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Priesterschrift (Bibel)

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Mit dem Begriff Priesterschrift (abgekürzt: P) bezeichnet die historisch-kritische Bibelwissenschaft seit dem 18. Jahrhundert eine der Quellenschriften, die in den fünf Büchern Mose, dem so genannten Pentateuch, verarbeitet worden sein sollen.

Forschungsgeschichte

Mit der Aufklärung begann in Europa auch die historisch-kritische Erforschung der Bibel. Seit dem 18. Jahrhundert wurde die Bibel nicht mehr nur in ihrer Funktion als geoffenbartes Wort Gottes rezipiert, sondern auch in ihrer Gestalt als historisch gewachsenes Buch wahrgenommen und untersucht.

In Bezug auf den Pentateuch entdeckte die frühe Forschung Spannungen und Uneinheitlichkeiten innerhalb des Textes, die im 18. Jahrhundert den Hildesheimer Pfarrer Henning Bernhard Witter[1] und wenige Jahrzehnte später den französischen Mediziner Jean Astruc[2] dazu bewogen, eine neue Theorie über die Entstehung des Pentateuch zu entwickeln. Diese Theorie räumte auf mit der über Jahrhunderte geltenden Vorstellung, Mose sei der Autor des Pentateuch. Witter und Astruc erkannten, dass die fünf Bücher Mose in einem langen Wachstumsprozess aus ehedem unabhängigen Quellenschriften entstanden sind. Diese Quellenschriften sind zwar nicht erhalten, aber mithilfe der Methoden der historischen Kritik aus dem heutigen Endtext zu rekonstruieren.

Astruc erkannte innerhalb des Pentateuchs vier unabhängige Quellenschriften, die er mit den Buchstaben A-D benannte. Diese These wurde weiter ausgebaut, woran in den folgenden Jahrzehnten in Deutschland vor allem die Forscher Johann Gottfried Eichhorn[3], Carl David Ilgen[4], Johann Severin Vater, Wilhelm Martin Leberecht de Wette und schließlich Julius Wellhausen beteiligt waren.

Die Entwicklung mündete in der von Wellhausen[5] formulierten und von Martin Noth ausgebauten Neueren Urkundenhypothese, die die vier Quellen Astrucs nun historisch und inhaltlich genau umreißen konnte und sie folgendermaßen benannte:

  • Jahwist (J), aus der Zeit um 950 v. Chr.
  • Elohist (E), aus der Zeit um 800 v. Chr.
  • (Ur-)Deuteronomium (D), aus dem 7. Jahrhundert v. Chr.
  • Priesterschrift (P), aus der Exilszeit um 550 v. Chr.

Die Priesterschrift (P) sei demnach die jüngste von den vier Quellen des Pentateuch. Sie sei in der Zeit des babylonischen Exils entstanden und in nachexilischer Zeit mit den älteren Quellen J, E und D zu einem fortlaufenden Text zusammengearbeitet worden.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts bildete sich ein weitgehender Konsens über den Umfang und die Gestalt der Priesterschrift heraus. Die von Theodor Nöldeke 1869 herausgearbeitete „priesterliche Grundschicht“[6] ist trotz aller Umbrüche in der Pentateuchforschung bis heute weithin unbestritten. Seit den 1970er Jahren wird die Priesterschrift von der alttestamentlichen Wissenschaft zunehmend als die einzige durchlaufende Quelle beurteilt.

Entstehung

Entstanden ist die Priesterschrift vermutlich im 6. Jahrhundert v. Chr. während des Babylonischen Exils in Kreisen der ehemaligen Jerusalemer Priesterschaft, die die älteren schriftgewordenen Materialien des späteren Pentateuch gekannt haben müssen (Jahwist, Elohist). Die Erfahrung des Untergangs von Tempel und Königtum durch die babylonische Eroberung im Jahr 587 v. Chr. nötigten zu einer Neudarstellung der Geschichte von der Schöpfung bis zur Wüstenzeit der Israeliten, die die Heiligkeit des Gottes JHWHs betont und daher auch ein neues Opferverständnis entwickelt.

Die Priesterschrift wurde im 5. Jahrhundert v. Chr. mit den anderen Quellenschriften der fünf Bücher Mose vom sogenannten Pentateuchredaktor (Abkürzung: RP) zusammengearbeitet.

Inhalt

Die Priesterschrift erzählt die Geschichte Israels von der Erschaffung der Welt (Gen 1,1) bis zum Tod des Mose (Dtn 34,7-9). Wo genau das Ende der Priesterschrift liegt, ist in der Forschung umstritten. Manchen Wissenschaftlern zufolge liegt es bereits in Ex 40, anderen zufolge gehört auch das Buch Levitikus (3. Buch Mose) vollständig dazu, eventuell finden sich auch noch im Buch Numeri (4. Buch Mose) priesterschriftliche Erzählungen; im Buch Deuteronomium ist es besonders der Schlussabschnitt.

Die Geschichte wird in der Priesterschrift als Offenbarungsgeschichte mit verschiedenen Perioden entworfen (2.Mose 6,3). Manches deutet darauf hin, dass die Priesterschrift eine von den vorexilischen Schriftpropheten angekündigte Zukunft ideal als Vergangenheit darstellt (z.B. wird in 1.Mose 6,13 das Amoswort 8,2 und in 2.Mose 25,8a.9; 29,45f das Ezechielwort 37,26-28 zitiert). Ziel der Weltschöpfung sind die Entstehung Israels als Volk (2.Mose 1,7) und die Errichtung des Heiligtums (2.Mose 25-31. 35-40), einer verkleinerten Rückprojektion des Jerusalemer Tempels: Im Zions-Heiligtum will der Gott JHWH in der Welt wohnen, hier will er Israel durch die von ihm gestiftete Sühneweihe heiligen.

Zentrale Texte

Zu den zentralen Texten, die P zugewiesen werden, gehören:[7]

Textkorpus Thema Bibelstelle
Urgeschichte
Schöpfung Gen 1,1-2,4a
Genealogie von Adam bis Noah Gen 5,1-32*
Sintflut mit Noahbund Gen 6,9-9,17*
Völkertafel Gen 10,1-7*.20.22f.31f
Genealogie Gen 11,10-27.31f*
Vätergeschichte
Geschichte Abrahams Gen 12,4b.5; 13,6.11b.12abα
Abrahambund Gen 17*
Begräbnis Saras Gen 23*
Mischehen Esaus und Hochzeiten Jakobs Gen 26,34f; 27,46-28,9; 29,24.28b.29
Erscheinung El Schaddais vor Jakob in Bet-El Gen 35,9-13a.15
Josef und Jakob in Ägypten Gen 41,46a; 46,6f.
Exodus, Wüste, Sinai
Unterdrückung Israels in Ägypten Ex 1,1-7*.13f.; 2,23-25
Berufung des Mose Ex 6,2-12
Fünf Plagen Ex 7,8-12.19-22*; 8,1-3.11*.12-15; 9,8-12; 12,1-20*.28.40f.
Meerwunder Ex 14*
Manna + Sabbat Ex 16*
Errichtung des Zeltheiligtums Ex 24,15-29,46*; 39,32.43; 40,17.33-35*
Beginn des Kultes Lev 8f.*
Wüste und verheißenes Land
Kundschafter Num 13f.*
Unglaube Moses und Aarons Num 20,1-13*
Tod Aarons Num 20,22-29*
Ankündigung des Todes des Mose Dtn 32,48-52*
Tod des Mose Dtn 34,1*.7-9*
* innerhalb der genannten Stellen sind nicht alle Verse "P" zuzuweisen.

Theologisches Profil und Stilmerkmale

Typisch für die Priesterschrift ist in erster Linie das Interesse an kultischen Institutionen und Riten.[8]

Eine weitere Besonderheit der Priesterschrift sind ihre Genealogien, die so genannten Toledot-Reihen sowie ihre besondere Vorliebe für Zahlen[9] und genaue zeitliche Einordnungen.[10] Sprachstilistisch wirkt die Priesterschrift eher trocken-sachlich und unelegant, nach Auffassung anderer[11] dagegen als feierliche priesterliche Proklamation.

Die Gottesbezeichnung, die bereits seit dem 18. Jahrhundert als Kriterium zur Unterscheidung der Quellen genutzt wurde, ist im Hinblick auf die Priesterschrift ein komplexes Unterscheidungsmerkmal. P gebraucht je verschiedene Gottesbezeichnungen für die einzelnen Epochen der Geschichte Israels. Innerhalb der Urgeschichte (Gen 1-11) verwendet P „Elohim“, in der Zeit der Erzväter „El Schaddai“, in der Zeit des Mose „Jahwe“.

Die Schuld am Babylonischen Exil sehen die Verfasser in der Abwendung der Könige Israels von ihrem Gott JHWH. So wird das Ideal eines neuen Anfangs für Israel nach dem Exil nicht im Königtum gesehen. Da Israel mit dem Babylonischen Exil sein Land verloren hat, entwirft die Priesterschrift ein neues Bild von der Verfasstheit Israels. Israel ist nicht mehr das eine Volk im eigenen Herrschaftsgebiet, sondern eine Gemeinde um ein Heiligtum, und es kann so auch in der Fremde seine Identität bewahren. JHWH wird in der Priesterschrift als Schöpfer und Lenker der Geschichte dargestellt. Das Babylonische Exil ist Gericht JHWHs, zu dem er sich der Babylonier bedient.

Der Bund (hebr. ברית/berit) JHWHs mit seinem Volk wird in der Priesterschrift als reiner Gnadenbund dargestellt. Er besteht in der Selbstverpflichtung JHWHs (Gen 17,7), für die er von den Menschen keine Gegenleistung erwartet, die aber einen Ruf zur Heiligung des ganzen Lebens wesentlich in sich trägt (Gen 9,16). JHWH wird nicht vermenschlicht, sondern als ein relativ abstrakter, transzendenter Gott dargestellt, dessen Hauptmerkmal seine Gerechtigkeit ist. Der Bund JHWHs verheißt dem Volk Mehrung, Landbesitz und kultische Gegenwart (Gen 17,2-8). Im Gegensatz zur deuteronomistischen Diktion wird berit in der Priesterschrift nicht mit der Wurzel כרת konstruiert, sondern zumeist als נתן/הקים ברית.

Deutliche Gemeinsamkeiten in der Theologie weist die Priesterschrift mit den Propheten Ezechiel und Deuterojesaja auf.

Anmerkungen

  1. Vgl. Witter, Jura Israelitarum.
  2. Vgl. Astruc, Conjectures, S. 143f.
  3. Vgl. Eichhorn, Einleitung.
  4. Vgl. Ilgen, Urkunden.
  5. Vgl. Wellhausen, Prolegomena, S. 8.
  6. Vgl. Nöldeke, Untersuchungen.
  7. Vgl. Hans-Christoph Schmitt, Arbeitsbuch zum Alten Testament, Göttingen 2005, S. 191f.
  8. Vgl. die Sabbatätiologie in Gen 2,2.
  9. Vgl. Gen 6,15f (Maße der Arche Noah).
  10. Vgl. Gen 7,11: Beginn der Sintflut im 600. Lebensjahr Noahs am 17. Tag des 2. Monats.
  11. Vgl. z.B. Zenger, Priesterschrift.

Literatur

Klassische Entwürfe

  • Henning Bernhard Witter: Jura Israelitarum in Palaestinam terram Chananaeam, commentatione perpetua in Genesin demonstrata. Hildesheim 1711.
  • Jean Astruc: Conjectures sur les mémoires originaux, dont il paroit que Moyse s'est servi pour composer le livre de la Genèse. Bruxelles 1753.
  • Johann Gottfried Eichhorn: Einleitung in das Alte Testament. 3 Bände Leipzig 1780-1783.
  • Alexander Geddes: The Holy Bible or the books accounted sacred by Jews and Christians. London 1792.
  • Carl David Ilgen: Die Urkunden des jerusalemischen Tempelarchivs in ihrer Urgestalt. Band 1: Die Urkunden des ersten Buchs von Moses in ihrer Urgestalt. Halle 1798.
  • Wilhelm Martin Leberecht de Wette: Dissertatio critica. Jena 1805.
  • Theodor Nöldeke: Die alttestamentliche Literatur. 1868.
  • Theodor Nöldeke: Untersuchungen zur Kritik des Alten Testaments. Kiel 1869.
  • Julius Wellhausen: Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments. Berlin 1876.
  • Julius Wellhausen: Prolegomena zur Geschichte Israels. Berlin 1878.
  • Martin Noth: Überlieferungsgeschichtliche Studien. Teil 1: Die sammelnden und bearbeitenden Geschichtswerke im Alten Testament (Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft, Geisteswissenschaftliche Klasse 18,2). Halle: Niemeyer 1943.
  • Martin Noth: Überlieferungsgeschichte des Pentateuch. Stuttgart: Kohlhammer 1948.

Neuere Literatur

  • Ludwig Schmidt: Studien zur Priesterschrift. BZAW 214. Berlin/New York 1993. ISBN 3-11-013867-0
  • Thomas Pola: Die ursprüngliche Priesterschrift. Beobachtungen zur Literarkritik und Traditionsgeschichte. WMANT 70. Neukirchen-Vluyn 1995. ISBN 3-7887-1503-0
  • Erich Zenger: Art. Priesterschrift. In: Theologische Realenzyklopädie XXVII (1996), 435-446.
  • Walter Groß: Studien zur Priesterschrift und zu alttestamentlichen Gottesbildern, Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 1999 (Stuttgarter biblische Aufsatzbände 30), ISBN 3-460-06301-7
  • Christian Frevel: Mit Blick auf das Land die Schöpfung erinnern: Zum Ende der Priestergrundschrift. HBS 23. Freiburg/Br.: Herder 2000. ISBN 3-451-27251-2
  • Bernd Janowski: Sühne als Heilsgeschehen: Traditions- und religionsgeschichtliche Studien zur Sühnetheologie der Priesterschrift. WMANT 55. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 22000.
  • Reinhard G. Kratz: Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, 102-117.226-248. ISBN 3-8252-2157-1