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Ludwik Lejzer Zamenhof

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Ludwik Lejzer Zamenhof

Ludwik Lejzer Zamenhof (dt. auch Samenhof, * 15. Dezember 1859 in Białystok (heute Polen); † 14. April 1917 in Warschau) hat die Plansprache Esperanto begründet.

Leben

Zamenhof wurde am 15. Dezember 1859 (nach dem heutigen, Gregorianischen Kalender) in der heute zu Polen gehörenden Stadt Bialystok geboren, eine ethnisch gemischte Stadt mit Polen, Russen, einigen Deutschen und vor allem mit Jiddisch sprechenden Juden.

Sein Vater Markus (Mordechaj) war, wie auch der Großvater, von der jüdischen Aufklärungsbewegung Haskala beeinflusst und suchte gezielt Anschluss an die europäische Kultur bzw. das Land, in dem er lebte. Markus Zamenhof unterschied sich als Atheist und Russe von seiner traditionelleren, religiösen und jiddisch sprechenden Frau Rozalja. Er arbeitete als Sprachlehrer für Französisch und Deutsch, verfasste auch Lehrmaterialien, hatte zeitweise eine Sprachschule und zensierte für das Zarenreich Veröffentlichungen.

Der junge Lejzer (dt. "Lazarus", später legte er sich nach damaliger Sitte auch einen nichtjüdischen Vornamen zu, Ludwig/Ludwik) besuchte zunächst die Schule in Byalistok und nach dem Umzug der Eltern 1874 das Gymnasium in Warschau. Er studierte Medizin, erst in Moskau, dann nach antijüdischen Pogromen in Warschau. Später spezialisierte er sich u.a. in Wien auf die Augenheilkunde.

1887 verheiratete er sich mit Klara Silbernik, einer Fabrikantentochter, die er in zionistischen Kreisen während seiner Studentenzeit kennengelernt hatte. Mit ihr hatte er die drei Kinder Adam, Sofia und Lidia. Besonders Lidia Zamenhof begeisterte sich bald selbst für Esperanto und lehrte und verbreitete die Sprache auf ihren Reisen durch Europa und Amerika. Ihr Interesse am Homaranismo ihres Vaters – an den Idealen der Völkerverständigung und religiöser Toleranz – führte sie zum Glauben der Baha'i, zu deren Zielen auch die Einführung einer Weltsprache zählt. Alle Kinder Zamenhofs wurden Opfer des Holocaust.

Lange Zeit hatte Zamenhof Probleme, sich eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen, bis es ihm um die Jahrhundertwende gelang, sich zu saturieren. Er war bis kurz vor seinem Tod 1917 praktizierender Augenarzt. - Zamenhof selbst litt an Herz- und Atemerkrankungen.

Esperanto

Bereits als Knabe interessierte sich Zamenhof für Fremdsprachen. Die bevorzugte Sprache des Vaters war Russisch, der Mutter Jiddisch, von der Straße dürfte er Polnisch gelernt haben. Wohl früh lernte er Deutsch und Französisch kennen, in der Schule dann Griechisch, Latein und Englisch. Außerdem muss er Hebräisch gut beherrscht haben, aus dem er später das Alte Testament in das Esperanto übersetzte.

Er träumte schon früh von einer neuen, leicht zu erlernenden Sprache, die der zerstrittenden Menschheit ein neutrales Forum liefern könnte. Sein erster Versuch war die heute nur fragmentarisch überlieferte Lingwe Uniwersale, in der er 1878 seinen 18. Geburtstag feierte. Ein weiteres Projekt stellte er 1882 zusammen, das allerdings ebenfalls nicht veröffentlicht wurde und nur bedingt rekonstruiert werden kann.

Gegen 1885 war er mit seinem dritten Entwurf fertig, den er 1887 in verschiedenen Sprachen veröffentlichte. Der deutsche Titel lautete: "Internationale Sprache", und so nannte er zunächst auch die Sprache. Da Zamenhof um seinen Ruf als seriöser Arzt und Verdächtigungen politisch-antisemitischer Art fürchtete, gab er das Büchlein unter dem Decknamen Dr Esperanto heraus (Esperanto heißt wörtlich ein Hoffender). Bald jedoch bürgerte sich dieses Pseudonym als Name der Sprache selbst ein.

In der Folge gelang es Zamenhof - im Gegensatz zu anderen Autoren einer neuen Sprache -, eine Zeitschrift und jährliche Adressbücher herauszugeben. Da das Volapük des deutschen Geistlichen Johann Martin Schleyer ungefähr zur gleichen Zeit auf seinem Höhepunkt des Erfolges stand, hatte das Esperanto es nicht leicht, und noch schwerer machte es der schnelle Niedergang von Volapük, das Streitigkeiten unter seinen Anhängern zum Opfer fiel. Damals entstand die Vorstellung, eine Plansprache müsse sich automatisch in Dialekte zerspalten und Reformversuchen zum Opfer fallen.

Um 1900 fasste Esperanto, nach dem Russischen Reich und Schweden, auch in Westeuropa Fuß. Bis zum Ersten Weltkrieg wurden Ortsgruppen und Landesverbände von Esperantisten auf allen Kontinenten gegründet. Dies befreite Zamenhof von der persönlichen Verantwortung für seine Sprache, die unabhängig von ihm wurde.

Menschheitslehre

Zamenhof war noch von einer anderen Idee beseelt, nämlich nicht nur eine neutrale Sprache, sondern auch eine neutrale Weltanschauung zu fördern. Nachdem das Kind Esperanto auf eigenen Beinen laufen konnte, veröffentlichte er seine Vorstellungen zuerst als Hillelismus (1906), benannt nach einem vorchristlichen jüdischen Gelehrten namens Hillel, später unter der Esperanto-Bezeichnung Homaranismo. Übersetzt heißt dies soviel wie "Lehre von der Menschheit".

Der Homaranismo veränderte sich, wurde nach Kritik von Esperanto-Freunden abgeschwächt und endete als eher allgemeines Bekenntnis zu Völkerverständigung und religiöser Toleranz. Zamenhof aber stellte sich eine Art neutrale Religion vor, die an ein höheres Wesen glaubte, und hatte auch sprachenpolitische Vorstellungen. Beispielsweise sollten alle Sprachen, die in einer bestimmten Region gesprochen wurden, auch gleichberechtigte Amtssprachen sein. Diese Vorstellung war damals vor allem im Russischen Reich politisch sehr brisant und gefährlich. Aber auch in Westeuropa mochten sich nur wenige (selbst unter den Esperantisten) mit dem Homaranismo identifizieren.

Letzte Lebensjahre und Nachleben

Zamenhof erlebte den Kriegsausbruch 1914 in Köln, auf dem Weg von Warschau nach Paris zum 10. Esperanto-Weltkongress. Nach einem schwierigen Umweg über Skandinavien gelang er erst Wochen später nach Hause. Der Schwerkranke intensivierte seine Arbeit an der Esperanto-Bibelübersetzung und verfasste noch eine Denkschrift An die Diplomaten, die bei den Friedensverhandlungen an die Rechte von Minderheiten denken sollten. Während des Kriegs, als Warschau bereits von Deutschland besetzt worden war, besuchten ihn noch Esperanto-Anhänger wie der Schweizer Edmond Privat und der deutsche Hafenkommandant Major Neubarth. Als Zamenhof mit 57 Jahren am 17. April 1917 starb, begleitete eine große Menschenmenge den Leichenzug zum jüdischen Friedhof Warschaus; nicht nur Esperantisten, sondern auch viele der armen jüdischen Patienten Zamenhofs.

Man erinnerte sich an ihn als einen bescheidenen, etwas schüchternen, etwas kleinwüchsigen Mann, sehr idealistisch und angenehm im Umgang. Erst später hat die Forschung ergeben (etwa Leteroj de Zamenhof von Waringhien, 1948), dass Zamenhof auch nüchtern und abwägend war und es geschickt vermied, sich von Teilen der Anhängerschaft gegen andere instrumentalisieren zu lassen.

Der Tod Zamenhofs kam in einer für Europa und auch für das Esperanto schwierigen Zeit. Nach dem Wiederaufbau der Esperanto-Gemeinschaft nach dem Ersten Weltkrieg wurde der bereits vorher sehr Verehrte immer mehr zum Kultobjekt vieler Esperanto-Freunde. Heute wird Zamenhof von der Sprachgemeinschaft als Sprachgründer in Ehren gehalten, seine Aussagen zu der Sprache werden von der Esperanto-Akademie immer noch als autoritativ empfunden. Außerhalb der Esperanto-Gemeinschaft ist Zamenhof nur wenig bekannt, hat aber Eingang in die meisten Lexika gefunden und - angeregt von den örtlichen Esperantisten - ziert sein Name viele Straßen und Plätze in aller Welt. In Salvador da Bahia in Brasilien steht unter anderm ein Zamenhof-Denkmal.

Zitate

  • Damit eine Sprache eine Weltsprache ist, genügt es nicht, sie so zu nennen. (1887)
  • Ich will nicht der Schöpfer der Sprache sein, sondern nur der Initiator. (1888)
  • Heute kommen zwischen den gastfreundlichen Mauern von Boulogne-sur-mer nicht Franzosen und Engländer zusammen, nicht Russen und Polen, sondern Menschen mit Menschen. (1. Esperanto-Weltkongress, 1905)
  • Wir sind nicht so naiv zu glauben [...] dass eine neutrale Grundlage aus den Menschen Engeln macht; wir wissen sehr wohl, dass böse Menschen auch danach böse bleiben; aber wir glauben, dass Verständigung und das Sich-einander-kennenlernen auf einer neutralen Grundlage wenigstens die große Menge von Bestialitäten und Verbrechen beseitigen wird, die nicht durch schlechten Willen zustande kommt, sondern einfach vom Nichtkennen und von erzwungenem Sichaufdrängen. (1906)
  • Nach der Meinung der ethnischen Chauvinisten besteht der Patriotismus im Hass gegen alles, das nicht zu einem selbst gehört, darum sind wir ihrer Meinung nach schlechte Patrioten, und sie sagen, dass die Esperantisten ihr Vaterland nicht lieben. Gegen diese lügenhafte, unehrenhafte und verleumderische Beschuldigung protestieren wir energisch [...]. Während der Pseudopatriotismus, also der ethnische Chauvinismus, Teil eines gemeinsamen Hasses ist, der alles in der Welt zerstört, ist der wahre Patriotismus Teil jener großen gemeinsamen Liebe, die alles erbaut, bewahrt und glücklich macht. (1907)
  • Volapük ist vor allem wegen eines großen Fehlers zugrunde gegangen, den es leider hatte: das völlige Ermangeln einer natürlichen Entwicklungsfähigkeit; bei jedem neuen Wort oder Wortform hing die Sprache immer von den Entscheidungen einer einzigen Person oder einer Gruppe ab, die sich leicht untereinander zerstritt. (1911)
  • Eine Sprache, die während 25 Jahre das Ausprobieren überstanden hat, die im besten und immer blühenderem Zustand bereits eine ganze Menschengeneration überlebt hat und schon älter ist als viele ihrer Sprecher, die eine schon große, gewaltig wachsende Literatur besitzt, die ihre Geschichte und ihre Traditionen hat, ihren genauen Geist und ihre klaren Ideale - eine solche Sprache muss sich nicht mehr fürchten, dass irgendetwas sie von dem natürlichen und geraden Weg stößt, demzufolge sie sich entwickelt. Das Leben und die Zeit haben unserer Sprache eine natürliche Stärke garantiert [...]. Das heutige Jubiläum ist ein Fest dieses Lebens und dieser Zeit. (1912)

Literatur

  • Boulton, Marjorie: Zamenhof, creator of Esperanto, London 1960
  • Centassi, René / Henri Masson: L'homme qui a défié Babel, Ramsay 1995
  • Maimon, Naftali Zvi: La kashita vivo de Zamenhof. Originalaj studoj, Tokio 1978
  • Niederhausen, Françoise: Zamenhof: father of Esperanto, in: The UNESCO Courier, 1959, XII
  • Privat, Edmond: Vivo de Zamenhof, 5. Auflage, Orelia 1977 (London 1920), ISBN 0852302002

Weblinks