteil, A, RGA 2, 1913-1915, S. 320 und Holzhauer: Ordal, RGA 22, 2003, S. 147. ] versteht man eine gleichermaßen die Forensik wie den Bereich des Sakralen berührende Handlung, die in der Form eines gewissermaßen auf die Vergangenheit ausgerichteten Orakels, im Kontext eines Rechtsstreits, Schuld oder Unschuld eines Beschuldigten, oder der Legitimität oder Illegitimität eines Anspruches offenbaren soll, wenn sich andere, weniger auf das Übernatürliche ausgerichtete Methoden versagen, oder keine Möglichkeit besteht, diese anzuwenden. Gelegentlich dient ein Ordal auch nur zur Bekräftigung eines Standpunktes, ohne dass ihm ein Rechtsstreit zugrunde liegt. Im weitesten Sinne fällt das Phänomen in die Sphäre der Divination, also der bewussten Aufnahme des Göttlichen in menschliche Entscheidungen. Eine Gottheit wird als Zeuge und höchster, unfehlbarer Richter und Garant der Gerechtigkeit und des Rechts angerufen, wobei dem Urteil eine definitive, unumstößliche Dimension erlangt. Gott wirkt dabei entweder durch seinen Beistand oder durch die Elemente. [Becker: Ordal, LMA Teilbd. 6, 1993, Sp. 1429.] Vom Gottesgericht – das in mittelalterlichen Quellen ebenfalls als iudicium dei bezeichnet wird und eines rechtlichen Rahmens nicht zwingend bedarf – unterscheiden sich Ordalien dadurch, dass sie im Regelfall lediglich die Schuld des Angeklagten offenbaren, die Vollstreckung des Urteils aber dem menschlichen Gericht überlassen wird, wohingegen beim Gottesgericht eine direkte Bestrafung des Täters durch extramundane Kräfte erfolgt. Gleichwohl kann aber, je nach Form des Ordals, auch bei einem Gottesurteil, bei dem die Bestrafung des Übeltäters in die Zuständigkeit eines weltlichen Vollstreckers liegt, eine erhebliche körperliche Schädigung des Angeklagten erfolgen, oder aber das Gottesgericht Teil des Ordals sein. Die Grenzen sind also mitunter fließend. Da das Urteil direkt erbeten ist, steht es innerhalb der Kategorie der Divinationen dem Orakel näher als dem Omen, welches sich ohne explizite Anrufung der Gottheit offenbart. Von einer bloßen Wundererscheinung unterscheiden sich Ordalien durch ihren forensischen oder rechtlichen Rahmen, der abhängig vom jeweiligen Ordal aber zuweilen sehr gering ausfallen kann. Das Gottesurteil offenbart außerdem im Regelfall lediglich die Strafwürdigkeit des Angeklagten, das Urteil der übernatürlichen Kraft und muss sich damit nicht zwingend auf die vorliegende Strafsache beziehen, zu deren Klärung das Ordal einberufen worden ist. Das Ordal prüft also in gewisser Weise die “Qualität” des Beklagten, welche man sich durch eine etwaig begangene Missetat als vermindert vorstellt. [Holzhauer: Ordal, RGA 22, 2003, S. 147f.]

Ein zentrales Merkmal von Gottesurteilen ist der Umstand, dass sie stets nach einer festen überlieferten Form, bzw. Art erfolgen. Für den Alten Orient ist hier mit wenigen Ausnahmen – in Mari gab es etwa ein Trinkordal, bei dem beim Stadttor aufgelesenem Staub mit Wasser vermischt wurde [Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 378.] – lediglich das Flussordal zu nennen, [Faist: Theologische Katastrophe, 2014, S. 41.] für das europäische Mittelalter Kesselfang, Kaltwasserprobe, Feuerprobe, Eisenprobe, Bahrprobe, Zweikampf und Kreuzprobe, sowie einige weiter Ordalsarten, welche im weiteren Verlauf dieses Artikels eine nähere Untersuchung erfahren. Grob lässt sich hier zwischen ein- und zweiseitigen Ordalien unterscheiden. Wird die Handlung lediglich von einer Partei vollzogen, so bezeichnet man das Ordal als einseitig, als zweiseitig sind hingegen all diejenigen Gottesurteile aufzufassen, bei denen die Handlung von beiden im Konflikt liegenden Parteien vollzogen wird. [Zur Definition siehe insb. Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 366f.] Im weitesten Sinne können auch „Mutproben u. Glücksspiele […] als abgesunkene, ‚harmlose‘ Verwandte“ [Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 367] des Gottesurteils gelten, gleiches gilt auch für die Wette [Riße: Gottesurteil, I, LThK 4, Freiburg 1995, Sp. 941f.]

Vorform und Umfeld

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Sowohl in antiken als auch in mittelalterlichen Texten wird die Gottheit, die für den gerechten Verlauf des Ordals bürgt, als aktiv handelnde Instanz betrachtet. Gleichwohl scheinen der Vorstellung, dass die Gottheit der Verurteilung des Unschuldigen oder einen anderen Rechtsbruch nicht duldet und durch ein Zeichen in das Verfahren eingreift, vielfach archaisch-magische Vorstellungen von der Unverletzbarkeit einer gerechten Person zugrunde zu liegen, was bei bestimmten Formen des Ordals besonders deutlich zu Tage tritt. [Riße: Gottesurteil, I, LThK 4, Freiburg 1995, Sp. 941f.] Gemäß dieser Vorstellung verleiht das Gottesurteil dem Unschuldigen eine „magische Überlegenheit“ [Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 367.] über den Schuldigen, weckt also gewissermaßen magische, schützende Kräfte in diesem, was dann anhand der Elemente geprüft werden kann. Dies äußere sich bei der Kaltwasserprobe durch die Aufnahme in das Reine Element des Wassers, wohingegen der Schuldige abgestoßen wird. Bei der Feuerprobe erleided der Schuldige schwere Verbrennungen, während der Unschuldige durch innere Kräfte auf wundersame Weise unversehrt bleibt (vergleichbar scheint hier das Durchschreiten der Waberlohe durch Siegfried). Dennoch ist zu berücksichtigen, dass solche magischen Vorstellungen und Assotiationen bei den behandelten Ordalien in ihren jeweiligen Epochen weitgehend von der Überzeugung überlagert sind, dass Gott selbst den Ausgang zugunsten des Unschuldigen garantiert. Konkrete Belege für „magisches Denken“ beim Einsatz von Ordalien existieren nicht, viel mehr basiert die These auf bloßen Analogieschlüssen. Hermann Nottarp hat dem Gottesurteil hingegen einen Urspruch im magischen Denken abgesprochen und seine Entstehung in die Sphäre des Profanen verortet. In der ursprünglichen Vorstellung sei der Prüfling durch seine Unschuld so gestärkt, dass er seinen Kontrahenten problemlos besiegen oder ein glühendes Eisen, ohne seiner Pein zu erliegen, über eine gewisse Distanz hätte tragen könne.  Hermann Nottarp, Gottesurteil-Studien, München 1956

Forschungsgeschichte

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In der mittelalterlichen Überlieferung ist der lateinische Terminus des iudicium Dei in verschiedenen Zusammenhängen anzutreffen, welche sowohl rechtlicher, historiografischer als auch hagiografischer Natur sein können. Seit dem 18./19. Jhd. wird der Begriff im Deutschen in der Regel mit "Ordal" oder "Gottesurteil" wiedergegeben, wobei es sich beim zweitgenannten Begriff um eine Übernahme aus dem Angelsächsischen, wo der Begriff als ordāl auftritt, handelt. Dieser angelsächsische Terminus stellt hierbei wiederum eine Entlehnung des friesischen oder fränkischen ordēl dar und bedeutet „Urteil“, wobei hier nicht speziell Gottesurteile gemeint sind. Von Bedeutung ist in diesem Kontext, dass der Begriff im Mittelalter lediglich auf bestimmte Verfahrensarten Anwendung fand – bei den Angelsachsen wären dies konkret Eisen- und Wasserproben. Die mittelalterlichen Quellen kennen über diese Spezialfälle hinaus zahlreiche weitere Bezeichnungen für bestimmte Ordalsformen, etwa iudicium ferri igniti für die Eisenprobe, iudicium aquae ferventis/calidae für den Kesselfang oder duellum/iudicium pugnare/certamen für den Gerichtskampf. Seit dem 18. Jahrhundert umfassen die Termini „Gottesurteil“ und „Ordal“ in der Forschungsliteratur aber alle Formen des im Rahmen eines Gerichtsverfahrens stattfindenden iudicium Dei und in diesem Sinne sollen die Begriffe im Weiteren auch gebraucht werden, [Auer: Konfliktlösung durch Ordalien, 2021, S. 161.] dem Mittelalter ist ein Begriff, der ausschließlich das Ordal im modernen Sinne bezeichnete hingegen völlig fremd, das Gleiche gilt freilich auch für das Altertum. [Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 368f.]

Griechenland, Rom und Iran

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Griechisch-römisch

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Die Ordalspraxis im griechisch-römischen Kulturkreis

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Im griechisch-römischen Kontext finden sich Ordalien, bzw. ordalsähnliche Handlungen nur selten in einen formalen rechtlichen Rahmen eingebettet. Häufiger manifestieren sie sich demgegenüber in “volkstümlicher Traditionen”, auf welche in ungewöhnlichen Situationen zurückgegriffen wurde. Reinigungseide besaßen in der klassischen griechischen Antike lediglich rudimentäre ordalhafte Züge. Besonders ab dem 5. Jhd. büßte der Eid zusehends die ihm innewohnende mystisch-magische Eigenschaften ein und wurde beinahe zu einer reinen Äußerlichkeit, deren im Falle eines Bruches zunehmend in Zweifel gezogene übernatürlichen Folgen man durch schlaue Formulierungen und bestimmte Handlungen – wie das Tragen von Zwiebeln unter dem Rock während des Eidspruches oder das vorherige Streuen von Erde in das Schuhwerk – problemlos aushebeln zu können glaubte. [Latte: Meineid, RE XV 1, 1931, Sp. 347ff. und Oesterdiekhoff: Denken und Modernisierung, 1992, S. 350.] Es sind aber auch durchaus klassische Ordalien, wie das Berühren glühender Metallstücke oder das Durschreiten von Flammen (Soph. Ant. 264 ff.) als Beweise der Unschuld oder der Bekräftigung eines Standpunkts in der Literatur belegt. [Während M. Frenschkowski; Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 369; es für möglich hält, dass es sich hierbei um ein fiktives, literarisches Motiv handelt, sieht S. N. Troianos; Gottesurteil im Prozesßrecht der byz. Kirche, 2005, S. 469; darin einen Beleg für die Verankerung der Feuerprobe in der Rechtstradition des ant. Griechenlands.] Auf Sizilien gab es ein Ordalsform, bei der Holztäfelchen zunächst mit einer Eidesformel versehen und anschließend beim Heiligtum der Palikoi in das ehrwürdige Wasser des Vulkankraters geworfen wurde. Trieb es oben, so war der Eid des Beschuldigten als recht und unmeineidig erwiesen, ging das Täfelchen jedoch unter, so war er des Eidbruches überführt. In solch einem Fall fand der Unglückliche – nach unterschiedlichen Deutungen – entweder durch das Hineinstoßen in den Krater oder aber durch ein scheinbares Gottesgericht den Tod. In diesen Kontext fallen auch die Schilderungen anderer Autoren. So berichtet Macrobius mit Verweis auf Polemos von Trinkordalien, bei denen der Beschuldigte giftiges Schwefelwasser trinken musste und Diodor berichtet, dass Personen, welche durch das Begehen von Missetaten den Zorn der Götter auf sich gezogen hatten, beim Betreten des Heiligtums durch austretende, giftige Dämpfe erblinden. [Zum Palikoiheiligtum als Eidestätte siehe: Ziegler: Palikoi, RE XVIII 3, 1949, S. 111ff.] Ein dem Tafelordal beim Heiligtum der Palikoi ähnliche Keuschheitsprobe fand sich Achilles Tatius zufolge sich bei Ephesus, wo die Unberührtheit einer vorgeblichen Jungfrau durch ihr Hineinsteigen in eine Quelle mit einem auf einem Täfelchen geschriebenen und ihr um den Hals gehängten Eid geprüft wurde. Anschließend wurde aus dem Sinken oder Steigen des Wassers die Redlichkeit des Eides abgeleitet. Außerdem weiß er von einer Ordalsform – bei gleichem Streitfall – bei dem das Mädchen in eine dem Pan geheiligte Höhle eingeschlossen wird. Tönt seine Hirtenflöte und öffnet sich die Höhle ganz von allein, so ist ihre Keuschheit erwiesen, ist sie jedoch nichtmehr auffindbar, wenn die Höhle nach drei Tagen geöffnet wird, so hat sie als Strafe ihrer Unkeuschheit ein Gottesgericht erfahren. Außerdem kennen antike Romane das Gehen über die Flammen eines Altars als Beweis der Tugendhaftigkeit. Es sei erwähnt, dass den Beschreibungen dieser Keuschheitsproben ein gewisser ironischer Unterton zu eigen ist, was nicht zwingend bedeuten muss, dass es sich um Fiktionen handelt, gleichwohl müssen diese Quellen aber aufgrund dieses Umstandes mit einer gewisse Distanz betrachtet werden. Ein die Keuschheit prüfendes Schlangenordal soll zudem im italienischen Lanuvium bestanden haben, wo junge Mädchen heiligen Schlangen Speisen darreichten. Vertilgten die die Tiere das ihnen dargebrachte Mahl, so galt die Tugendhaftigkeit des Mädchens als bewiesen, lehnte sie es ab, so hatte sich ihre Unzüchtigkeit offenbart. Wurde eines der Mädchen von einer Schlange gebissen, so galt auch dies als Gottesurteil. Verschmähten die Schlangen keine der dargereichten Speisen, so galt dies als Garant dafür, dass die Felder im Folgejahr reiche Frucht bringen würden.  Nach M. Frenschkowski ist es außerdem möglich, dass die zahlreichen Feuerläufe, wie sie etwa für die zum kappadokischen Kult der Artemis Perasia gehörigen Priesterinnen, den Kult der Göttin Feronia, oder die Hirpi Sonai belegt sind, ursprünglich nicht ihre Furchtlosigkeit, sondern auf ordalhafte Weise die kultische Reinheit prüfen sollten. Der byzantinische Schriftsteller Eumathios Makrembolites (12. Jhd.) weiß von einem Gewässer bei Artecomium zu berichten, das sich trübt, wenn eine schuldige Frau hineinsteigt. Auch antike Autoren kennen magische Flüsse in Bithynien und Thessalien mit besonderen Eigenschaften, die es ermöglichen einen Übeltäter ausfindig zu machen, wenn man ihre Wasser trinkt. In Achaia wurde dagegen nicht magisches Flusswasser, sondern Stierblut zur Prüfung der Eignung einer Kandidatin für das Priesteramt im Gaios-Heiligtum gereicht. Erbrach sie das Blut und bestand damit das Trinkordal nicht, erfolgte eine Bestrafung der Anwärterin. Eng verwandt mit den klassischen Ordalien sind Gottesgerichte ohne einen näheren forensischen Rahmen, Orakel, insbesondere Losorakel und bedingte Verfluchungen, wobei es im Einzelfall schwierig sein kann diese unterschiedlichen Divinationsformen voneinander abzugrenzen. [Zum Ord. bei den Griechen u. Römern vgl. Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 369–72.]

Ordalien und Losorakel

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Innerhalb der Gruppe der Divinationen, ist vor allem das Losorakel, welches bereits in der klassischen Antike einen breiten Anwendungsbereich besaß und in späterer Zeit schließlich auch in die kirchliche Praxis Einzug halten sollte, dem klassischen Ordal nicht unähnlich. Folgt man einem Gesetzesentwurf, so sollte bei den attischen Asebieprozessen ein am Altar der Athene geweihtes Los mittels eines Gottesurteils die Schuld oder Unschuld des Beklagten beweisen, was ein eindrucksvolles Beispiel für die Nähe des Losorakels zum klassischen Ordal aufzeigt. [Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 374.] Es scheint, dass die Griechen das Losorakel bereits von alters her Zeit kannten, wofür zumindest linguistische Befunde sprechen, es in späterer Zeit aber vor allem – aber nicht nur – zur Lösung von alltäglichen, eher trivialen Fragen und Problemen, die teilweise geradezu als lächerlich betrachtet werden können, vorwiegend von Angehörigen der bäuerlichen Schichten, Anwendung fand. Angerufen wurden üblicherweise Götter und Heroen, aber auch Verstorbene und Dämonen. [Nissen: Los, II, A, DNP VII, 1999, Sp. 446.] Der früheste eindeutige Beleg für die Anwendung von Losorakeln in der griechischen Welt liefert Archilochos (um 680 – um 645). Diese Form des Losorakels soll aus dem Werfen kleine Steinchen bestanden haben. Für die spätere Zeit lassen sich Losorakel mit Holzstäbchen, Astragalen und Würfel sowie mit Blättern und Bohnen nachweisen.  In der griechischen Welt verlor das Losorakel aufgrund seines „trügerischen Charakters“ schon bald an Bedeutung, was in deutlichem Kontrast zu anderen Orakelformen steht. [Latte: Orakel, RE XVIII 1, 1939, Sp. 831f.; Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 374. und Nissen: Los, II, A u. B, DNP VII, 1999, Sp. 446.] Losorakel fanden üblicherweise in Heiligtümern und im privaten Bereich statt, teils aber auch auf Friedhöfen. In der Kaiserzeit waren Losorakel im östlichen Teil des Römischen Reiches Mitunter auch im öffentlichen Raum – auf Marktplätzen und an Stadttoren – verortet. Sie galten als „niedere Mantik“. [Nissen: Los, II, B, DNP VII, 1999, Sp. 446f.] In Italien gab es verschiedene Formen des Losorakels, welches als vorherrschende Methode zur Zukunftsbestimmung bekannt waren. Insbesondere im Latium war diese Praxis sehr beliebt, dies legen die zahlreichen Kultstätten mit Orakeln, die Zukunft durch das Ziehen von Losen bestimmten, nahe. Die Lose, die als "sortes" bezeichnet wurden, waren üblicherweise mit Sprüchen versehene Stäbchen aus Holz oder Bronze. Beim Divinationsvorgang wurden dann die in einer Kiste aufbewahrten Losstäbchen von einem Knaben gemischt und gezogen (Cic. div. II 85f.). Livius weiß von einem konkreten Fall zu berichten, bei dem Losorakel in Falerii in dem Jahr vor der Schlacht bei Cannae (216 v. Chr.) das drohende Unheil durch ein Prodigium angekündigt hätte (Liv. XXII 1,11). [Latte: Orakel, RE XVIII 1, 1939, Sp. 854.] In der späten Kaiserzeit und der Spätantike erfreuten sich dann Losbücher großer Beliebtheit. [Nissen: Los, II, B, DNP VII, 1999, Sp. 446.] Zu diesem Zeitpunkt war das Losorakel längst zu einer Divinationsform geworden, welche nur noch bei den niederen Schichten Anwendung fand. Bereits für die Zeit der späten Republik bezeugt Cicero, dass „diese Art der Weissagung […] schon von dem gewöhnlichen Leben verhöhnt w[ü]rde[...]“, denn „welche obrigkeitliche Person oder welcher bedeutendere Mann bedient sich der Lose?“ [Cic. div. II 86f.; Übersetzung nach Kühner; von der Weissagung, 1868, S. 135.] Hier zeigt sich also „daß zu seiner Zeit kein halbwegs Gebildeter diese Form des O. anwandte, und dazu stimmt der kleinbürgerlich triviale Inhalt der inschriftlich erhaltenen Lose, der Mommsens belustigte Verwunderung erregte“. [Latte: Orakel, RE XVIII 1, 1939, Sp. 855.] Die Haltung der Kirche zu den Losorakel war uneinheitlich, während etwa Augustinus die Anwendung von Losorakeln verteidigt, verbieten die Bestimmungen der Synode von Vannes (465 n.Chr.) deren Gebrauch. [Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 375.]

Ordalien bei anderen Völkern in der Sicht der griechischen und römischen Autoren

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Ungeachtet der Tatsache, dass Ordalien in der Rechtspraxis der griechische-römischen Welt nur eine untergeordnete, wenig wesentliche Rolle gespielt haben, fanden bei anderen Völkerschaften beobachtete Ordalien umfangreichen Niederschlag in den Schriftwerken griechischer und römischer Autoren. So erwähnt Herodot in seinem zweiten Buch für Ägypten einen Dieb, welcher durch Oraklprobe(n) des Diebstahls von Tempelschätzen überführt wird. Der Dieb beschließt anschließend nur noch jene Heiligtümer zu verehren, welche ihn zurecht des Diebstahls überführt hatten, nicht jedoch jene, deren Orakel ihn zu Unrecht freigesprochen haben (II, 174). Außerdem nennt er das Trinken von Stierblut als eine Form des Trinkordals, welchem sich Psammetich III. nach der Niederlage gegen die Perser im Jahr 525 stellen musste und welches er nicht überleben sollte (III, 15). [Siehe dazu: Fühner: Der Tod des Themistokles, 1942, S. 196.] Für die angeblich gegen Schlangengift immunen, in Kyrenaika ansässigen Psylloi wissen Plinius d.Ä. (n.h. VI, 14) und Aelian (a.O. I, 57) von einer Schlangenprobe zu berichten, mit der die Ehelichkeit eines Säuglings geprüft würde. Der Säugling werde in einen Korb mit einer giftigen Hornschlange gelegt, wobei die Schlange zugleich verderbe, wenn sie ein eheliches Kind berührt. Ein Bankert aber wird gebissen und kommt um. Die am Rhein siedelnden Germanen bedienten sich bei dem gleichen Sachverhalt eines Flussordals. Der misstrauisch gewordene Ehemann lege den Sprössling auf einen Schild und setze ihn anschließend den kalten Fluten eines Fließgewässers aus, wobei der Säugling den Tod findet, sollte er einer unehelichen Vereinigung entsprungen und damit ein Kegel sein. Findet man ihn aber lebend, so gilt er als echtbürtig und die Zweifel des Gatten haben sich als unbegründet erwiesen. Nach M. Frenschkowski ist die Authentizität solcher Berichte schwer zu beurteilen, offenbarte sich in ihnen doch ein typischer “Barbarendiskurs”. [Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 373.] Bei den Thrakern führten die Ehemänner ihre Weiber zum Mestos, ließen sie von sein Wasser trinken und sprächen dabei eine beschwörende Formel, wenn ihr Argwohn an der Ehelichkeit ihrer Leibesfrucht geweckt worden war. Gebiert sie ihm anschließend einen Sohn, so war sein Misstrauen grundlos gewesen, gebiert sie aber ein Mädchen, so wird klar, dass sein Eheweib ihm untreu gewesen ist und der Säugling ist als Bastard entlarvt. [Kudlien: Ehemann und Bankert, 1989, 208f.] M. Frenschkowski sieht das große Interesse der griechischen Autoren an dem Thema in dem Umstand begründet, dass griechische Männer in einem solchen Falle wohl ein Orakel befragt hätten. [Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 373.] Für die Sikeler auf Sizilien sowie die indigene Bevölkerung Bithyniens und Kilikiens sind von Seiten römischer und griechischer Autoren Gottesurteile zum Zwecke der Überführung von Meineidern bekannt. [Latte: Meineid, RE XV 1, 1931, Sp. 347, für die Überführung des Meineiders bei den Paliken durch göttl. Feuer vgl. Williger, Terminologie des Heiligen, 1922, S. 76.] Für die Kelten gibt es reiche Belege zahlreicher Ordalsformen, etwa das Gehen des Beschuldigten über glühende Kohlen, ein Vogelorakel, welches sich in Irland und Wales bis in das Mittelalter halten konnte, sowie eine Heißwasserprobe an den heißen Quellen des Apollo Grannus im lothringischen Grand. Tacitus (Germ. c. 10) und Caesar (De Bello Gallico I, 50) berichten für die Germanen von – wohl auch im richterlichen Kontext eingesetzten – Losordalien. Tacitus weiß außerdem von Zweikämpfen zwischen einem gefangenen Feind und einem Krieger des eigenen Stammes als Vorentscheidungen bei Stammesstreitigkeiten zu berichten, wobei die Götter für eine der beiden Seiten Partei zu ergreifen scheinen. [Zu den Ordalsformen der Germanen im Altertum im Spiegel röm. Autoren siehe Vries: Religion der Südgermanen, 1935. 259f.; und Holzhauer: Ordal, RGA 22, 2003, S. 148ff. Für einen allg. Überblick über Ord. bei anderen Völkern in der Sicht griech. u. röm. Autoren siehe: Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 372–74.]

Die Ordalien Persien in ihrem Einfluss auf die westlichen Kulturen

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Für das antike Persien ist sind unterschiedliche Formen des Feuerordals reich belegt. Dies betrifft die reale Ordalspraxis einerseits, ebenso wie die „eschatologische Mythologumena“. [Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 375.] Der Zoroastrismus kennt aus dem Bundehesch das Bild des Feuerflusses aus flüssigem Metall, der nach dem Tod über die Činvat-Brücke gequert werden muss. Während die Brücke für die Seelen der Rechtschaffenen breit ist, sodass sie mühelos über den Fluss gelangen und ins Paradis eingehen können, wird sie für die Sünder schmal wie eine Schwertschneide, sodass sie in die flammenden Fluten fallen, wo sie elendes Leid erfahren. Ob es sich bei der in der christlichen Literatur vielfach belegten Bild der Jenseitsbrücke um einen Rückgriff, auf dieses zoroastrische Motiv handelt, ist nicht geklärt. Darüber hinaus kennt man im Zoroastrismus den aus flüssig-glühendem Metall bestehenden Feuerfluss Ayōhšust, welcher sich am Ende der Zeit als von Ahura Mazda verhängtes Gericht über die Erde ergießt. Während die Sünder von der Feuerbrunst unter unermesslicher Pain vernichtet werden, erscheinen die flammenden Fluten den Gerechten gleich warmer Milch. Am Ende steht die die vom Bösen gereinigte Welt, und die Rechtschaffenen gehen in das Reich Ahura Mazdas ein. [Wißmann: Gottesurteil I, RGG4 III, 2000, Sp. 1228f.] Dieses Motiv des, das Böse vernichtenden flüssig-feurigen Metalls steht in Verbindung mit der in Persien vielfach bezeugten Prozessriten, bei denen der Beklagte flüssiges Metall trinken, oder über seine Brust gießen lassen musste. [Gobrecht: Das Artā Vīrāz Nāmak, 1967, S. 403.] Christliche Märtyrertexte und zoroastrische Quellen nenne darüber hinaus eine Zahl weiterer, zur Wahrheitsfindung eingesetzte Ordalien, wie den rituellen Lanzenwurf, das erzwungene Trinken von Tierblut oder von mit Gold und Schwefel durchsetztem Wasser. Auch das Losordal war den Persern bekannt. [Macuch: Rechtskasuistik und Gerichtspraxis in Iran, 1993, S. 135f; Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 375f. und Gobrecht: Das Artā Vīrāz Nāmak, 1967, S. 388.] Zur Zeit der Herrschaft Sahpurs II. (310–379) soll ein theologischer Konflikt um die Wahre Lehrer vom zoroastrischen Hohepriester Ᾱdarpād mittels eines Ordals mit flüssigem Kuper – welches er sich über seine Brust ausgießen ließ – entschieden worden sein. [Gobrecht: Das Artā Vīrāz Nāmak, 1967, S. 383f., 386. 394ff.] Auch bei der biblischen Episode der drei Jünglinge im Feuerofen (Dan. 3) und mehr noch in der Legende von Abraham im Feuerofen, welche auch im Koran erscheint, spiegelt sich womöglich die Praxis der persischen Feuerordalien. Gleiches gilt wahrscheinlich auch für das noch heute gebräuchliche Feuerordal im Gewohnheitsrecht der Beduinen in Jordanien, der Arabischen Halbinsel und der Negev, bei welchem eine glühende Kelle auf die Zunge des Beklagten gedrückt wird. [Zum Bisha-Ritual der Beduinen des Negev vgl. Al-Krenawi & Graham: Ritual among the Bedouin Arabs, 1999, S. 163–74. Für eine Zf. der pers. O. und deren Einfluss auf die westl. Kulturen vgl. Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 375–77]

Alter Orient, Altes Testament und antikes Judentum

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Flussordalien waren im Alten Orient für verschiedene Verfahrensarten bekannt. Sie fanden Anwendung, wenn andere Methoden zur Rechtsfindung fehlschlugen oder sich als unanwendbar erwiesen. Die frühesten Belege für Gottesurteile im Zweistromland stammen aus der Akkadzeit. Von der Sargonischen bis zur Mittelassyrischen Zeit wird es dort üblicherweise als íd, díd, gespr. Id, ([göttlicher] Fluss; nicht im Sinne eines bestimmten Flusses oder Flussgottes, sondern im Sinne der Stätte des Ordals) [Edzard: Id, RlA V, 1980, S. 27.] bezeichnet, wobei in Altassyrischer Zeit auch der Begriff nārum für Flussordalien anzutreffen ist. In Mari findet sich neben dem Begriff dĺd auch den Begriff dEngur, in Nuzi ist id stets das Wort huršān beigesellt. Seit der Gudea Zeit erscheint dann die Wendung (d)i7-lú-rú-da ([göttlicher] Fluss, welcher dem Menschen gegenübertritt). Der Ausdruck taucht auch in sumerischen Texten, wie in auch im Codex Ur-Nammu aus dem 22/21. Jhd. auf. Ab der Mitte des zweiten Jahrtausends ersetzt dann allmählich die Begrifflichkeit ḫurš/sān, dessen Herkunft ungeklärt ist das älter Id. In Nuzi erscheint sie mal mit, mal ohne íd, in den Archiven der Mittalbabylonischen, Neuassyrischen und Neubabylonischen Zeit steht es hingegen allein. In Elam findet sich kein besonderer Begriff zur Bezeichnung des Flussordals, dort wird es schlicht mit dem Begriff bezeichnet, eine Begrifflichkeit, welche sich auch in babylonischen Texten findet. [Soldt: Ordal. A, RlA X, 2005, S. 124f.]  Das Flussordal fand in der Regel lediglich bei Ehebruchdelikten (CU § 13, MAG § 17, 22) und Hexereiverfahren (CU § 12) Anwendung. Neben dem Codex Ur-Nammu aus dem und dem Mittalassyrischen Gesetz aus dem 12. Jhd. veranschaulicht auch der babylonische Kodex Hammurabi aus dem 18. Jhd. v. Chr. deutlich den Anwendungsbereich des Flussordal. In §132 wird das Gottesurteil bei zeugenlosem Ehebruch [Wobei nach §131 ein Reinigungseid genügt, wenn die Anklage vom eigenen Ehemann erhoben worden ist; Matuszak: Eine Frau?!, 2020, 125f.] und in §2 für Hexereiverdächtigen als Mittel der Wahrheitsfindung genannt. Seltener fand das Flussordal auch bei der Klärung von Vermögensstreitigkeiten oder bei Anklagen im Zusammenhang mit Tempelschändungen Anwendung. Für die Verordnung des Ordals waren je nach Ort und Zeit teils unterschiedliche Gruppen zuständig. In Mari musste etwa im Vorfeld der Wasserprobe die Zustimmung des Königs eingeholt werden, meist wurde es aber von Richtern, Statthaltern oder Priestern verordnet. In Nuzi und im Neuassyrischen Reich konnten auch der Angeklagte oder der Ankläger ein Flussordal in die Wege leiten. Für die Durchführung waren anschließend Beamte, Gouverneure, Priester oder Schreiber zuständig, in altassyrischen und babylonischen Texten erscheinen sogar spezielle Ordalpriester. In der Akkadzeit handelte es sich beim Flussordal in der Regel um ein einseitiges Ordal, bei dem meist der Beklagte den Fluss durchschreiten musste – nicht so in Elam, dort war es der Kläger. Später, nach dem Ende der Akkadzeit, wandelte sich das Gottesurteil dann zu einem zweiseitigen Ordal. Der Prüfling konnte sich im Übrigen auch von einem Stellvertreter vertreten lassen. Das Gottesurteil fand in der Regel an festgelegten Plätzen statt, in Altbabylonischer Zeit waren diese festen Plätze die einzigen Orte, an denen der Flussgott eine Verehrung erfuhr. [Soldt: Ordal. A, RlA X, 2005, S. 125f. 128.]

Der grobe rituelle Ablauf von Ordalien ist durch verschiedene schriftliche Zeugnisse bekannt. Vor dem eigentlichen Ordal wurden Eide geschworen und bereits geschworene Eide wiederholt, auch scheinen gewisse Symbolhandlungen wie das Gießen des Flusswassers in die Hände des Prüflings stattgefunden zu haben. Zum exakten Ablauf der Prüfungen gibt es allerdings nur wenige Quellen, er scheint je nach Ort und Zeit unterschiedlich gewesen zu sein. In Mari musste der Inkulpat eine gewisse Distanz schwimmen, auch das Tragen eines Mühlsteins durch den Fluss scheint als Ordalsform vorgekommen zu sein. [Faist: Theologische Katastrophe, 2014, S. 46.] Sicher ist, dass das Fortspülen und Untergehen des Kandidaten, ebenso wie dessen Tod oder Verschwinden als Beweis für dessen Schuld betrachtet wurde. In den Beiden war letztgenannten Fällen war das Urteil damit direkt vollstreckt. In Nuzi und Elam wurde der fortgespülte Delinquent wieder aus dem Wasser gezogen und erst im Anschluss daran bestraft. Je nach Ort und Zeit scheint der Tod des Prüflings/ der Prüflinge unterschiedlich häufig gewesen zu sein. [Soldt: Ordal. A, RlA X, 2005, S. 127f.] Durchquerte ein Kandidat in der einseitigen Form des Gottesurteils den Fluss unbeschadet und ohne von diesem überwältigt zu werden, so wurde das Strafgericht stattdessen über den Opponenten verhängt, was für diesen Tod oder Verstümmelung bedeutete. Bei einem zweiseitigen Ordal konnte es natürlich vorkommen, dass der Kläger wie der Beklagte fortgespült wurde, oder aber, dass beide die Prüfung unbeschadet überstanden. [Faist: Theologische Katastrophe, 2014, S. 46.] In solchen Fällen wurde das Ordal wahrscheinlich wiederholt. Ein anschauliches Zeugnis für die Praxis des Flussordals bietet ein Brief aus Mari aus dem 18. Jhd. v. Chr., in welchem eine Dienerin an der Stelle ihrer Herrin in einen Fluss steigen muss und anschließend – durch die Strafe des Flussgottes – ertrinkt, wobei sie vor der Durchführung der Wasserprobe hatte schwören müssen, dass ihre Herrin sich weder der Hexerei oder des Verrats von Palastgeheimnissen noch Handlungen gegen ihren Ehemann schuldig gemacht hatte. Auch der babylonische Hochgott Marduk muss sich in einem babylonfeindlichen assyrischen Text, welcher den Zweck verfolgt den assyrischen Reichsgott Assur über erstgenannten zu erheben, einem Flussordal unterziehen. [Gösta: Weg zur globalen Weltordnung, 2014, S. 88f.; Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 378.]

Auch die Hetiter kannten Gottesurteile unterschiedlichen Typus. Neben Trink- und Flussordalien gab es möglicherweise noch Feuer- und Rauchordalien. Die Trinkordalien dienten dazu zu klären, ob ein Hirte tatsächlich die Erstlingsfrüchte oder die Milch zur Zeit der Geburt der Jungen der Gottheit als Opfer dargebracht hatte. Ein ähnliches Ordal scheint auch für den Stallmeister des königlichen Ochsenstalls existiert zu haben. Der genaue Ablauf des Ordals ist – abgesehen von der Information, dass ein Kelch geleert werden musste – unbekannt. Wahrscheinlich wurde eine giftige Flüssigkeit geschluckt, die bei Erbrechen entweder die Schuld oder die Unschuld des Beklagten bewies. [Ein vom Prinzip her ähnliches O. findet sich auch fast überall in Afrika, wo der Beschuldigte einen Giftbecher leeren muss. Erbricht der Beklagte das vom Fetischpriester dargereichte Gift anschließend, so gilt er als unschuldig. Manchenorts kennt man die Trankrobe auch als zweiseitiges O., auch eine Probe ganzer Ortschaften soll in der Vergangenheit vorgekommen sein. Daneben kennt man in Westafrika eine Art Bahrprobe, sowie ein Heißwasser- bzw. Heißölprobe, bei der die Flüssigkeit entweder in den Mund genommen-, oder der Arm eingetaucht wird. Auch eine Eisenprobe mit einem glühenden Messer ist dort bekannt. Auf Madagaskar existiert ebenfalls ein O. dieser Form, welches aber wahrscheinlich von den Austronesiern dort eingeführt wurde. Außerdem wird bei einigen Stämmen Westafrikas im Falle eines Diebstals eine Nadelordal praktiziert, bei der eine Nadel durch die Zunge des Verdächtigen gestochen wird. Gelingt das Durchstechen der Zunge nicht, so ist dessen Schuld bewiesen. Das O. existiert auch bei den Negern Surinams, wo man sich jedoch nicht einer Nadel, sondern einer Feder bedient.  Bei den Altkalabaren muss der Beklagte durch bloßes Rollen der Augen einen unter den Augapfel getriebenen Schlangenzahn wieder aus der Augenhöhle hinausschieben. Gelingt ihm dies nicht, so ist er als Täter entlarvt. Außerdem ist ihnen ein Gottesurteil mit einem mit Wasser gefüllten Krug bekannt. Gelingt es dem Beklagten den Krug über eine gewisse Distanz zu trage, ohne dass ihm die Flüssigkeit aus dem Krug herausschwappt, so gilt seine Unschuld als bewiesen. Überdies kennen sie ein Affenorakel, bei dem ein mit Farbe bestrichener Affe über Schuld und Unschuld eines Angeklagten entscheidet. Eine Kaltwasserprobe ist bei den Stämmen der Sklavenküste bekannt. Die am Niger siedelnden Eingeborenen kannten ein O., bei dem der Beklagte einen mit Krokodilen verseuchten Flussarm durchschwimmen muss. Wird der Probant von einem Krokodil verschlungen, so galt dies als Schuldbeweis und Gottesgericht; Kohler: Negerrecht, ZVglRWiss, Bd. 11, 1895, S. 465–469 und Schulte: Fetischismus, 1871, S. 94.] Bestand der Prüfling die Probe nicht, so wurde er zusammen mit seiner ganzen Familie getötet. [Weinfeld: Ordeal of jealousy, EJ 15, 2007, S. 462.] Die Flussordalien der Hethiter, die erstmals im Alten Reich (1650–1500 Jhd.) auftreten und wahrscheinlich auf assyrische Vorbilder zurück und dürften einem ähnlichen Muster gefolgt sein. Das Fortgespült werden oder Ertrinken galt also als Schuldbeweis, wohingegen das erfolgreiche Durchschwimmen oder Durchschreiten des Flusses als Beweis der Unschuld betrachtet wurde. Das Flussordal scheint zum Ende des Mittleren Reichs wieder verschwunden zu sein, jedenfalls finden sich für die nachfolgenden Jahrhunderte keine Belege für die Durchführung von Flussordalien in den unter hethitischer Herrschaft stehenden Territorien. [Hout: Ordal. B, RlA X, 2005, 129f.] Auch im Alten Ägypten wurden Ordalien zur Rechtsfindung eingesetzt, eine Praxis, welche bis in römische Zeit nachklingen sollte. Zu nennen ist hier vor allem das Barkenordal/Barkenorakel, bei dem die Bewegungen der, eine Götterstatue tragenden Barke, während einer Prozession als Schuld- oder Freispruch gedeutet wurde. Neben diesem Barkenordal bestanden noch weitere Formen des Gottesurteils. [Assmann, Jan: Das ägyptische Prozessionsfest, 1991, S. 108ff.; Naether: Sortes Astrampsychi, 2010, S. 40ff. und Hoffman: Orakel, B, RAC 26, 2015, Sp. 241.]

Altes Testament

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Im Alten Testament werden mehrere Arten von Ordalien genannt, wobei jedoch die Abgrenzung von Losorakeln und anderen Formen der Divination im Einzelfall teilweise schwer sein kann. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass – obwohl andere Formen der Divination im AT überaus häufig anzutreffen sind – die Zahl der Ordalien und damit verwandte Formen der Wahrheitsfindung eher gering ist, gleichwohl offenbart sich in ihnen aber eine Auffassung von Gott als Quell allen Rechts und der Gerechtigkeit, eine Vorstellung die nicht nur die Israeliten kannten, sondern auch bei den anderen Völkern des Alten Orients allgegenwärtig war. Diese Ansicht findet ihren Ausdruck in zahlreichen biblischen Erzählungen. Als besonders prägnantes Beispiel für dieses häufige Motiv kann etwa die Vernichtung der Rebellen Datan und Abiram gelten, welche sich gegen Mose als Führer der Israeliten gestellt hatten, und daher von einer durch göttliches Wirken erzeugte Erdspalte verschlungen- und ihre Anhänger durch göttliches Feuer zu Staub verbrannt werden (Num. 16). Aber auch die Tötung der Nadab und Abihu durch verzehrendes Feuer in der Stiftshütte, welche die göttlichen Opfergebote durch die Einbringung „einer fremden Flamme“ übertreten hatten (Lev. 10,1f.), die vollständige Auslöschung der Städte Sodom und Gomorra durch Schwefel und Feuer aufgrund des sündhaften Lebenswandels ihrer Bewohner (Gen. 18,20 –22; 19,24–26) oder die Vertilgung des Pharaos mitsamt seinem Heer im Schilfmeer, welche der HERR in den Fluten umkommen lässt, um sie für ihre Sünden gegen Israel zu bestrafen (Ex. 14). In dieser von Glauben an das Eingreifen des Göttlichen bestimmten Geisteswelt reihen sich auch die in der Bibel beschriebenen Ordalien und ordalsähnlichen Handlungen ein. Prinzipiell lässt sich bei den Gottesurteilen und mit diesen verwandten Handlungen im Alten Testament zwischen Fluch- und Orakelordalien unterscheiden, betrachtet man auch den gelegentlich vorkommenden Zweikampf oder – noch strittiger – gar den Krieg selbst als Ordal, so kommt noch ein weiterer Typus hinzu. [Preß: Ordal im AT I, 1933, S. 121f.] Im Folgenden soll eine Beschreibung und Einordnung der in der Bibel beschriebenen Ordalien und dem Ordal nahestehenden Praktiken, mit besonderem Fokus auf das in Num 5,11–28 beschriebene Trankordal, erfolgen.

Das Alte Testament nennt Num. 5,11–28 eine Trankprobe, welche es dem gegen sein Weib argwöhnisch gewordene Ehemann gestattet zu prüfen, ob seine Frau einem fremden Mann beigewohnt hat, oder – wenn eine Schwangerschaft vorliegt – die Frucht ihres Leibes tatsächlich seiner Saat erwachsen ist. Die Episode entstammt offenbar einer priesterschriftlichen Tradition. [Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 379] Der Mann führt sein Weib dafür in das Heiligtum vor einen Prieser, wo sie sich anschließend einem Fluchordal unterziehen muss. Die in der Bibel beschriebene Ordalshandlung ist relativ komplex und verworren, offenbar basiert die Bibelepisode auf mehreren Textüberlieferungen, welche zu einer einzelnen Erzählung zusammengefügt wurden. [Preß: Ordal im AT I, 1933, S. 123f.] Nach der biblischen Darstellung wird der Frau nach der Ankunft im Heiligtum das Haar gelockert (V. 18), ein Verfahren, das wohl die Scham des Weibes symbolisieren soll und wahrscheinlich – zumindest in späterer Zeit – ein in rechtlichen Fällen allgemein üblich war, so wurden etwa auch die Haare der Angeklagten, welche vor den Hohen Rat gebracht wurden, gelöst. Das Ritual beinhaltet neben dem Zentralen Trunk und einer bedingten Verfluchung der Frau ein Erinnerungs- bzw. Eifersuchtsopfer aus einem Zehntel eines Scheffels Gertenmehl dar. Dabei handelt es sich möglicherweise um ein Rudiment aus früheren Zeiten, als die Art des zu opfernden Mehles noch nicht verbindlich festgeschrieben war. [Gray: Jealousy, Ordeal of, EB II, 1903, Sp. 2342.] Der Text schreibt vor, das Opfer weder mit Öl zu begießen noch ihm Weihrauch beizumengen (V. 15). Der Priester liest Staub aus der Umgebung des Altars auf und vermischt es in einem Tongefäß mit Wasser (V. 17), welches nach dem Ritual scheinbar zerstört wurde. [Gray: Jealousy, Ordeal of, EB II, 1903, Sp. 2343.] Nachdem das Weib an den Altar geführt worden ist (V. 16), wird das Opfer in ihre Hände gelegt (V. 18) und der Priester beschwört einen Fluch: „Wenn kein Mann mit dir geschlafen hat, wenn du deinem Mann nicht untreu gewesen, also nicht unrein geworden bist, dann wird sich deine Unschuld durch dieses bittere, fluchbringende Wasser erweisen. Wenn du aber deinem Mann untreu gewesen, wenn du unrein geworden bist und wenn ein anderer als dein eigener Mann mit dir geschlafen hat – und nun soll der Priester die Frau mit einem Fluch beschwören und zu ihr sprechen –, dann wird der HERR dich zum Fluch und zum Schwur in deinem Volk machen.“ (Num. 5,19–21; EU 1980) Anschließend beschreibt der Priester die Folgen des Trunks, sollte sie durch außereheliches Treiben schwere Schuld auf sich geladen haben. Ihr Bauch werde anschwellen und ihre Hüften einfallen (V. 21f.) – was damit genau gemeint ist, ist unklar. [Weinfeld: Ordeal of jealousy, EJ 15, 2007, S. 462.]  Die Frau muss diesem Fluch daraufhin beipflichten (V. 22). Der Priester schreibt die Exsekration sodann nieder, wischt die Tinte in den Trunk (V. 23) und reicht dem Weib den Tonbecher, welchen es zugleich leeren muss. Der Genaue Zeitpunkt der Opferung geht aus dem Text nicht eindeutig hervor, möglicherweise muss die Frau auch mehrfach aus dem Becher trinken. [Weinfeld: Ordeal of jealousy, EJ 15, 2007, S. 462 und Gray: Jealousy, Ordeal of, EB II, 1903, Sp. 2343.] Die Deutung der im Text geschilderten angeblichen Folgen des mit Staub und Tinte durchsetzten, fluchbringenden Wassers, durch Welches Gott die Sünde des Weibes offenbart, scheint bereits in der Antike Veränderungen unterworfen gewesen zu sein. Wahrscheinlich ging man in alter Zeit von einer relativ baldigen Wirkung des Trunks aus, die in der Mischna (im 3. Jhd. endg. zsgest.) dargelegte Auffassung, der Trunk entfalte seine Wirkung manchmal erst nach Jahren (Sota 3,4), scheint jedenfalls nicht originär zu sein. [Gray: Jealousy, Ordeal of, EB II, 1903, Sp. 2343.] Das der Ordalshandlung nachfolgende Gottesgericht ist zudem ursprünglich wohl eher nicht als Tod gedacht gewesen, wie es bei Josephus (Jos. Ant. § 273) und in der Mischna dargestellt wird. [Preß: Ordal im AT I, 1933, S. 125.] Möglicherweise sollte der Trunk – in der Vorstellung der Zeitgenossen – durch das Anschwellen des Bauches eine Empfängnis verhüten, zu Unfruchtbarkeit führen, oder bei einer schwangeren Frau im Falle einer Zeugung des Ungeborenen durch Ehebruch eine Fehlgeburt bewirken. Auf eine toxische Wirkung des Staubes, des Wassers oder Tinte deutet indes nichts. [Nier: Gottesurteil II, RGG4 III, 2000, Sp. 1229; Schwienhorst-Schonberger: Gottesurteil, II., LThK 4, 1995, Sp. 942. und Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 378f.]  Bei Josephus (Jos. Ant. § 271) findet sich zum ersten Mal die Auffassung von einer segensbringenden des Trankes für unschuldige Frauen. Demnach gebiert eine unschuldige Frau 10 Monate nachdem ihr Gatte sie in das Heiligtum geführt hatte einen Sohn. Gemäß dem Talmud offenbare der Trank nur dann seine Wirkung, wenn der Ehemann sich im Gegensatz zur Frau nicht der Unzucht schuldig gemacht hatte. Da die Zahl der Ehebrecher aufgrund des um sich greifenden Sittenverfalls so groß wurde, bis das Ordal nur noch in wenigen Fällen – in seiner Logik – überhaupt ein unzüchtiges Weib als solches offenbaren konnte, ward es einige Zeit vor der Zerstörung des Tempels durch Jochanan ben Sakkai (60–70) endgültig abgeschafft (Sota 9,49). Die Trankprobe wurde in der Zeit des Zweiten Tempels am Nikanortor vollzogen (Sota 1,5). [Blau: Ordeal, JE Bd. 9, 1905 S. 428 und Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 380.] Hervorzuheben ist, dass es sich bei dieser Trankprobe nicht um ein Ordal im strengen Sinne handelt, zwar besteht ein forensischer Rahmen, jedoch wird die Bestrafung des Weibes – wie bereits dargelegt – völlig der Sphäre des Göttlichen überlassen, womit ein wesentliches Element des klassischen Gottesurteils – nämlich die Vollstreckung des göttlichen Urteils durch eine weltliche Gewalt – entfällt. [Zum Trankordal im AT vgl. insb. Preß: Ordal im AT I, 1933, S. 121–140.] Das Verfahren fand im christlichen Mittelalter keine Nachahmung. [Dieser Umstand spricht ganz allgemein gegen einen christlichen Ursprung der frühen germanischen Ordalien des mittelalterlichen Okzidents; Dinzelbacher: Fremdes Mittelalter, 2006, S. 48.]

Dem zur Klärung eines zeugenlosen Ehebruchs angewandte Eifersuchtsordal ähnlich, ist die in Ex. 32,20 geschilderte Bibelepisode. Nachdem Mose nach seiner Rückkehr vom Berg Sinai aus Zorn über die Anbetung des Goldenen Kalbes die beiden Steintafeln mit dem Dekalog zerschmettert hatte, reißt er das Kultbild von seinem Kultplatz, schmilzt es ein und zerstampft es anschließend zu Staub. Den Staub mischt er daraufhin mit Wasser, welches er den Israeliten zu trinken gibt, offenbar in der Erwartung, dass sich dadurch offenbart, wer von ihnen das Kultbild angefertigt, angebetet oder ihm Opfer dargebracht hatte. Bereits der Talmud stellt eine Verbindung zwischen dieser forensischen Untersuchung und dem Trankordal für untreue Eheweiber her. [Preß: Ordal im AT I, 1933, S. 125f.] Der aus den Testen des Idols hergestellte Staub trete hier gewissermaßen an die Stelle des Staubes aus dem Heiligtum. Doch während der Staub aus der Nähe des Altars „als Träger besonderer Heiligkeit gedacht“ wird, gilt der Goldstaub „als Träger besonderer Fluchkraft, die an dem ganzen Kalbe wie an jedem seiner Staubteilchen haftet.“ [Preß: Ordal im AT I, 1933, S. 126] Das Trankordal erscheint darüber hinaus als rhetorische Wendung in Form des durch Gott gereichten „Zornesbechers“, welchen der HERR all jene Völker leeren lässt, die gegen ihn gefrevelt und damit seinen Grimm auf sich gezogen haben (Jes. 51,17–23; Jer. 25,15–29; 49,12; 51,7.39; Ez. 23,31–34; Obd. 16; Hab. 2,15f.; Sach. 12,2). Der Wendung liegt möglicherweise ein verschollenes Giftordal zugrunde. [Preß: Ordal im AT I, 1933, S. 126ff. und Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 381.]

Darüber hinaus kennt das Alte Testament Losordalien und Losorakel, welche ebenfalls zu forensischen Zwecken und bei Rechtsstreitigkeiten eingesetzt werden. Eine strenge Trennung der beiden Formen ist dabei schon aufgrund ihrer engen Verwandtschaft nicht immer möglich. Grundsätzlich lassen sich dabei ritualisierte und nicht-ritualisierte Formen des Losordals bzw. Losorakels unterscheiden. [Helms: Diaspora und Löwengrube, 2014, S. 272.] In Josua 7 wird in einer wahrscheinlich nachexilischen Erzählung beschrieben, wie ein Verbrecher namens Achan, welcher durch Veruntreuung gebannten Gutes den göttlichen Zorn über das ganze Heer heraufbeschworen hat, mittels eines ritualisierten Losorakels (wahrscheinlich Losstäbchen) überführt und anschließend bestraft wird. Dafür wird durch ein Losverfahren zunächst der Stamm bestimmt, dem der Gesuchte angehört, dann die Sippe, dann das Haus, endlich der Täter selbst. Der Übeltäter gesteht daraufhin die Tat und verrät das Versteck des Diebesgutes. Die Episode endet mit der Steinigung Achans mitsamt seiner ganzen Familie und der Verbrennung ihrer Leichen. Auch die Übertretung des Gesetzes durch Jonathans wird vom König unter Zuhilfenahme eines Losorakel – konkret unter der Zuhilfenahme der Orakelsteine „Urim und Thummim“ – enthüllt (1. Sam. 14,36ff.). Ein ähnliches Verfahren wie bei der Aufspürung des Achans wird auch bei der Königswahl Sauls in 1. Sam. 10,17ff. angewandt. Für den Zeitpunkt für die Durchführung des Losordals scheint der Morgen präferiert worden zu sein. Es scheint, dass die Anwendung des Losorakels mit den Orakelsteinen, deren Anwendung in der Bibel zahlreich belegt ist (Ex. 28,30; Dtn. 33,8; Esra 2,63; Neh. 7,65; Num. 27,21), in der Zeit nach der Rückkehr aus dem Exil bereits nichtmehr in Gebrauch war, zumindest gibt es keine konkreten Belege für die Anwendung dieses ritualisierter Losorakels. [Preß: Ordal im AT II, 1933, S. 227–231 und Neuber: Orakel, D, RAC 26, 2015, Sp. 304f.] Die fiktive Verwendung eines Losorakels zur Ermittlung eines Übeltäters findet sich jedoch noch in einer Episode im Buch Jona (Ende 4./Anfang 3. Jhd. v. Chr.), bei der die heidnischen Seeleute den Propheten wider Willen als Verursacher des göttlichen Sturmes ausmachen und anschließend über Bord werfen (Jona 1,7–16). [Helms: Diaspora und Löwengrube, 2014, S. 272.] Neben den genannten, dem Ordal nahestehenden Divinationen existiert im Alten Testament eine ganze Reihe weiterer Divinationen, die zumindest eine entfernte mit dem klassischen Ordal verwandt sind. Hervorzuheben sei hier noch der ritualisierte Zweikampf zwischen David und Goliath, [Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 381] welcher zumindest gewisse Charakteristika eines Gerichtskampfes aufweist. [Für einen allg. Überblick über die im AT auftretenden Ordalien siehe Preß: Ordal im AT I und II, 1933, S. 121–140 und 227–255.]

Nachbiblisches Judentum, Qumran, Rabbinat

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Neues Testament und Kirche der Spätantike

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Älteste Frühchristliche Zeugnisse

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Ordalien bei anderen Völkern in der Sicht christlicher Autoren

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Wie die heidnischen, zeigen auch die frühen christlichen Autoren ein reges Interesse an den Ordalspraktiken fremder Völker. So schimpft etwa der gallorömische Aristokrat und spätere Bischof Apollinaris Sidonius (431/32– um 479) auf ein barbarisches, ordalsähnliches Todesorakel sächsischer Piraten. Auch der Spätantike/frühmittelalterliche byzantinische Geschichtsschreiber Menander Protektor (gest. nach 582), berichtet von einer Art Reinigungsordal am Hofe des Türkenkhans. [Boyle: Turkish and Mongol Shamanism, 1972, S. 182f.] Besonders hervorzuheben ist in diesem Kontext aber der Bericht des Astrologen, Philosophen, Schriftsteller und Gnostikers Bardesanes von Edessa (154–222). Detailliert beschreibt der Autor verschiedene Formen des Ordals bei den Völkern Indiens. Folgt man dem Autor, dessen Beschreibung sich über Porphyrios erhalten hat (Porph. Styx 377Ff.), so gebe es dort ein Fluss- und Fluss-, bzw. Tauchordal sowie ein Eintrittsordal, welche zur Überführung von Übeltätern diene. Belegt ist, dass die Inder bereits seit dem vorchristlichen Altertum zahlreiche Ordalsformen kannten und praktizierten, welche bis weit ins 20. Jhd. hinein auch heute noch – besonders in ländlichen Regionen – mitunter eine tragende Rolle bei der Rechtsfindung zukommen. [Zu nennen sind hier die Reisprobe, das Schlangenordal, der Kesselfang mit heißem Wasser oder Öl, das Gehen über heiße Pflugscharen oder durch Feuer sowie das Tragen eines glühende Eisenstückes, das die Waagprobe, das Losordal und die Tauch/Kaltwasserprobe. Auch im mittelalterlichen Europa waren viele dieser unterschiedlichen Ordalsformen bekannt, was aber nicht zwingend für eine Verbindung sprechen muss, wie sie in der Vergangenheit vielfach angenommen worden ist; – ja solch eine Verbindung scheint aufgrund der großen räumlichen Distanz sogar gänzlich unwahrscheinlich. Eine deutliche Position gegen diese in der älteren Literatur weit verbreitete Annahme eines gemeinsamen Ursprungs bezieht etwa Hübner: Gottesurteil, A, RGA 2, 1913–1915, Sp. 320. Sicherlich sind die interkulturellen Ähnlichkeiten bei den Ordalsformen weniger ein Überbleibsel einer „arischen Urreligion“, sondern mehr den ähnlichen Auffassungen betreffend das Wirken des Göttlichen im Bereich des Menschlichen geschuldet; Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 386.] Trotz der großen Vielfalt der in der indischen Literatur beschriebenen Ordalien, besitzen die bei Bardesanes beschriebenen Ordalien, dort keine Entsprechung, was zu der Vermutung geführt hat, dass es sich bei den in seinem Werk beschriebenen Formen von Gottesurteilen in Wirklichkeit um Erfindungen handelt, die ihre Motive aus der abendländischen Märchenliteratur schöpfen. Nicht alle Historiker folgen dieser Deutung. Im Folgenden soll eine nähere Analyse, der bei Bardesanes beschriebenen Ordalien erfolgen.

Der Autor, welcher angibt die Informationen aus der Hand einer indischen Gesandtschaft zum Hof des Elagabal erhalten zu haben (Porph. Styx 376F), beschreibt den Ablauf des Fluss- bzw. Tauchordals wie folgt: Zu Beginn des Rituals spreche der Prüfling eine Formel aus, in welcher die Wahrheit als schützende Kraft angerufen wird. Anschließend tauche der Proband ins Wasser und umschlinge die Beine eines Mannes, der bis zur Hüfte im Wasser steht. Sobald der Prüfling untergetaucht sei, schieße ein Schütze einen Pfeil ab, der anschließend von einem "schnellen Mann" zurückgebracht werden muss. Wenn es dem Mann gelinge, den Pfeil zurückzubringen, ehe der Proband aufgrund von Luftmangel die Beine des Mannes losgelassen und wieder zur Oberfläche auftaucht ist, um seine Lungen mit frischer Luft zu füllen, so gelte die Aufrichtigkeit des Prüflings als bestätigt. Das ganze Ordal werde Bardesanes zufolge, wie auch das Pfortenordal, von Bramahnen beaufsichtigt. [Für die Interpretation des Tauchordals siehe insb. Winter: B. über Indien, 1999, S. 83ff.] Darüber hinaus weiß der Gnostiker von einer mysteriösen, dunklen Höhle mit einer Quelle und einem Teich in einem Berg zu berichten, welche den Brahmanen auch für ihre jährlichen Kolloquien diene. Dort stehe eine wundersame, androgyne Statue aus einem unbekannten Stoff – vergleichbar mit „unverderblichen Holz“, rechts männlich, links weiblich, welche aber eine untrennbare Einheit bilden. Folgt man der Beschreibung des Bardesanes, so handelt es sich bei dem Zwitterbastard wohl um eine Statue Śivas als eines kosmischen Ardhanarisvara. Die Statue, welche schwitzen und Bluten könne, stehe in aufrechter Haltung und strecke die Arme, auf welchen die ganze Welt – Sonne, Mond, die Engel und alles Irdische – eingraviert sein, kreuzförmig von sich. Auf ihrem Haupt throne ein sitzendes Idol. In Wahrheit – so Bardesanes – sei die Statue dem Christus-Logos geweiht, woraus sich auch ihre wundersamen Kräfte ergäben. Hinter der Statue befände sich ein langer, in den Fels gehauener, Raum, an dessen Ende sich wiederum eine Pforte befände, aus welcher unaufhörlich süßes Wasser entspringe, welches einen vor der Pforte befindlichen Teich nähre. Eine rechtschaffene Person könne die Pforte problemlos passieren, bei einer Person, welche ein schändliches Leben führe, verenge sich hingegen die Tür (στενουμένη) und verwehre dieser den Zugang zum Quell auf der anderen Seite. Daran schließt das reuige Bekenntnis der Sünden und Vergehen, die Bitte um die Fürbitte der anderen sowie ein Bußfasten an. Anschließend stellt Bardesanes eine Verbindung der Beschreibung zur bei Philostrat beschriebenen „Brunnen der Wahrheit“ (Philostr. Apoll. 3,13f.) her, wohl um seiner Schilderung eine größere Glaubwürdigkeit zu verleihen. [Tanaseanu-Döbler: Porphyrios und Bardaiṣan, 2015, S. 39ff. und Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 386.]

Vielfach sind Versuche angestellt worden, diese eben genannten Schilderungen von Ordalien bei den Indern mit griechisch-römischen Märchenmotiven in Verbindung zu setzen und eine Abhängigkeit zu dem bei Achilles Tatius aufzuzeigen. Die Annahme, dass sich zumindest Teile der in dem Bericht des Bardesanes in Erscheinung tretenden Topoi aus Märchenmotiven, zu nennen ist hier etwa das Motiv des Ertrinkens, bzw. „der Nachweis zur Schuldfreiheit durch die Fähigkeit zu schwimmen“ oder jenes der „sich automatisch öffnenden Türen oder Steine“, [Winter: B. über Indien, 1999, S. 86.] speisen, erscheint nachvollziehbar, F. Winter ist sogar der Auffassung, dass das weder das eine noch das andere Gottesurteil eine reale Vorlage besitzt, sie also beide der reichen Fantasie westlicher Autoren – unter Rückgriff auf „orientalische Märchenmotive“ – entsprungen sind, gleichwohl dürfte das von F. Boll postulierte Abhängigkeitsverhältnis zu den Ordalien im Werk des Achilles Tacitus eher nicht bestehen – darauf verweist F. Winter ebenso wie M. Frenschkowski. Dafür unterscheiden sich die Gottesurteile doch zu sehr voneinander. Bei näherer Betrachtung haben sie im Grunde gar „nur die Höhle und die Grundidee des Ordals gemeinsam“.[ Tanaseanu-Döbler: Porphyrios und Bardaiṣan, 2015, S. 39, Anm. 32. Für eine Allgemeine Übersicht zum O. bei Bardesanes siehe neben Tanaseanu-Döbler: Porphyrios und Bardaiṣan, 2015, S. 26–68 insb. Winter: B. über Indien, 1999, S. 91ff. und Frenschkowski: Ordal, RAC 26, 2015, Sp. 386.]

Das Ordal zwischen Legende und religiösem Rechtsbrauch

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Europäisches Mittelalter

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Historische und kulturelle Einordnung

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Geschichtliche Entwicklung des mittelalterlichen Ordals

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Alter und Ursprung der mittelalterlichen Gottesurteile

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Über das Alter und den Ursprung der mittelalterlichen Ordalien viel debattiert worden. Im Wesentlichen steht, bzw. stand dabei die Auffassungen eines heidnisch-germanischen, [Betreffend die Problematik des Germanenbegriffs vgl. insb. Pohl: Die Germanen, 2004.] mitunter sogar indogermanischen Ursprungs jener eines christlichen Ursprung gegenüber. Vor allem Aufgrund fehlender Quellen ist in der Vergangenheit angenommen worden, dass es sich bei den mittelalterlichen, germanischen Gottesurteilen – mit Ausnahme des Zweikampfes und des Losorakels, welche den Germanen bereits in der Frühzeit bekannt war – um eine späte, unter christlichem Einfluss erfolgte Übernahme aus dem Orient handelt [Vgl. dazu etw. Amira: Grundriß des germ. Rechts, 1913, §90f., S. 275–280.]. Neben dem Fehlen von frühen Quellen hat K. v. Amira vorgebracht, dass die germanischen Götte weder allwissend noch gerecht gewesen seien. [Amira: Grundriß des germ. Rechts, 1913, §91, S. 277.] Gegen diese Auffassung ist schon früh der Einwand gehäußert worden, dass der Mangel an Quellen nicht auch zugleich einen christlichen Ursprung belege und stichhaltigen Zeugnisse für die angebliche mangelnde Omniszienz der germanischen Götter, welcher es womöglich gar nicht bedürfe, [Erler: Ursprung der Gottesurteile, 1941, S. 47.] ebenso fehlten, wie Belege für die Rechtsverhältnisse im frühen Mittelalter. Außerdem habe die Kirche zunächst eher eine ablehnende Haltung gegenüber den Ordalien eingenommen, was eher gegen einen christlichen Ursprung spreche. [Hübner: Gottesurteil, A, RGA 2, 1913–1915, S. 320f. Ganz allgemein lässt sich hier feststellen, dass Quellen über die Rechtsverhältnisse dieser frühen Zeit grundsätzlich keine Quellen vorliegen, „das gilt auch für eine spätere Zeit von dem Verfahren im Familien-, Haus- und Hofgericht, in dem der Ursprung der eigtl. O.e gesehen werden kann, das aber nur spärlich mit normativen Qu. belegt ist“; Holzhauer: Ordal, RGA 22, 2003, S. 149f.] Auffallend erscheint im Hinblick auf die christliche Hypothese außerdem der Umstand, dass die wenigen Ordalien der Bibel, etwa das bemerkenswerte Bitterwasserordal in Num. 5,11–28, bei den germanischen Völkerschaften des frühen Mittalalters keine Nachahmung erfahren haben, was ganz allgemein gegen einen christlichen Ursprung des mittelalterlichen Gottesurteils spricht. In später Zeit wurde zwar der ritualisierte Zweikampf zwischen David und Goliath, welcher zwar gewisse Merkmale eines Gerichtskampfes aufweist, jedoch nicht in einem rechtlichen Kontext angesiedelt ist, auf das iudicium pugnae bezogen, das Durchschreiten des sich teilenden Jordans durch Elija (2 Kön. 2,8, 14) und das Gehen Christi über das Wasser des Sees Genezareth (Mk. 6,45–52; Mt. 14,22–33; Joh. 6,16–21) mit der Kaltwasserprobe verglichen sowie die Rettung der Jünglinge im Feuerofen des Nebukadnezar als (Dan. 3) Rechtfertigung für das iudicium ignis angeführt, es erfolgte aber keine Implementierung oder Festlegung einer bestimmten Ordalspraxis aufgrund Grundlage einer bestimmten Bibelstelle. [Holzhauer: Ordal, RGA 22, 2003, S. 150 und Dinzelbacher: Fremdes Mittelalter, 2020, S. 63f.]

Für die Anwendung von Ordalien im Kontext von Rechtsstreitigkeiten liegen für die Germanen frühe Zeugnisse vor. Caesar (de bello gallico I, 50) und Tacitus (germ. c. 10) bezeugen für die germanischen Völkerschaften den Gebrauch von Losordalien. Auch weiß Tacitus von ritualisierten Zweikämpfen bei Stammesstreitigkeiten zu berichten.

Rechtliche Regelungen und Rechtspolitik

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Ritus und Rituale

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Bissprobe Jacoby, Adolf: Der Ursprung des Iudicium offae, ARW, Bd. 13, 1910,

Mittelalterliches Judentum

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https://www.jstor.org/stable/3622459

Gottesurteile bei den Heidenvölkern im Spiegel mittelalterlicher Autoren

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Auch mittelalterlichen Autoren des Abendlandes fehlte vielfach nicht das ethnologische Interesse an den Gottesurteilen der heidnischen Völkerschaften. Ein bemerkenswertes Beispiel ist etwa der Bericht des frühmittelalterlichen byzantinischen Geschichtsschreibers Menander Protektor (gest. nach 582), welcher davon berichtet, dass sich der General Zemarchos, der Gesandte des Kaisers Justin (565–578) bei den Türken Zentralasiens einer Art Feuer/Reinigungsordal unterziehen musste, ehe er zum Türkenherrscher vorgelassen wurde. Von dieser Form des Reinigungsordals durch Feuer berichten auch bei späteren Asienreisenden. [Boyle: Turkish and Mongol Shamanism, 1972, S. 182f. Im weiteren Verlauf des Frühmittelaltes und des Hochmittelalters frappieren sich darüber hinaus dann auch einig mohammedanische Autoren, über die eigentümlichen Sitten der Rechtsfindung im „Westen“. Zu nenne sind an dieser Stelle insbesondere die Berichte von Ibn Rosteh (10. Jhd.), für die spätere Zeit dann jene al-Qazwīnī (13. Jhd.); Jacob: Stud. in arab. Geogr., 1892, Sp. 46ff.] Für das 11. Jahrhundert berichtet etwa Adam von Bremen (vor 1050 – 1081/1085) von Tauchordalien im Kontext von Opferungen bei den heidnischen Normannen Schwedens. [Adam von Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, IV 26, Schol 134; Dinzelbacher: Fremdes Mittelalter, 2006, S. 51.] Im 13. Jhd. nimmt dann im Zuge der Zunahme des Kontakts zu den Rassen des Fernen Ostens, das Interesse an den Gebräuchen der asiatischen Heidenvölker wieder spürbar zu. So berichten etwa der Franziskaner und Tatarenmissionar Plano Carpini (1185–1252), sein Zeitgenosse und Ordensbruder Wilhelm von Robruck (geb. zwischen 1215 u. 1220) und der Unterhändler Phillips des Schönen (1285–1314) am Hofe Khan Arghuns, Buscarello de Ghizolfi (gest. vor 1317), welcher sich im Übrigen weigerte, sich dem Ordal der Mongolen zu unterwerfen, ausführlich von den Biss- und Feuerproben der Tataren, [Jacoby: Der Ursprung des Iudicium offae, 1910, 535f. und Boyle: Turkish and Mongol Shamanism, 1972, S. 182ff.] welche sie für naiven Aberglauben halten. Beide Autoren beschreiben ein Feuer- bzw. Reinigungsordal, bei dem Bittsteller unter Aufsicht der Priester bzw. Schamanen (welche ihre übernatürlichen Kräfte von Dämonen erhielten) mit allem Habe wischen zwei reinigende Feuerstöße hindurchgehen müssen, begleitet von magischen Handlungen und Gesängen, um zu beweisen, dass sie kein Gift oder anderes Böses mit sich führen. Stürzt eine Person, ein Tier; fällt ihr etwas herunter, oder geht ein Wagen kaputt, so gilt dies als ein Gottesurteil und, welches die Arglistigkeit und Boshaftigkeit der betreffenden Person beweist. Heruntergefallene Objekte und Tiere werden den Priestern übergeben. Das gleiche Verfahren wird auch angewandt, wenn hinter einem Unglücksfall, welcher der Sippe widerfahren ist, der Frevel eines Einzelnen als Grund vermutet wird. Auch Zelte, in welchen Milch verschüttet, oder uriniert wurde, werden gereinigt, indem in dem man sie zwischen den beiden Feuern hindurchträgt. Der Ablauf unterscheidet sich im Detail von dem bei Menander Protektor beschriebenen Feuerprobe bei den Türken des 6. Jahrhunderts. [Boyle: Turkish and Mongol Shamanism, 1972, S. 182 und Carp. stor. 627, 632, 744; Robr. Itin. 363; Rockhill: Journey, 1900, S. 240f., Anm. 1.] Darüber hinaus berichten Robruck, Marco Polo (1254–1324), und für die Neuzeit auch Juan González de Mendoza (1545–1618), Pietro della Valle (1586–1652) und Jean de Thévenot (1633–1667) von Zweig- bzw. Pfeilorakeln bei den Arabern, Tataren und Chinesen. [Yule & Cordier, Book Marco Polo, 1871. S.214f. Anm. 2.]

Ordalien in der Neuzeit

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Literatur

  • Assmann, Jan: Das ägyptische Prozessionsfest. In: Das Fest und das Heilige. Religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt, Studien zum Verstehen fremder Religionen I, hrsg. v. Jan Assmann & Theo Sundermeier, Gütersloh 1991, S. 105–122.
  • Auer, Anika M.: Konfliktlösung durch Ordalien. In: Konfliktlösung im Mittelalter. Handbuch zur Geschichte der Konfliktlösung in Europa 2, hrsg. v. David von Mayenburg, Berlin 2021, S. 161–168.
  • Gösta, Gabriel: Enūma eliš – Weg zu einer globalen Weltordnung. Pragmatik, Struktur und Semantik des babylonischen "Lieds auf Marduk", Tübingen 2014.
  • Helms, Dominik: Konfliktfelder der Diaspora und die Löwengrube. Zur Eigenart der Erzählung von Daniel in der Löwengrube in der hebräischen Bibel und der Septuaginta, Berlin u.a. 2014.
  • Hout, Theo P. J. van den: Ordal, B, Hethiter. In: Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie, RlA X, 2005, S. 129f.
  • Jacob, Georg: Studien in arabischen Geographen, H. 2, Berlin 1892.
  • Latte, Kurt: Meineid. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, RE XV 1, Stuttgart 1931, Sp. 346–57.
  • Latte, Kurt: Orakel. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, RE XVIII 1, Stuttgart 1939, Sp. 829–65.
  • Macuch, Maria: Rechtskasuistik und Gerichtspraxis zu Beginn des siebenten Jahrhunderts in Iran. Die Rechtssammlung des Farroḫmard i Wahrāmān, Wiesbaden 1993.
  • Naether, Franziska: Die Sortes Astrampsychi. Problemlösungsstrategien durch Orakel im römischen Ägypten, Tübingen 2010.
  • Neuber, Carolin: Orakel, D, Alter Orient, AT u. Judentum. In: Reallexikon für Antike und Christentum, RAC 26, Stuttgart 2015, Sp. 299–315.
  • Oesterdiekhoff, Georg W.: Traditionales Denken und Modernisierung. Jean Piaget und die Theorie der sozialen Evolution, Opladen 1992.
  • Rockhill, William Woodville (Hrsg. u. Übers.); Robruck, Wilhelm von (u.a.): The Journey of William of Robruck to the Eastern Parts of the World. 1253–1255, With two Accounts of the earlier Journey of John of Pian de Carpine, London 1900.
  • Schulte, Fritz: Der Fetischismus. Ein Beitrag zur Anthropologie und Religionsgeschichte, Leipzig 1871.
  • Soldt, Wilfred Hugo van: Ordal, A, Mesopotamien, Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie, RlA X, 2005, S. 124–29.
  • Troianos, Spyros N.: Das Gottesurteil im Prozesßrecht der byzantinischen Kirche. In: Zwischen Polis, Provinz und Peripherie. Beiträge zur byzantinischen Geschichte und Kultur, hrsg. von Lars M. Hoffmann unter Mitarb. v. Anuscha Monchizadeh, Wiesbaden 2005, S. 469–90.
  • Vries, Jan de: Altgermanische Religionsgeschichte. Bd 1. Einleitung: Die vorgeschichtliche Zeit. Religion der Südgermanen, Berlin u.a. 1935.
  • Winter, Franz: Bardesanes von Edessa über Indien. Ein früher syrischer Theologe schreibt über ein fremdes Land, Thaur bei Innsbruck 1999.
  • Yule, Henry & Cordier, Henri (Hrsg. u. Übers.): Polo, Marco. The Book of Ser Marco Polo, the Venetian. Concerning the Kingdoms and Marvels of the East, Band 1, London 1871.


Einzelnachweise

https://archive.org/details/archivfrreligi16reliuoft/page/126/mode/2up?q=ordal

Quellen und Literaturverzeichnis

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  • Cicero: De divinatione. Von der Weissagung, hrsg., über. u. erl. v. Raphael Kühner, Stuttgart 1868.
  • Johannes von Plano Carpini: Liber Tatarorum In: The Journey of William of Robruck to the Eastern Parts of  the World. 1253–1255, With two Accounts of  the earlier Journey of  John of Pian de Carpine, hrsg. u. übers. v. William Woodville Rockhill, London 1900, S. 1–32.
  • Wilhelm von Robruck: Itinerarium ad partes orientales. In: The Journey of William of Robruck to the Eastern Parts of  the World, 1253–1255, With two Accounts of  the earlier Journey of  John of Pian de Carpine, hrsg. u. übers. v. William Woodville Rockhill, London 1900, S. 40–282.
  • Assmann, Jan: Das ägyptische Prozessionsfest. In: Das Fest und das Heilige. Religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt, Studien zum Verstehen fremder Religionen I, hrsg. v. Jan Assmann & Theo Sundermeier, Gütersloh 1991, S. 105–122.
  • Auer, Anika M.: Konfliktlösung durch Ordalien. In: Konfliktlösung im Mittelalter. Handbuch zur Geschichte der Konfliktlösung in Europa 2, hrsg. v. David von Mayenburg, Berlin 2021, S. 161–168.
  • Gösta, Gabriel: Enūma eliš – Weg zu einer globalen Weltordnung. Pragmatik, Struktur und Semantik des babylonischen "Lieds auf Marduk", Tübingen 2014.
  • Helms, Dominik: Konfliktfelder der Diaspora und die Löwengrube. Zur Eigenart der Erzählung von Daniel in der Löwengrube in der hebräischen Bibel und der Septuaginta, Berlin u.a. 2014.
  • Hout, Theo P. J. van den: Ordal, B, Hethiter. In: Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie, RlA X, 2005, S. 129f.
  • Jacob, Georg: Studien in arabischen Geographen, H. 2, Berlin 1892.
  • Latte, Kurt: Meineid. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, RE XV 1, Stuttgart 1931, Sp. 346–57.
  • Latte, Kurt: Orakel. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, RE XVIII 1, Stuttgart 1939, Sp. 829–65.
  • Macuch, Maria: Rechtskasuistik und Gerichtspraxis zu Beginn des siebenten Jahrhunderts in Iran. Die Rechtssammlung des Farroḫmard i Wahrāmān, Wiesbaden 1993.
  • Naether, Franziska: Die Sortes Astrampsychi. Problemlösungsstrategien durch Orakel im römischen Ägypten, Tübingen 2010.
  • Neuber, Carolin: Orakel, D, Alter Orient, AT u. Judentum. In: Reallexikon für Antike und Christentum, RAC 26, Stuttgart 2015, Sp. 299–315.
  • Oesterdiekhoff, Georg W.: Traditionales Denken und Modernisierung. Jean Piaget und die Theorie der sozialen Evolution, Opladen 1992.
  • Rockhill, William Woodville (Hrsg. u. Übers.); Robruck, Wilhelm von (u.a.): The Journey of William of Robruck to the Eastern Parts of the World. 1253–1255, With two Accounts of the earlier Journey of John of Pian de Carpine, London 1900.
  • Schulte, Fritz: Der Fetischismus. Ein Beitrag zur Anthropologie und Religionsgeschichte, Leipzig 1871.
  • Soldt, Wilfred Hugo van: Ordal, A, Mesopotamien, Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie, RlA X, 2005, S. 124–29.
  • Troianos, Spyros N.: Das Gottesurteil im Prozesßrecht der byzantinischen Kirche. In: Zwischen Polis, Provinz und Peripherie. Beiträge zur byzantinischen Geschichte und Kultur, hrsg. von Lars M. Hoffmann unter Mitarb. v. Anuscha Monchizadeh, Wiesbaden 2005, S. 469–90.
  • Vries, Jan de: Altgermanische Religionsgeschichte. Bd 1. Einleitung: Die vorgeschichtliche Zeit. Religion der Südgermanen, Berlin u.a. 1935.
  • Winter, Franz: Bardesanes von Edessa über Indien. Ein früher syrischer Theologe schreibt über ein fremdes Land, Thaur bei Innsbruck 1999.
  • Yule, Henry & Cordier, Henri (Hrsg. u. Übers.): Polo, Marco. The Book of Ser Marco Polo, the Venetian. Concerning the Kingdoms and Marvels of the East, Band 1, London 1871.

Einzelnachweise

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https://archive.org/details/archivfrreligi16reliuoft/page/126/mode/2up?q=ordal