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Reichsreform (Heiliges Römisches Reich)

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Die Kone des Heiligen Römischen Reiches auf einem Stich von Johann Adam Delsenbach

Die Reichsreform war der im 15. und 16. Jahrhundert wiederholt unternommene Versuch, die Struktur und die Verfassungsordnung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation den Erfordernissen des frühmodernen Staats anzupassen und ihm eine einheitliche Regierung entweder unter ständischer oder kaiserlicher Vorherrschaft zu geben.

Vorgeschichte

Anders als etwa den Königen Frankreichs oder Englands war es den römisch-deutschen Kaisern seit dem Hochmittelalter nicht gelungen, die wichtigsten Souveränitätsrechte des Staates in ihrer Hand zu vereinigen. Vielmehr waren das Recht zur Steuererhebung, die Hochgerichtsbarkeit, das Münzrecht, das Befestigungsrecht und viele weitere Regalien im Laufe der Zeit von ihnen auf die Reichsfürsten und Freien Reichsstädte übergegangen.

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Sitzung des Reichstags in Regensburg 1640 (nach einem Stich von Matthäus Merian)

Die allmähliche Herausbildung des frühmodernen Staates vollzog sich in Deutschland also nicht auf der Ebene des Reichs, sondern auf derjenigen der einzelnen Landesherrschaften. Seit dem Interregnum Mitte des 13. Jahrhunderts besaß auch der jeweilige Kaiser nur noch so viel Einfluss auf die Reichspolitik, wie seine eigene Machtbasis als Landesherr, seine Hausmacht, sie ihm erlaubte. Ein einheitliches Handeln des Reichs war zu Beginn der frühen Neuzeit nur noch dann möglich, wenn es dem Kaiser gelang, auf einem Reichstag die Zustimmung der drei Kollegien der Kurfürsten, der Reichsfürsten und der Freien Städte zu einem bestimmten Beschluss zu erlangen. Dies war aufgrund ihrer divergierenden Interessen aber kaum noch möglich.

Da das Reich weder über nennenswerte eigene Einnahmen, noch über ein Heer verfügte und die einzelnen Reichstände auch ihre jeweils eigene Bündnispolitik betrieben, war ein gemeinsames Auftreten gegenüber fremden Staaten nicht möglich. Das Reich konnte als solches keine Außenpolitik betreiben und keine Kriege führen, nicht einmal zu seiner Verteidigung. Das Problem der mangelnden Handlungsfähigkeit wurde im 15. Jahrhundert - u.a. aufgrund der Hussitenkriege - auch den ansonsten auf ihre Libertät bedachten Reichsfürsten als solches bewusst.

Erste Versuche einer Reichsreform

In den Jahren 1434 bis 1438 wurden auf Reichstagen in Eger und Nürnberg erste Versuche zu einer Reichsreform unternommen, mal auf Initiative Kaiser Sigismunds, mal auf die der Kurfürsten. Es wurde ein Fehdeverbot, eine Neuregelung des Münz- und des Geleitrechts und eine Kreiseinteilung des Reiches diskutiert. Alle Vorschläge scheiterten aber an den gegensätzlichen Interessen von Kaiser und Reichsfürsten.

Beide strebten zwar eine funktionstüchtigere Gesamtregierung des Reichs an, aber jeweils unter gegensätzlichen Vorzeichen. Der Kaiser war an einer Stärkung seiner Zentralgewalt interessiert, die Fürsten dagegen an einer kollegialen, ständischen Führung, an der sie mitwirken konnten. In der Publizistik jener Zeit, etwa in Schriften wie der „Reformatio Sigismundi“, zeigt sich, dass die Bevölkerung, soweit sie über politische Dinge informiert war, den Standpunkt des Kaisers unterstützte, da sie sich von seiner Stärkung mehr Schutz gegen die Macht der Landesfürsten versprach.

Die Reformmaßnahmen seit 1495

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Maximilian I. Gemälde von Albrecht Dürer

Eine Wiederbelebung erfuhr der Reformgedanke unter dem späteren Kaiser Maximilian I. Er suchte nach 1477 die Unterstützung des Reichs, da er seit der Heirat mit Maria von Burgund deren Erbe gegen die Ansprüche des französischen Königs verteidigen musste und das Vordringen der osmanischen Türken auf dem Balkan auch die habsburgischen Besitzungen im Südosten des Reichs bedrohte.

Auf dem Wormser Reichstag von 1495 verlangte er von den Reichsständen nicht nur die Bewilligung einmaliger Geldzahlungen, sondern die Einführung einer allgemeinen, regelmäßig zu erhebenden Reichsteuer und die Stellung von Truppenkontingenten. Die Reichsfürsten zeigten sich dazu auch bereit - allerdings nicht ohne Gegenleistung.

Reichsregiment

Wortführer der Reichsstände war der Erzbischof und Kurfürst von Mainz Berthold von Henneberg. Als zentrales Projekt der Reichsreform verlangte er die Einführung eines Reichsregiments unter Beteiligung der bedeutendsten Fürsten. Die Aufgabe dieses neuen Gremiums sollte es sein, die Finanzen, die Verteidigung und Kriegführung sowie die Außenpolitik des Reichs zu überwachen. Es war gedacht als ständiger Ausschuss, der anstelle des schwerfälligen und nur sporadisch zusammentretenden Reichstages die Regierungsgeschäfte übernehmen sollte - und zwar gemeinsam mit dem Kaiser, der im Reichsregiment nur den Ehrenvorsitz führen sollte.

Dies stellte eine erhebliche Beeinträchtigung der kaiserlichen Macht dar. Dennoch stimmte Maximilian der Bildung des neuen Kollegiums widerstrebend zu, da er für seine Kriege die Unterstützung der Fürsten benötigte. Er zögerte die Bildung des Reichsregiments möglichst lange hinaus. Erst nachdem der Reichstag zu Augsburg im Jahr 1500 auch seine Zustimung zu einer Reichsmiliz gegeben hatte, berief er das Gremium tatsächlich ein. Diesem gehörten neben ihm selbst 20 Vertreter der Fürsten und Freien Reichsstädte an. Die Uneinigkeit der Fürsten untereinander und Maximilians Abneigung gegen das Reichsregiment führten jedoch schon 1502 wieder zu dessen Auflösung. Ein zweiter Versuch unter Kaiser Karl V. in den Jahren 1521 bis 1531 scheiterte ebenfalls.

Gemeiner Pfennig

Ein weiterer Beschluss des Reichstags von 1495 betraf die erstmalige Bewilligung einer allgemeinen Reichssteuer: Der Gemeine Pfennig sollte von jedem einzelnen Untertanen des Reiches über 15 Jahre alljährlich direkt an den Kaiser abgeführt werden.

Der gemeine Pfennig gab dem Reich erstmals die finanziellen Mittel für eine eigenständige Politik ohne die Unterstützung der Landesfürsten an die Hand. Seine Erhebung traf jedoch von Beginn an auf zum Teil erbitterten Widerstand. Die Schweizer Eidgenossen, die in der habsburgischen Macht seit je her eine Bedrohung sahen, verweigerten die Zahlung sogar ganz. Nach ihrerm Sieg im Schwabenkrieg 1499 wurden sie von der Reichssteuer befreit und schieden de facto aus dem Reichsverband aus, auch wenn sie ihre volle staatsrechtliche Unabhängigkeit erst 1648 erlangten.

Ewiger Landfriede und Reichskammergericht

Eine weitere Forderung der Fürsten war die Ausrufung eines Ewigen Landfriedens, der dem Fehdewesen im ganzen Reich ein Ende bereiten und die gewaltsame Konfliktlösung durch juristische Verfahren ersetzen sollte. Zur Überwachung des Landfriedens wurde, ebenfalls auf Betreiben der Fürsten, das Reichskammergericht ins Leben gerufen.

Die Rechtssprechung in letzter Instanz hatte bis dahin allein beim Kaiser gelegen. Allerdings waren die Ausführung der kaiserlichen Urteile regelmäßig am Widerstand der Landesherren gescheitert, wenn diese ihren Absichten zuwiderliefen. Dennoch lag es nicht in Maximilians Interesse, dass die höchste richterliche Gewalt im Reich nun bei einer festen Einrichtung liegen sollte, die von der Person des Kaisers losgelöst war. Er gründete daher 1498 den allein ihm unterstellten Reichshofrat. Er bildete bis zum Ende des Alten Reiches 1806 neben dem Reichskammergericht die letzte Berufungs- und Apellationsinstanz in Deutschland.

Das Reichskammergericht tagte zunächst in Frankfurt am Main, später in Speyer und in Wetzlar.

Reichskreise

Fünf Jahre nach dem Wormser Reichstag wurde ein zweiter Reformschritt unternommen: Um der Zersplitterung des Reichs in immer kleinere Herrschaftsgebiete entgegen zu wirken, die allein kaum in der Lage waren, die Reichspolitik wirksam - etwa durch Truppen - zu unterstützen, wurden die Reichskreise eingerichtet. Sie umfassten alle größeren und kleineren Territorien ihrer Region.

Ihre Aufgabe bestand darin, die Urteile des Reichskammergerichts zu vollstrecken und die Einhaltung der Reichspolizeiordnungen zu überwachen, das Münz- und Zollwesen zu beaufsichtigen, Steuern zu erheben vor allem aber die Aufstellung und den Unterhalt von Truppenkontingenten zum Reichsheer sicherzustellen.

Der Kreistag, die Versammlung aller Reichsstände eines Kreises, wurde vom Kreisausschreibenden Fürsten einberufen, ein Amt, das in der Regel dem bedeutendsten Fürstenhaus des Kreises zustand.

Die ursprünglich sechs Reichskreise wurden 1512 auf zehn erweitert. Ausgenommen von der Kreiseinteilung waren nur die Schweizer Kantone, das Königreich Böhmen mit der Lausitz und Schlesien sowie Reichsitalien.

Ergebnis der Reichsreform

Die Reichsreform blieb am Ende ohne nennenswerte Wirkung. Die Reichskreise und das Reichskammergericht waren die einzigen Institutionen, die auf Dauer aus ihr hervorgingen. Es erwies sich, dass die Formierung des frühmodernen Staats in den einzelnen Fürstentümern und Herrschaften des Reichs schon zu weit fortgeschritten war, als dass sie noch einmal zugunsten des Kaisertums hätte zurückgedrängt werden können. Andererseits waren auch die Kaiser nicht bereit, zugunsten einer ständischen Zentralregierung auf ihre Machtbefugnisse zu verzichten.

Versuche, eine starke kaiserliche Zentralmacht gewaltsam zu erzwingen, waren stets zum Scheitern verurteilt. Die erste Möglichkeit dazu ergab sich für Karl V. nach seinem Sieg im Schmalkaldischen Krieg 1548. Auf dem Geharnischten Reichstag diktierte er den Reichsständen das Augsburger Interim, die Regelung der Religionsfrage weitgehend im katholischen Sinne. Gegen diese Machtdemonstration formierte sich sofort eine Opposition sowohl katholischer als auch protestantischer Fürsten, die 1552 im Fürstenaufstand gipfelte. Mehr als 70 Jahre später überspannte auch Ferdinand II. nach den ersten Siegen Wallensteins im Dreißigjährigen Krieg seine Ansprüche. Es bildete sich eine starke Koalitionen deutscher und ausländischer Mächte, die alles daran setzten, die Ausdehnung der kaiserlichen Macht auf ganz Deutschland zu verhindern.

Literatur

  • Victor von Kraus, Das Nürnberger Reichsregiment. Gründung und Verfall 1500-1502, Innsbruck 1883 (Neudruck 1969)
  • Hermann Heimpel, Studien zur Kirchen- und Reichsreform des 15. Jahrhunderts, Heidelberg 1974

Weblinks

Maximilian I. als Bewahrer und Reformer