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Rungholt

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Datei:Rungholt in Deutschland.png
Lage des Kartenausschnitts
Lage der Fundstätten Rungholts und Niedams im Nordfriesischen Wattenmeer

Der Ort Rungholt war eines von sieben Kirchspielen der ehemaligen Insel Strand im Nordfriesischen Wattenmeer. Es wurde in der Zweiten Marcellusflut (Grote Mansdränke) am 16. Januar 1362 zerstört. Die beiden zusammen gehörenden Siedlungen Grote Rungholt und Lütke Rungholt bildeten gemeinsam den Hauptort einer großen Region, der Edomsharde. In direkter Nachbarschaft zu Rungholt lag zudem der ebenfalls versunkene Ort Niedam. Nach der Flut wurden einige Teile des ehemaligen Rungholt-Gebietes erneut besiedelt, gingen aber in der Sturmflut von 1532 unter. Von der ehemaligen Edomsharde sind heute nur noch die Inseln Nordstrand, Pellworm und die Hallig Nordstrandischmoor übrig; die restlichen Gebiete gingen in der Sturmflut von 1362 verloren und sind heute Wattenmeer.

Rungholt lag auf einer Torflinse und wurde daher besonders leicht zum Opfer der Sturmflut. Durch die Sturmflut entstand auch der benachbarte Norderhever, zuvor ein Fluss, als tief eingegrabener großer Priel.

Das historische Rungholt

Das Gebiet der Halligen um 1650 auf einer Karte von Johannes Mejer

Da lange Zeit keine Belege für die Existenz Rungholts bekannt waren, die aus der Bestehenszeit des Ortes (also vor 1362) stammten, galt er als Legende. Erst als die Gezeiten zwischen 1921 und 1938 im Watt nördlich von Südfall Überreste von Warften, Bauten und Brunnen freispülten, die systematisch erfasst und erforscht wurden, konnten Angaben in alten Karten (besonders die Karte von Johannes Meyer aus dem Jahr 1636, die auf einer Karte von 1240 basieren soll) verifiziert werden. Die Funde eines Testaments von 1345, in dem der Name Rungholt erwähnt wird, und einer Handelsvereinbarung mit Hamburger Kaufleuten vom 1. Mai 1361, also acht Monate vor der Marcellus-Flut, geben die Sicherheit, dass der Ort zum Zeitpunkt der Flutkatastrophe noch bestand. Die Handelsvereinbarung und Funde von rheinischen Krügen erhärten die Vermutung, dass Rungholt der Haupthafen der Edomsharde war. Beide Urkunden befinden sich heute im Hamburger Staatsarchiv.

Schätzungen, die der Rungholt-Forscher Andreas Busch aufgrund der Anzahl und der Verteilung von Brunnenresten vornahm, deuten auf eine Bevölkerungszahl von mindestens 1.500 bis 2.000 Einwohnern hin. Das ist für eine Ortschaft des 14. Jahrhunderts in dieser Gegend eine bemerkenswert große Zahl.

Der Ursprung des Namens

Der Name Rungholt leitet sich vermutlich von der friesischen Vorsilbe „Rung-“ (etwa: „falsch“, „gering“; gleicher Wortstamm wie das englische „wrong“) und dem Stammwort „Holt“ („Gehöltz“) ab. Daraus ergibt sich die Bedeutung „Niederholz“; unterstützt wird diese Ableitung durch die historischen Karten, die bei Rungholt einen kleinen Wald in hügeligem Gelände zeigen („Silva Rungholtina“), was in der Gegend sehr ungewöhnlich war. Eine vergleichbare Geländeform findet sich heutzutage in den Dünen vor Sankt Peter-Ording.

Funde im Watt

Obwohl Rungholt damals für eine erfundene Stadt gehalten wurde, sind auch in den Jahrhunderten vor der Identifizierung diverse Beobachtungen von Siedlungsspuren überliefert worden. Einen der ersten Hinweise liefert eine Schrift von Matthias Boetius (gestorben 1624), der von häufigen Funden von Wegen, Gräben und metallenen Kesseln im Wattgebiet schreibt. Um 1880 beobachtete ein Fischer große Holzreste im Watt an der Stelle, an der später die Schleusen gefunden wurden; er hielt sie allerdings für ein Schiffswrack.

Zudem fanden sich immer wieder Pflugspuren in alten, untergegangenen Äckern im Watt, Keramik und Ziegelreste.

In den folgenden Jahren sind durch die Meeresströmungen große Mengen Schlick fortgespült worden. So kamen die Überreste Rungholts wieder zum Vorschein, wurden allerdings sehr schnell zerstört. Immerhin konnten eine Vielzahl von Warften, Brunnen und sogar ein Deichfuß kartografiert werden, die eine gute Vorstellung von der Größe der Stadt vermitteln.

Inzwischen sind vermutlich alle Reste von Rungholt auf Grund der Strömungen im Wattenmeer in die Nordsee gespült worden. Trotzdem seien alle Wattwanderer darauf hingewiesen, dass eventuelle Funde zwar mit nach Hause genommen werden dürfen, aber dem Amt für Denkmalschutz in Schleswig gemeldet und auf deren Verlangen auch zur Untersuchung heraus gegeben werden müssen. Die gezielte Suche und Grabung nach Überbleibseln ist dagegen ohne Genehmigung untersagt und kann mit hohen Bußgeldern belegt werden.

Warften, Brunnen und Deiche

Viele Gebäude Rungholts standen, wie an der Nordseeküste auch heute noch verbreitet, auf Warften. Die Rungholter Warften bestanden aus Erdhügeln, die mit etwa 20 Schichten Grassoden gegen Wind und Wellen gesichert wurden. Reste von 28 solcher Warften tauchten, deutlich erkennbar, seit den frühen 1920er Jahren immer wieder auf und wurden durch Andreas Busch sorgfältig kartografiert und zum Teil beschrieben. So entstand eine Karte, die mit den überlieferten Karten Rungholts verglichen werden konnte. Dadurch war es möglich, die Warften einzelnen Orten zuzuordnen: die Lage von Lütke Rungholt, Grote Rungholt und Niedam ist seither bekannt.

Auf und zwischen den Warften wurden zudem die Reste von rund 100 Brunnen gefunden, die ebenfalls aus Grassoden errichtet worden waren. Die Brunnen hatten im Allgemeinen einen Innendurchmesser von etwa einem Meter und versorgten vermutlich jeweils zwei bis drei Haushaltungen. Die Schätzung der Einwohnerzahl in dieser Gegend beruht auf diesen Funden und Annahmen, die die Anzahl der nicht gefundenen Brunnen der Gegend betreffen.

Eine einzige der gefundenen Warften wies keinerlei Reste von Brunnen auf. Sie lag in einem Bereich, in dem besonders viele Warftreste nahe beieinander entdeckt worden waren, dem Acht-Warften-Gebiet (in dem neun Warften gefunden wurden), nordwestlich vor der Hallig Südfall. Dieser Bereich wurde als Grote Rungholt identifiziert. Er hatte eine Ausdehnung von 900 m in Ost-West-Richtung und 600 m in Nord-Süd-Richtung. Die südlichste dieser Warften (nach der Busch'schen Zählung die Warft 1), die in etwa der Mitte der Ost-West-Ausdehnung liegt, ist diese brunnenlose Warft. Da damals die Kirche das einzige Gebäude war, das keine eigene Wasserversorgung benötigte, wird diese Warft allgemein für die Rungholter Kirchwarft gehalten. Diese Vermutung wird durch die Sichtung zweier länglicher Grubenreste im Boden unterstützt, die Gräber gewesen sein könnten. Damit ist vermutlich sogar das Ortszentrum bekannt.

Auf einer der beiden Warften, die zum Ort Niedam gehörten und die zwischen 1932 und 1956 beobachtet werden konnten, entdeckte Busch 1952 zwei parallele Sodenstreifen, die wohl die Mauern eines Gebäudes gebildet hatten. Die Mauern waren außen 5,30 m und innen 3,80 m von einander entfernt; die Wandstärke entsprach einer Sodenlänge von 75 Zentimetern. Falls es sich tatsächlich um ein Grassodenhaus gehandelt hat, war es also eher eine Hütte. Grassoden waren damals in dieser Region der am weitesten verbreitete Baustoff, da Ziegelsteine aufgrund des Fehlens von Lehm sehr selten waren und von weit her transportiert werden mussten.

Reste einer Stadtmauer wurden nicht gefunden, sehr wohl aber die Abdrücke niedriger Deiche, die zwischen den Schleusen und den drei Orten gestanden hatten. Das Gewicht des Deiches hatte den moorigen Boden zusammengedrückt, so dass eine Bodenvertiefung übrig blieb, nachdem die Deiche fortgespült worden waren. Diese Vertiefungen wurden vermessen; aus ihrer Breite kann man auf die Höhe des damaligen Deiches schließen: um die zwei Meter, mit einigen Schwankungen im Deichverlauf. An einigen Stellen konnten sogar die Reste von Deichausbesserungen (Gruben durch Sodenentnahme im ehemaligen Boden und Pfähle zur Sicherung von neuem Material an Deichbruchstellen) entdeckt werden.

Die Alte und die Jüngere Schleuse

Damit die Enwässerung der Wiesen und Felder durch den Deich hindurch funktionieren konnte, musste das Wasser durch eine Schleuse geleitet werden. Reste zweier Holzschleusen tauchten erstmals um 1880 im Watt auf, wurden aber erst 1922 als Bauwerke erkannt und durch Andreas Busch erforscht. Sie lagen etwa 500 Meter nordwestlich von Lütke Rungholt. Busch konnte zwischen 1922 und 1929 die Alte und die Jüngere Schleuse vermessen und einen der Balken bergen (zwei weitere Schleusenbalken wurden 1962 geborgen).

Aus Buschs Messungen ergab sich eine Größe der Alten Schleuse von etwa 20,50 x 3,30 m lichter Breite und für die Jüngere Schleuse äußere Abmessungen von 25,50 x 5,36 m mit einer lichten Durchfahrweite von 4,40 m. Für damalige Verhältnisse waren diese Schleusen ungewöhnlich groß. Beide Schleusen waren aus Holz gebaut; bei der älteren Schleuse konnte Busch sogar nachweisen, dass sie undicht geworden war - sie war mit Dichtungsmaterial repariert worden und hatte einen zusätzlichen Boden bekommen - weswegen die jüngere Schleuse errichtet werden musste. Da bekannt ist, dass Holzschleusen in der damaligen Zeit eine Lebenserwartung von etwa 80 bis 100 Jahren hatten, kann man vermuten, dass die jüngere Schleuse nicht vor 1280 erbaut wurde, die ältere demnach etwa um 1200. Das war auch der Zeitraum der ersten Eindeichung des Gebiets, wodurch Schleusen erst notwendig wurden.

Aufgrund ihrer geringen Tiefe können die Schleusen keine weit reichende Entwässerungswirkung gehabt haben.

Im Jahr 1994 wurde die Datierung der Schleusen mit großem Presseecho angezweifelt, nachdem der Forscher Hans Peter Duerr weitere Funde nordwestlich der Busch'schen Funde gemacht hatte und sie als den wahren Standort Rungholts bezeichnete. Durch eine Messung mit der Radio-Karbon-Methode gilt das Alter der Schleusenbalken aber als bestätigt; die Funde Duerrs werden heute als der ebenfalls in der Flut untergegangene, aber danach wieder aufgebaute Nachbarort Frederingscap vel Rip gedeutet.

Das Rungholt der Legenden

Während das echte Rungholt ein bäuerlicher Handelshafen an einem gut schiffbaren Fluss war und vornehmlich aus Grassoden-Häusern bestand, wurde der Reichtum Rungholts nach seinem Untergang in immer prunkvollere Beschreibungen gefasst. Noch heute erzählt man sich Wunderdinge über den Reichtum, die Größe und die Gottlosigkeit der Stadt. Besonders der dramatische Untergang Rungholts bot Stoff für eine Legende, die hier gemäß der ältesten Fassung von Anton Heimreich wiedergegeben wird:

Eines Abends hätten demnach mehrere Bauern in einer Kneipe Rungholts zusammen gesessen und getrunken. Dabei hätten sie den Scherz ersonnen, das Schwein des Wirts betrunken zu machen und dann den Pfarrer zu rufen, damit er dem Schwein das Abendmahl geben solle. Als der Pfarrer kam und das Schwein erkannte, weigerte er sich natürlich, ihm den letzten Segen zu geben, worauf die Bauern ihm Prügel androhen wollten. Der Pfarrer aber konnte heimlich entkommen, während sich die Bauern besprachen, was sie mit ihm tun wollten.
Zwei der Bauern aber konnten den Pfarrer verfolgen und ihn auf der Strasse abfangen. Der Pfarrer erkannte sie nicht, und so erzählte er ihnen auf ihre Frage hin, welche Schmach in der Schänke ihm und dem Heiligen Sakrament (= den Hostien) hatte angetan werden sollen. Daraufhin fragten die beiden Bauern, ob er denn die Hostien bei sich hätte, und als der Pfarrer bejahte baten sie ihn um die Büchse mit den Hostien, die der Pfarrer ihnen auch guten Glaubens gab. Die Bauern aber schütteten Bier in die Büchse, lachten und sagten dazu: „Wenn diese Hostien der Leib Jesu sind, dann säuft er jetzt auch mit uns!“. Danach hätten sie den Pfarrer ziehen lassen.
Der Pfarrer begab sich daraufhin sofort in die nahe Kirche und betete, dass dieser Frevel an ihm und Gott gerächt würde. In derselben Nacht wurde er daraufhin im Traum gewarnt, dass er sofort gehen solle, denn Gott wolle Land und Leute verderben. Der Pfarrer verließ sofort das Bett und machte sich auf den Weg. Er war kaum in Sicherheit, als die Sturmflut kam. Nur er und zwei Mädchen, die sich auf einer entfernten Kirchweih befunden hätten, wären die einzigen Rungholter Überlebenden gewesen.

In einer anderen Version der Geschichte wird erzählt, dass statt der Oblaten der Abendmahlkelch des Pfarrers entweiht wurde; da der Kelch aber erst 200 Jahre nach dem Untergang Rungholts, nämlich mit der Reformation, in dieser Gegend im kirchlichen Ritus aufkam, ist sie noch etwas mehr als Legende anzusehen als die erste Sage.

Zu den Legenden um Rungholt zählt auch, dass bei ruhigem Wetter seine Glocken unter der Wasseroberfläche zu hören seien und dass die Stadt unversehrt alle sieben Jahre in der Johannisnacht aus der Erde auftauche.

Der Dichter Detlev von Liliencron setzte während seines Aufenthaltes in Husum in seinem Lied „Trutz, blanke Hans“ (Heut bin ich über Rungholt gefahren, die Stadt ging unter vor sechshundert Jahren.) der Stadt ein poetisches Denkmal, übertrieb dabei aber die Bedeutung des Ortes maßlos. Dass der Ort heute in ganz Deutschland bekannt ist, geht hauptsächlich auf seine Ballade zurück; zuvor war Rungholt nur eine lokale Legende. Durch die Funde ist übrigens auch klar geworden, dass von Liliencron nicht über Rungholt gefahren ist, sondern über eine entfernt liegende Sandbank, den „Rungholtsand“, der mit der Lage des Ortes aber nicht übereinstimmt. Das ist sicher, weil von Liliencron mit einer Fähre von Husum nach Pellworm gefahren war, die diesen Weg nahm; während der Überfahrt hörte er, nach seinem Tagebuch, von der Rungholt-Sage, die als Grundlage für sein Gedicht diente.

Medien

2001 entstand der Film "Der Untergang von Rungholt" von Victoria Schwartz und Rasmus Hirthe. Der als Dokumentarfilm "getarnte" Spielfilm erzählt die Geschichte Rungholts in Form eines Segelturns dreier Personen die sich auf die Spuren des untergegangenen Rungholts machen.

Siehe auch: Atlantis (Mythos), Vineta, Wogemänner, Liste mythologischer Orte

Literatur

  • Jörn Hagemeister, Rungholt - Sage und Wirklichkeit, Verlag H. Lührs und Dircks, Sankt Peter Ording 1980, ISBN 3-921416-10-8
  • Kari Köster, Die letzten Tage von Rungholt - historischer Roman, List Verlag, München 1997, ISBN 3-471-79347-X

Weblinks