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Geschichte des Kantons Aargau

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Karte des Kantons Aargau

Der Kanton Aargau in seiner heutigen Form besteht erst seit 1803. Damals verfügte Napoléon Bonaparte mit der Mediationsakte die Erweiterung des damals nur aus dem Berner Aargau bestehenden Kantons um die Kantone Baden und Fricktal. In den vorhergehenden Jahrhunderten war der Aargau Siedlungsgebiet für Helvetier, Römer und Alemannen, die Keimzelle des Habsburgerreichs und Untertanengebiet der Alten Eidgenossenschaft. Politiker aus dem Aargau waren massgeblich an der Schaffung des Schweizerischen Bundesstaates von 1848 beteiligt.

Obwohl der Aargau heute von der Einwohnerzahl her der viertgrösste Kanton der Schweiz ist, wird er vor allem als Energie- und Durchfahrtskanton wahrgenommen und bekundet Mühe, sich zwischen den Zentren Basel, Bern und (vor allem) Zürich als eigenständige Region zu behaupten.

Prähistorische Zeit

Entstehung der Naturlandschaft

Der Kanton Aargau weist eine starke naturräumliche Gliederung auf. Der nördliche Kantonsteil wurde durch die Gebirgsbildung des Juras geprägt, der im Mittelland gelegene südliche Teil durch die Gletscherbewegungen der Eiszeiten geformt. Die Riss-Eiszeit, die vor rund 140'000 Jahren ihren Höhepunkt erreichte, bedeckte fast das gesamte Gebiet des heutigen Kantons, mit Ausnahme des westlichen Fricktals um Rheinfelden sowie einiger Juragipfel, die aus dem Eismeer ragten.

Während der Würm-Eiszeit war die Vergletscherung zwar weitaus geringer (nur der südöstliche Teil des Kantonsgebiets war von Eis bedeckt), doch sie prägte die Landschaft nachhaltig. Der Reussgletscher und der Linthgletscher, die vor rund 20'000 Jahren ihre grösste Mächtigkeit erreicht hatten, hinterliessen zahlreiche Findlinge, die aus dem Alpenraum in die Ebene verschoben wurden. Die einstige Ausdehnung dieser Gletscher ist heute noch gut erkennbar an den Endmoränen bei Killwangen, Mellingen, Othmarsingen, Seon, Staffelbach, Würenlos und Zetzwil. Die bei der Moräne von Seon zurückgelassenen Gesteinsmassen stauten den Hallwilersee, der am Ende der Eiszeit etwa doppelt so gross war wie heute und innerhalb von einigen tausend Jahren durch Auffüllung des ehemaligen Seebeckens mit Sedimenten auf die heutige Grösse zurückschrumpfte. Die Flüsse lagerten in den Tälern im Vorfeld der Gletscher ausgedehnte Schotterfelder ab, die wichtige Grundwasserleiter darstellen.

Steinzeit

Die ältesten archäologischen Funde im Kanton Aargau wurden allesamt im westlichen Teil des Fricktals gemacht, das stets eisfrei geblieben war. Bei Zeiningen wurde ein 150'000 Jahre alter Faustkeil gefunden, bei Stein ein 50'000 Jahre altes Steinbeil eines Neandertalers. Gegen Ende der Würm-Eiszeit (vor rund 10'000 Jahren) jagten die Menschen Rentiere und Wildpferde. Bei Magden befand sich ein mehrmals genutzter Rastplatz. Als die Vegetation nach dem Rückzug der Gletscher allmählich die Moränen- und Schottergebiete zurückeroberte, entstand zunächst eine Moorlandschaft, die später durch flächendeckende Wälder verdrängt wurde. Jäger, Fischer und Sammler siedelten an den Flüssen und Seen sowie auf den Hochterrassen der grossen Täler.

Die ältesten Spuren sesshafter Bauern im Aargau stammen aus der Zeit von 4500 bis 4200 v. Chr., aus der Gegend um Wettingen und Würenlos. Aus der Zeit um 3500 v. Chr. stammt ein Gräberfeld mit 16 Steinkistengräbern auf dem Goffersberg bei Lenzburg. Am Hallwilersee entstanden zur selben Zeit mehrere Seeufersiedlungen. Weitere Siedlungen befanden sich bei Untersiggenthal, Mönthal und Suhr. Bei Sarmenstorf und Spreitenbach wurden archäologisch bedeutende Gräber aus der Zeit um 2400 v. Chr. entdeckt.

Bronzezeit

Aus der Übergangszeit zwischen Jungsteinzeit und Bronzezeit (2400 bis 1800 v. Chr.) gibt es im Aargau nur wenige Funde, darunter ein Doppelgrab bei Zurzach. Zwischen 1600 und 1200 v. Chr. nahm die Bevölkerung zu; die Menschen wohnten nicht mehr nur in den Flusstälern und am Ufer des Hallwilersees, sondern zogen vermehrt in höhere Lagen, wo sie besser geschützt waren. Die bekannteste Fundstelle dieser Zeit ist eine befestigte Hügelsiedlung am Wittnauer Horn bei Wittnau, die während mehreren Jahrhunderten bis zur La-Tène-Zeit bewohnt war. Eine weitere solche Siedlung befand sich auf dem Chestenberg bei Möriken-Wildegg.

Eisenzeit

Die Eisenzeit beginnt mit der Hallstatt-Periode um 750 v. Chr. Aus dieser Zeit stammen zahlreiche grössere und kleinere Grabhügel, schwerpunktmässig im Freiamt. Die grösste Gräberanlage entdeckte man bei Unterlunkhofen im Reusstal, das zu jener Zeit ein bedeutender Nord-Süd-Handelsweg war. Weitere wichtige Gräberfunde stammen aus Reinach, Schupfart, Seon und Wohlen.

Römische Quellen berichten, dass sich zu Beginn des 1. Jahrhunderts v. Chr. die Helvetier im Mittelland niedergelassen hatten. Dieser Keltenstamm war vermutlich aus dem süddeutschen Raum eingewandert. Grössere helvetische Siedlungen befanden sich in Mellingen und Baden. Julius Cäsar erwähnte in De Bello Gallico zwölf befestigte Städte, genannt Oppidum. Ob dazu auch die Siedlung auf dem Hochplateau von Windisch gehörte, ist nicht gesichert. Ein weiterer Keltenstamm, die Rauriker, lebte in der Region Basel und im Fricktal.

Die Helvetier wurden immer wieder von Germanenstämmen im Norden bedroht. Deshalb beschlossen sie, ihre Siedlungen aufzugeben und unter der Führung von Orgetorix nach Südwestfrankreich zu ziehen. Der Vormarsch der rund 160'000 Helvetier wurde jedoch im Jahr 58 v. Chr. bei Bibracte durch die römischen Truppen unter Julius Cäsar gestoppt. Die Helvetier mussten zurückkehren, ihre Dörfer und Städte wieder aufbauen und die Vorherrschaft der Römer anerkennen.

Herrschaft der Römer

Eingang des Theaters in Augusta Raurica

Wenige Jahre später begannen die Römer von sich aus Gebiete zu besiedeln. Die Stadt Augusta Raurica (Kaiseraugst) im äussersten Nordwesten des heutigen Kantons Aargau wurde im Jahr 45 v. Chr. gegründet. Die weitere Besiedlung wurde nach der Ermordung Cäsars und dem darauf folgenden Bürgerkrieg für etwa dreissig Jahre unterbrochen.

Um 15 v. Chr. entstand auf dem Windischer Plateau, nahe des Zusammenflusses von Aare, Reuss und Limmat, eine kleine Militärstation. Diese wurde im Jahr 14 n. Chr. zum Legionslager Vindonissa ausgebaut. Bei Vindonissa kreuzten sich zwei bedeutende Römerstrassen. Zur Versorgung des Lagers entstanden im gesamten Aargau Dörfer (vicus) und Gutshöfe (villa). Die grössten Gutshöfe lagen bei Oberentfelden und Zofingen. Grössere Siedlungen entstanden bei Zurzach (Tenedo) und Baden (Aquae Helveticae). Baden war weitherum für die heissen Wasserquellen und Thermen bekannt. In Vindonissa entstand ein Amphitheater mit rund 10'000 Plätzen, bei Lenzburg ein Theater mit 4'000 Sitzplätzen.

Amphitheater in Vindonissa

Bis zum Jahr 44 war im Lager Vindonissa die Legio XIII Gemina stationiert, die dann von der Legio XXI Rapax abgelöst wurde. Im Vierkaiserjahr 69 lehnte die helvetische Miliz die Herrschaft des Vitellius ab, was eine Strafaktion der 21. Legion nach sich zog. Diese zog plündernd und brandschatzend bis nach Avenches (Aventicum). Kaiser Vespasian verfügte die Verlegung nach Niedergermanien und die Stationierung der Legio XI Claudia in Vindonissa. Diese blieb bis zum Jahr 101, als sie an die Donau verlegt wurde. Das Lager wurde zu einer zivilen Siedlung.

Im Aargau war das 2. Jahrhundert eine relativ friedliche und ereignislose Zeit. Der Handel blühte; vor allem aus Italien, Südfrankreich und Spanien wurden Rohstoffe und Luxusgüter importiert. Produzenten im Aargau exportierten Nahrungsmittel wie Getreide, Fleisch, Honig und Käse, vor allem nach Italien. Doch auch das Handwerk war vielfältig: Es gab Töpfereien (Baden, Kaiseraugst, Windisch und Lenzburg), Ziegeleien (Hunzenschwil, Kaisten, Kölliken) und Steinbrüche (Mägenwil, Würenlos). Die Produkte des Bronzeschmieds Gemellianus aus Baden waren im ganzen Römischen Reich begehrt.

Diese lange Friedenszeit wurde im 3. Jahrhundert durch die Einfälle der Alemannen beendet. Angriffe in den Jahren 213 und 233 konnten vorerst zurückgeschlagen werden. Doch im Jahr 259 durchbrachen die Alemannen endgültig den Obergermanisch-Rätischen Limes und zogen plündernd und mordend durch das Mittelland. Die römischen Truppen mussten sich über die Alpen zurückziehen und konnten die Invasoren erst im Jahr 270 wieder zurückdrängen. Der Rhein wurde zur Nordgrenze des römischen Imperiums. Zur Verteidigung entstanden zahlreiche Kastelle und Wachtürme, auch das Legionslager Vindonissa wurde wieder besetzt.

Im 4. Jahrhundert erfolgten immer wieder Überfälle der Alemannen. Die Grenzbefestigungen am Rhein wurden zwischen 369 und 371 ausgebaut. In den Jahren 401 bis 406 zogen sich die Römer endgültig über die Alpen zurück, als Italien durch die Westgoten bedroht wurde. Die stark dezimierte romanisierte Bevölkerung drängte sich an den befestigten Orten zusammen und verarmte; die Infrastruktur zerfiel.

Frühmittelalter

Besiedlung durch die Alemannen

Fast ein Jahrhundert nach dem Abzug der Römer begann die Besiedlung des Aargaus durch die Alemannen. Diese wollten ursprünglich nach Westfrankreich ziehen, mussten aber 497 nach einem verlorenen Krieg die Herrschaft der Franken anerkennen und sich in Richtung Süden wenden. Zwischen 507 und 536 lag der südliche Teil des Aargaus im Machtbereich der Ostgoten, bis diese ebenfalls von den Franken verdrängt wurden. Um die Mitte des 7. Jahrhunderts verlor die fränkische Dynastie der Merowinger zunehmend an Einfluss und die Alemannen bildeten ein selbständiges Herzogtum. Im Jahr 746 wurden die Alemannen durch die Karolinger endgültig unterworfen und das Herzogtum aufgelöst.

Anhand der Endungen der heutigen Ortsnamen lässt sich ungefähr die Gründungszeit der einzelnen Dörfer ableiten. Ortschaften mit der Endung „-ach“ (z.B. Mandach, Rüfenach, Zurzach) sind vorgermanischen Ursprungs und leiten sich von der gallorömischen Wortendung „-acum“ ab. Die alemannischen Endungen lassen auf drei Besiedlungsphasen schliessen: Im 6. Jahrhundert entstanden Orte mit der Endung „-ingen“. Diese Siedlungen waren meist nach dem Familienvorsteher benannt; Villmaringen (heute Villmergen) bedeutet z.B. „bei den Leuten des Villmar“. Vom späten 6. bis zum 8. Jahrhundert entstanden Orte mit den Endungen „-ikon“, „-kon“ oder „-ken“. Diese sind verkürzte Formen von „-inghofen“ und bezeichnen einen Hof. Dottikon bedeutet demnach „bei den Höfen der Männer von „Toto“. Nach dem 8. Jahrhundert entstanden Dörfer mit der Endung „-wil“ oder „-schwil“ (z. B. Dättwil, Waltenschwil). Diese Endung bezeichnet einen Weiler. Weitere Endungen wie „-büren“, „-dorf“, „-heim“, „-stetten“ oder „-hausen“ erschienen um die Jahrtausendwende.

Abgesehen von zahlreichen Gräbern mit Grabbeigaben gibt es in archäologischer Hinsicht nur wenige Spuren, da die Alemannen sämtliche Häuser aus Holz errichteten. Ihre Wirtschafts- und Sozialordnung prägte das Leben der Bewohner des Aargaus jedoch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Ihre Sprache entwickelte sich im Laufe der Zeit zum Schweizerdeutschen.

Der Aar-Gau

Der Aargau im 8. Jahrhundert
Der Aargau im 10. Jahrhundert

Zu Verwaltungszwecken teilten die Karolinger das Reich in Gaue auf, die von Grafen beherrscht wurden. Erstmals erschien der Name Aar-Gau, 768 als „pagus Aregaua“ und 778 als „pagus Aragougensis“. Der Aargau umfasste das Gebiet zwischen Aare, Reuss, Pilatus, Brienzersee und Thunersee. Nur etwa die Hälfte des heutigen Kantons gehörte dazu.

Nördlich von Windisch, im Wasserschloss der Schweiz, stiessen drei Gaue aufeinander. Überquerte man die Aare, gelangte man ins Augstgau. Die Reuss bildete die Grenze zum Thurgau; der Name der Gemeinde Turgi erinnert heute noch an diese Grenzziehung. Nach der Reichsteilung im Jahr 843 verlief die Grenze zwischen Mittelreich und Ostreich der Aare entlang. Nach der Auflösung des Mittelreichs im Jahr 870 lag das gesamte Kantonsgebiet im Ostreich. Um 900 wurde der Aargau von den Burgundern erobert.

Im 10. Jahrhundert wurden die Gaue verkleinert, es gab eine Aufteilung in Unteraargau und Oberaargau. Der nordwestliche Teil des heutigen Kantons lag im Frickgau und teilweise im Sisgau, der Teil östlich der Reuss im Zürichgau. Erst im 14. Jahrhundert begann sich der Begriff Aargau auch für die übrigen Gebiete als Landschaftsbezeichnung durchzusetzen. Im Jahr 1033 fiel das ganze Gebiet der Schweiz an das Heilige Römische Reich.

Christianisierung

Das Christentum hatte sich im Aargau zur Zeit der Römer nur sehr langsam verbreitet. Erste Glaubensgemeinschaften sind erst ab dem frühen 4. Jahrhundert nachweisbar. Die heilige Verena, die aus Theben (Ägypten) stammte, zog in das damalige römische Kastell Tenedo (Zurzach), wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 344 die Kranken heilte und die Armen unterstützte. Zurzach entwickelte sich danach zu einem Wallfahrtsort. Augusta Raurica (Kaiseraugst) wurde im Jahr 346 als Sitz eines Bischofs genannt (der Sitz der Diözese wurde im 7. Jahrhundert nach Basel verlegt). Vindonissa (Windisch) war im 6. Jahrhundert ebenfalls Bischofssitz gewesen, wurde dann aber durch das Bistum Konstanz ersetzt.

Vorerst hatte das Christentum nur in den alten gallorömischen Kastellorten Fuss fassen können, während die alemannischen Einwanderer weitgehend heidnisch blieben. Lediglich die oberste Elite der Alemannen liess sich zu Beginn nach dem Vorbild der Merowinger christianisieren. Endgültig durchsetzen konnte sich der christliche Glaube erst Ende des 7. Jahrhunderts.

Hochmittelalter

Der Adel im Aargau

Schloss Lenzburg

Das genaue Alter der ersten Burgen lässt sich nur schwer abschätzen. Die Geschichte der Burg Alt-Homberg im Fricktal reicht mindestens bis ins 10. Jahrhundert zurück. Die grösste und bedeutendste Burganlage im Aargau, das Schloss Lenzburg, entstand im frühen 11. Jahrhundert und wurde 1036 erstmals urkundlich erwähnt. Es war der Stammsitz der Grafen von Lenzburg, die im Seetal und um Baden herrschten. Mit dem „Stein“ besassen sie in Baden eine zweite Burg.

Die Lenzburger starben 1173 aus. Kaiser Barbarossa regelte auf Schloss Lenzburg persönlich die Erbfolge und vergab einen Grossteil der Ländereien an seinen Sohn, Pfalzgraf Otto. Doch nach dessen Tod im Jahr 1200 konnten die Kyburger ihren Erbanspruch durchsetzen und die Staufer aus dem Aargau verdrängen. Die Kyburger stiegen nach dem Aussterben der Zähringer im Jahr 1218 zum mächtigsten Adelsgeschlecht im Aargau auf, starben ihrerseits jedoch 1264 ebenfalls aus.

Weitere bedeutende Adelsgeschlechter mit umfangreichem Besitz im Aargau waren die Froburger, die Regensberger und die Herren von Klingen. Daneben gab es Dutzende von niederen lokalen Adelsfamilien, von denen die Herren von Hallwil die bedeutendsten waren.

Keimzelle des Habsburgerreichs

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Die Habsburg

Die grössten Konkurrenten der Kyburger um die Vorherrschaft im Voralpenraum waren die Grafen (später Herzöge) von Habsburg. Diese stammten ursprünglich aus dem Elsass und konnten dort sowie im Breisgau und im Frickgau grosse Gebiete erwerben. Im 10. Jahrhundert liessen sie sich in Altenburg bei Brugg nieder und machten das Eigenamt zum Zentrum ihrer Aktivitäten. Unweit von Altenburg liess Radbot im Jahr 1020 die „Habichtsburg“ (später Habsburg genannt) errichten und machte sie zu seinem neuen Stammsitz. Sein Enkel Otto II. war der erste, der sich „von Habsburg“ nannte.

Aufgrund geschickter Heiratsverbindungen waren es meist die Habsburger, die beim Aussterben eines Adelsgeschlechts das Erbe antraten und so ihren Besitz erweiterten. 1223 traten sie das Erbe der Alt-Homberger an und erlangten so die Kontrolle über den strategisch wichtigen Bözbergpass. 1232 spaltete sich die Seitenlinie Habsburg-Laufenburg ab. Die Laufenburger besassen jedoch bloss relativ unbedeutende Gebiete um Laufenburg und in Obwalden und verarmten. Die Laufenburger Linie erlosch 1386 mit dem Verkauf der letzten Besitzungen an die Hauptlinie.

Unter Rudolf I. stiegen die Habsburger zu einer europäischen Grossmacht auf. 1264 lösten sie die Kyburger nach deren Aussterben als grösste Territorialmacht in der Nordschweiz ab. Nach der Wahl Rudolfs zum deutschen König im Jahr 1273 verlagerte sich die Macht der Habsburger nach Österreich. Doch auch in den Stammlanden dehnten sie sich weiter aus: So verkaufte 1291 das elsässische Kloster Murbach für 2000 Mark Silber zahlreiche Dörfer im Aargau sowie die Stadt Luzern an die Habsburger. Diese Transaktion war einer der Gründe, die zur Entstehung der Eidgenossenschaft führten.

Die Eidgenossenschaft war es auch, die die Habsburger in ihren Stammlanden immer mehr bedrängte. Einen ersten Dämpfer erhielt die Expansionspolitik 1315 nach der verlorenen Schlacht bei Morgarten. Im Jahr 1351 zogen Zürcher Truppen durch den Ostaargau. Sie verwüsteten Baden und Siggenthal und zerstörten die Burg Freudenau bei Stilli. Die Stellung des aargauischen Landadels wurde nach der verlorenen Schlacht bei Sempach im Jahr 1386 empfindlich geschwächt. Immer deutlicher zeichnete sich eine Verlagerung der Macht der Habsburger nach Osten ab.

Gründung von Städten und Klöstern

Kaiserstuhl im Jahr 1548
Kloster Königsfelden im Jahr 1669

Um 1100 gab es im Aargau noch keine einzige Stadt. Dann jedoch setzte eine Welle von Stadtgründungen ein, die zwischen 1230 und 1240 ihren Höhepunkt erreichte, als nicht weniger als sechs Städte entstanden. Die Initiative zur Stadtgründung ging von Adligen aus, die damit ihren Herrschaftsbereich stärken und neue Einnahmequellen schaffen wollten.

Die erste aargauische Stadt war Rheinfelden, das zwischen 1130 und 1140 von den Zähringern gegründet wurde. Im frühen 13. Jahrhundert folgten die Froburger, die Zofingen gründeten. Die ersten habsburgischen Städte waren Brugg (nach 1200) und Laufenburg (vor 1207). Innerhalb von zehn Jahren entstanden vier Städte der Kyburger; Baden und Mellingen um 1230 sowie Aarau und Lenzburg um 1240. Ebenfalls in diese Zeit fällt die Gründung der habsburgischen Stadt Bremgarten (ca. 1230) sowie von Klingnau. Nur von Klingnau ist das genaue Gründungsdatum bekannt; diese Stadt wurde am 26. Dezember 1239 durch die Herren von Klingen gegründet. Als letzte folgten die habsburgischen Städte Meienberg (nach 1250) und Aarburg (nach 1300) sowie Kaiserstuhl (ca. 1254), die einzige Stadtgründung der Regensberger auf Aargauer Gebiet.

Einige Orte blieben in der Entwicklung stecken. Das bekannteste Beispiel ist Zurzach: Der Ort besass eine städtische Bauweise, war dank der Zurzacher Messe ein überregional bedeutendes Wirtschaftszentrum und stellte damit alle Aargauer Städte in den Schatten. Das Stadtrecht wurde jedoch nicht verliehen, da es in unmittelbarer Umgebung bereits drei Städte gab, die unter der Kontrolle des Bischofs von Konstanz waren (Klingnau, Tiengen, Waldshut). Biberstein erhielt zwar 1399 eine Ringmauer, hatte aber weder Markt- noch Stadtrecht und sank zu einem Dorf ab. Meienberg wurde 1386 nach der Schlacht bei Sempach von den Eidgenossen zerstört und blieb bis heute ein kleines Bauerndorf. Kaiserstuhl ist seit seiner Gründung nur unwesentlich gewachsen.

Neben Adligen und Städten übten auch verschiedene Klöster weltliche Macht aus. Diese waren während Jahrhunderten auch Zentren der Kunst und des Wissens. Zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert entstanden auf Aargauer Boden 13 Klöster und drei Chorherrenstifte. Die bedeutendsten Abteien waren Muri (1027, Benediktiner), Wettingen (1227, Zisterzienser) und Königsfelden (1309, Franziskaner). Auch Klöster ausserhalb des Aargaus hatten grossen Einfluss, insbesondere Sankt Blasien und Säckingen sowie das Bistum Konstanz. Ebenfalls über grossen Besitz verfügten der Johanniterorden (Biberstein, Leuggern, Rheinfelden) und der Deutschritterorden (Hitzkirch). Zwischen 1588 und 1650 entstanden im Aargau zudem fünf Klöster der Kapuziner.

1415: Eroberung des Aargaus

Der Aargau nach der Eroberung durch die Eidgenossen

Die latenten Spannungen zwischen dem deutschen König Sigmund und dem österreichischen Herzog Friedrich IV. entluden sich 1415 am Konzil von Konstanz, als Friedrich einem der drei damals amtierenden Päpste, Johannes XXIII., zur Flucht aus der Stadt verhalf. Sigmund sah darin eine Chance, seinem Widersacher zu schaden. Er forderte die Nachbarn der Habsburger auf, deren Ländereien im Namen des Reiches einzunehmen.

Den Eidgenossen fiel die Aufgabe zu, den Aargau zu besetzen, obwohl sie erst drei Jahre zuvor einen Friedensvertrag mit Österreich abgeschlossen hatten. Bern zeigte am wenigsten Skrupel und liess sofort Truppen losmarschieren. Zürich und die Innerschweizer Orte zögerten wegen des Friedensvertrages zunächst, zogen aber dennoch los, um den Bernern nicht alles überlassen zu müssen. Nur Uri beteiligte sich nicht am Feldzug.

Zofingen fiel am 18. April in die Hand der Berner. Sechs Tage später waren Aarau, Brugg, Lenzburg und die Habsburg erobert, meist ohne grosse Gegenwehr. Luzern belagerte Sursee und unterwarf das Michelsamt sowie die Ämter Meienberg und Richensee. Zürich besetzte das Freiamt Affoltern und das Kelleramt. Nach der Kapitulation Mellingens vereinigten sich die Zürcher mit den Truppen von Luzern, Glarus, Schwyz, Unterwalden und Zug. Zusammen erzwangen sie am 24. April die Kapitulation von Bremgarten. Villmergen schloss sich freiwillig Luzern an.

Am 25. April begann die Belagerung von Baden, wo die Truppen des österreichischen Landvogts Burkart von Mansberg Widerstand leisteten. Die Verteidiger gaben am 3. Mai die Stadt auf und zogen sich auf die Festung Stein zurück. Die Berner, die sich bereits auf dem Rückweg befanden, wurden am 9. Mai um Unterstützung gebeten. Am 11. Mai unterzeichnete von Mansberg einen Waffenstillstand. Nachdem die Verteidiger sich am 18. Mai ergeben hatten, wurde die Festung sofort geschleift.

Noch während des Feldzugs hatte sich Herzog Friedrich mit König Sigmund versöhnt, der eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten und die Rückgabe der eroberten Gebiete forderte. Nur die Eidgenossen hielten sich nicht daran. Dieses Problem wurde mit dem Erwerb der Pfandschaft über den Aargau formaljuristisch gelöst, wodurch die Eidgenossen de facto die Landesherrschaft übernahmen. Das habsburgische Hausarchiv in der Festung Stein wurde nach Luzern überführt und erst 1474 an die Habsburger zurückgegeben. Im selben Jahr verzichteten die Habsburger endgültig auf sämtliche Gebietsansprüche.

Da sich die Eidgenossen vor dem Feldzug nicht abgesprochen hatten, waren sie sich über zehn Jahre lang in der Aufteilung der eroberten Gebiete uneinig. Bern setzte sich schliesslich durch und durfte sämtliche eroberten Gebiete im Unteraargau (den so genannten Berner Aargau) behalten. Zürich erhielt das Kelleramt und das Freiamt Affoltern, Luzern das Michelsamt und Schongau. Allerdings musste Luzern 1425 die Ämter Richensee und Meienberg sowie die Gegend um Villmergen an den gemeinsamen Besitz zurückgeben.

Aus dem gemeinsamen Besitz, einem durchschnittlich 15 Kilometer breiten Gebietsstreifen, wurden zwei Gemeine Herrschaften gebildet, die Freien Ämter und die Grafschaft Baden. Für den Alltag der Bewohner des Aargaus hatte die Eroberung vorerst keine grossen Auswirkungen. Die Eidgenossen übernahmen lediglich diejenigen landesherrschaftlichen Rechte, die vorher den Habsburgern gehört hatten; in manchen Dörfern betraf der Wechsel lediglich die Hohe Gerichtsbarkeit, während die Niedere Gerichtsbarkeit in den Händen von Städten, lokalen Adligen oder Klöstern blieb.

Entwicklung in den einzelnen Herrschaftsgebieten

Berner Aargau

Aarau im Jahr 1612

Nur im Berner Aargau änderten sich die territorialen Verhältnisse grundlegend. Den Bernern gelang es, im Jura neue Gebiete dazu zu gewinnen und die Jurapässe zu sichern. 1460 eroberten sie die Herrschaft Schenkenberg, 1468 während des Waldshuterkriegs die Herrschaft Wessenberg mit den Dörfern Hottwil und Mandach. Während des Schwabenkriegs im Jahr 1499 wurde die Herrschaft Biberstein besetzt. 1502 erfolgte der Kauf des Niedergerichts Urgiz (Densbüren). Mit dem Kauf der Herrschaft Bötzberg (Bözen, Effingen und Elfingen) im Jahr 1514 fand die Expansionspolitik der Berner ihren Abschluss.

Im Verlauf von mehr als dreihundert Jahren gelang es den Bernern, die herrschaftlichen Rechte lokaler Herrscher fast vollständig aufzukaufen oder an sich zu reissen. Der Einfluss des Adels sank bis zum 18. Jahrhundert auf ein Minimum, der Berner Aargau entwickelte sich langsam zu einem Staatswesen moderner Prägung. Zu Beginn war das Gebiet von einem einzigen Landvogt von Aarburg aus verwaltet worden. Später kamen die Vogteien Lenzburg (1442), Schenkenberg (1460), Biberstein (1499), Zofingen (1528), Königsfelden (1528) und Kasteln (1732) hinzu. Die straffe Verwaltung förderte die wirtschaftliche Entwicklung: Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war der Berner Aargau die am stärksten industrialisierte Gegend der Schweiz.

Der Alte Zürichkrieg hatte auch auf den Berner Aargau Auswirkungen. Am 30. Juli 1444 wurde Brugg in der so genannten „Brugger Mordnacht“ von habsburgischen Truppen geplündert und niedergebrannt. Im Februar 1499, während des Schwabenkriegs, zog ein österreichisches Heer plündernd durch das Amt Schenkenberg; sie wurden dabei von Bauern aus dem Fricktal unterstützt. Als Vergeltung verwüsteten die Berner zusammen mit den Freiburgern die Dörfer nördlich der Staffelegg bis hinunter nach Frick.

Freie Ämter

Die Freien Ämter (heute auch Freiamt genannt) waren eine Gemeine Herrschaft und setzten sich aus den ehemaligen habsburgischen Verwaltungsbezirken Meienberg, Muri und Richensee sowie dem Nordostteil des Amts Lenzburg zusammen. Die sechs regierenden Orte Glarus, Luzern, Schwyz, Unterwalden, Zug und Zürich besetzten das einflussreiche Amt des Landvogts abwechslungsweise für jeweils zwei Jahre. Der Landvogt hatte keine feste Residenz, sondern erschien lediglich dreimal jährlich, um die schweren Gerichtsfälle zu erledigen und die Steuern einzukassieren. Ab 1532 stellte auch Uri Landvögte. Das Kelleramt südöstlich von Bremgarten stand unter alleiniger Herrschaft Zürichs. Bern übte in den Freien Ämtern keinen Einfluss aus.

Kloster Muri

Die Zuständigkeiten im Gerichtswesen und die Grundherrschaften waren stark zersplittert. Bedeutendster Grundherr, grösster Wirtschaftsfaktor und Inhaber der Niederen Gerichtsbarkeit in den meisten Orten war das Kloster Muri. Diese Benediktinerabtei galt Ende des 17. Jahrhunderts als reichstes Kloster der Schweiz. Weitere Gerichts- und Grundherren waren das Kloster Hermetschwil, die Städte Bremgarten, Mellingen, Luzern und Zug sowie einzelne lokale Adlige. Das Amt Merenschwand gehörte schon seit 1394 zu Luzern und war nicht Teil der Freien Ämter.

Da die Obrigkeit alle zwei Jahre wechselte, war die Verwaltung weit weniger stark ausgebildet als beispielsweise im Berner Aargau, die Untertanen konnten sich mehr erlauben als anderswo und wurden fast nie zum Militärdienst eingezogen. Die regierenden Orte waren meist nur an den Steuereinnahmen interessiert und kümmerten sich sonst wenig um das Gebiet. Doch die nachlässige Kontrolle hatte auch Nachteile: So war das Freiamt ein Sammelbecken für Bettler und Landstreicher aus der ganzen Eidgenossenschaft. Die Wirtschaft entwickelte sich kaum, weil die Sicherheit bei Investitionen nicht gewährleistet war.

In Wohlenschwil, im äussersten Nordwesten der Freien Ämter, fand am 3. Juni 1653 das entscheidende Gefecht im Schweizer Bauernkrieg statt. Die aufständischen Bauern aus den Berner und Luzerner Untertanengebieten unterlagen hier den Zürcher Truppen.

Grafschaft Baden

Die Grafschaft Baden war eine Gemeine Herrschaft, die durch die sieben Orte verwaltet wurde, die am Feldzug von 1415 beteiligt gewesen waren. Ab 1443 wurde auch Uri in die Regierung miteinbezogen. Jeder Ort stellte für jeweils zwei Jahre einen Landvogt, der im Landvogteischloss in Baden residierte. Nur in einzelnen Dörfern verfügte der Landvogt über die finanziell einträgliche Niedere Gerichtsbarkeit, so dass die Grafschaft Baden für die Eidgenossenschaft zunächst eher ein Verlustgeschäft war. Bedeutende Gerichts- und Grundherren waren das Kloster Wettingen, das Kloster Sankt Blasien, die Johanniterkommende Leuggern und der Bischof von Konstanz. Die Städte Baden, Bremgarten und Mellingen waren weitgehend autonom und gehörten nur verwaltungstechnisch zur Grafschaft Baden.

Die eidgenössischen Landvögte konnten im Verlauf der Jahrhunderte die Rechte der weltlichen und geistlichen Herrschaften nach und nach an sich ziehen. Nicht jedoch in den Dörfern des östlichen Limmattals; hier hatte Zürich schon bald fast uneingeschränkte Machtbefugnisse. Heute gehören diese Gemeinden ausnahmslos zum Kanton Zürich, Altstetten ist sogar ein Stadtteil Zürichs.

Tagsatzung in Baden im Jahr 1531

Die Verwaltung der gemeinsam eroberten Gebiete machte häufigere Absprachen zwischen den einzelnen Orten nötig. Zu diesem Zweck trafen sich die Abgesandten ab 1416 zu Tagsatzungen, die im Badener Rathaus durchgeführt wurden. Zwar fanden Tagsatzungen auch in anderen Städten statt, doch Baden war aufgrund der Bäder und der damit verbundenen Zerstreuungen besonders beliebt. Die wichtigsten Geschäfte, die die ganze Eidgenossenschaft betrafen, wurden ausschliesslich in Baden verhandelt, so z.B. ab 1424 die Abnahme der Jahresrechnungen sämtlicher Gemeinen Herrschaften, aber auch Entscheidungen über Krieg und Frieden.

Die unmittelbare Nähe zu Zürich hatte auch eine Verwicklung in den Alten Zürichkrieg zur Folge. Baden, Mellingen und Bremgarten hatten sich 1444 mit Zürich verbündet und sich gegen die Eidgenossenschaft gestellt. In der Folge wurden diese drei Städte von den Eidgenossen belagert und zurückerobert. Während es Schwabenkriegs wurden die Dörfer im Kirchspiel Leuggern (im Nordwesten der Grafschaft gelegen) geplündert und teilweise niedergebrannt.

Fricktal

Das Fricktal war 1415 nicht durch die Eidgenossen erobert worden und blieb als Teil Vorderösterreichs im Besitz der Habsburger. Der vorderösterreichische Landvogt residierte zuerst in Ensisheim im Südelsass. Nach der Eroberung des Elsass durch Frankreich im Jahr 1651 wurde das Fricktal von Freiburg im Breisgau aus regiert; der Rhein bildete im Gegensatz zu heute keine politische Grenze. Administrativ war das Fricktal in die Oberämter Rheinfelden und Laufenburg aufgeteilt.

Das Gebiet war uneinheitlich strukturiert. Zahlreiche Dörfer unterstanden direkt der österreichischen Verwaltung, während in anderen Adlige und Geistlichkeit einzelne Herrschaftsrechte besassen, insbesondere die Niedere Gerichtsbarkeit. Der bedeutendste Grundbesitzer und grösste wirtschaftliche Macht war das Damenstift in Säckingen.

Im Vergleich zu den anderen Gebieten litt das Fricktal viel stärker unter kriegerischen Konflikten. Im Alten Zürichkrieg belagerten Bern, Basel und Solothurn erfolglos die Stadt Laufenburg. Rheinfelden verbündete sich 1445 mit Basel, musste sich aber 1449 nach einer mehrmonatigen Belagerung wieder der österreichischen Herrschaft unterwerfen. 1469 verpfändeten die Habsburger das Fricktal an Burgund, um Geld für die Kriegsentschädigung nach dem Waldshuterkrieg auftreiben zu können. Nach den für die Burgunder verheerend verlaufenen Burgunderkriegen erlangte Habsburg 1477 wieder die Kontrolle.

Im Schwabenkrieg von 1499 zogen Bauern aus der Region Mettau (unter Duldung Österreichs) plündernd durch die Nachbardörfer im Berner Aargau. Als Gegenreaktion erfolgte die Verwüstung der Dörfer zwischen der Staffelegg und Frick durch Berner und Freiburger. Zwischen 1633 und 1638 war das Fricktal als eines der wenigen Gebiete der heutigen Schweiz direkt vom Dreissigjährigen Krieg betroffen. Schwedische, französische und österreichische Truppen zogen durch die Region. Am Ende waren mehr als ein Drittel aller Häuser zerstört und die verarmte Bevölkerung benötigte Jahrzehnte, um die Kriegsfolgen zu bewältigen.

Während des Pfälzischen Erbfolgekriegs zogen französische Truppen durch das Fricktal, bis sie von den Eidgenossen gestoppt wurden. 1689 musste die vorderösterreichische Regierung für anderthalb Jahre nach Klingnau ins Exil fliehen. Während des Spanischen Erbfolgekriegs, des Österreichischen Erbfolgekriegs und des Siebenjährigen Kriegs war das Fricktal zwar nicht in Kampfhandlungen verwickelt, doch die Bevölkerung litt unter hohen Kriegssteuern, die das wirtschaftliche Leben massiv beeinträchtigten.

Konfessionelle Spaltung

Reformationswirren

Nachdem 1519 die Reformation sich in Zürich endgültig durchgesetzt hatte, begannen Ulrich Zwingli und Gleichgesinnte mit der Verbreitung der neuen Lehre in der Grafschaft Baden, zunächst in jenen Dörfern des Limmattals, die vollständig unter zürcherischer Kontrolle standen und somit dem Einfluss des Landvogts entzogen waren. Auch in der Umgebung von Aarau und in den Freien Ämtern begannen ab 1523 einzelne Priester mit der Verbreitung des reformatorischen Gedankenguts.

Die Innerschweizer Orte beschlossen 1524, am Katholizismus festzuhalten und versuchten diesen Anspruch in den Gemeinen Herrschaften durchzusetzen. Zu diesem Zweck veranstalteten sie 1526 die Badener Disputation. Der deutsche Theologe Johannes Eck überzeugte die Geistlichen aus Baden und Umgebung, beim alten Glauben zu bleiben, während Johannes Oekolampad vergeblich für die Sache der Reformation warb. Doch vor allem in der Region Zurzach und im unteren Freiamt um Wohlen und Bremgarten gewann die Reformation immer mehr Anhänger.

Bern verhielt sich zunächst neutral und war unentschlossen. Doch nach der Berner Disputation im Januar 1528 wurde die Reformation in sämtlichen bernischen Untertanengebieten eingeführt, also auch im Berner Aargau. Bern löste sämtliche Klöster auf und beschlagnahmte sämtliche Güter geistlicher Herren. Vor allem die Städte profitierten von dieser Massnahme, da die Klöster vorher starke wirtschaftliche Konkurrenten gewesen waren.

Zwischen Bern und Zürich gab es nun einen schmalen katholischen Gebietsstreifen, in dem aber bereits die Hälfte der Pfarreien zum neuen Glauben übergetreten war. Schliesslich kam es im Juni 1529 zum Ersten Kappelerkrieg, der jedoch weitgehend ohne Kampfhandlungen blieb. Im Ersten Landfrieden setzten die reformierten Orte durch, dass jede Gemeinde den Glauben frei wählen durfte.

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Heinrich Bullinger

Doch nach dem Zweiten Kappelerkrieg von 1531, bei dem die katholischen Orte siegreich hervorgegangen waren, wurden gemäss dem Zweiten Landfrieden die alten Verhältnisse rigoros wieder hergestellt. Die Grafschaft Baden und die Freien Ämter wurden rekatholisiert, teilweise unter Anwendung von Gewalt. Nur in Zurzach und Tegerfelden hielt sich eine reformierte Mehrheit, ebenso in den Gemeinden des östlichen Limmattals. Gebenstorf, Birmenstorf und Würenlos blieben konfessionell gemischt. Heinrich Bullinger, der Stadtpfarrer von Bremgarten musste nach Zürich fliehen und wurde zum Nachfolger des verstorbenen Ulrich Zwingli gewählt.

Das unter österreichischer Herrschaft stehende Fricktal blieb von diesen Ereignissen weitgehend unberührt. Kleine reformierte Minderheiten in Rheinfelden und Laufenburg wurden rekatholisiert oder wanderten mit der Zeit nach Basel aus.

Innere Gegensätze und Konflikte

Nach den Reformationswirren vertiefte sich der Gegensatz zwischen den einzelnen Landesgegenden im Aargau immer mehr. In den katholischen Gebieten wurden die Missstände, die letztlich zur Reformation geführt hatten, erst nach dem Konzil von Trient im Jahr 1563 nach und nach behoben. Es folgte eine religiöse Erneuerung, die ihren Ausdruck im Bau prunkvoller barocker Kirchenbauten und der Zunahme von Wallfahrten fand. Das Kloster Muri wurde zu einem Zentrum der Barockkunst.

Über ein Jahrhundert lang richteten sich die Menschen im Aargau nach zwei verschiedenen Kalendern. Die reformierten Orte weigerten sich, den 1582 von Papst Gregor XIII. eingeführten gregorianischen Kalender anzuwenden. Die daraus resultierende gegenseitige Missachtung der Feiertage führte immer wieder zu schweren Spannungen. Erst 1701 wurde die Differenz von zehn Tagen ausgeglichen, als auch die reformierten Orte den verbesserten Kalender annahmen.

Die Anzahl der Feiertage, an denen nicht gearbeitet werden durfte, erhöhte sich im Laufe der Zeit immer mehr. Aufgrund der dadurch verursachten geringeren Produktivität gerieten die katholischen Gebiete wirtschaftlich immer mehr ins Hintertreffen. Wegen der Zersplitterung der politischen Zuständigkeiten unternahm in den Gemeinen Herrschaften niemand etwas zur Verbesserung der Situation. Nur im Fricktal versuchten die Habsburger mit der Einführung einer Staatskirche Gegensteuer zu geben. Unter Maria Theresia und Joseph II. wurden zahlreiche Feiertage abgeschafft, mehrtägige Wallfahrten wurden verboten. Da die Kontrollen jedoch ziemlich nachlässig waren, übten die Bewohner des Fricktals ihre althergebrachten Bräuche im Geheimen aus.

Die aufgebauten Spannungen entluden sich 1656 im Ersten Villmergerkrieg. Nachdem die Schwyzer Behörden zahlreiche Reformierte vertrieben, der Inquisition übergeben oder hingerichtet hatten, erklärte Zürich den katholischen Orten den Krieg. Doch der Feldzug war schlecht organisiert: Die Berner Truppen unterlagen am 24. Januar bei Villmergen den Innerschweizern. Der am 7. März abgeschlossene Friedensvertrag bestätigte die seit 1531 bestehenden Verhältnisse. In Baden wurde die 1415 zerstörte Festung Stein wieder aufgebaut.

Teilung der Freien Ämter 1712

Der Konflikt brach 1712 erneut aus, als die reformierten Bewohner des Toggenburgs gegen den Abt von St. Gallen (der aus Luzern stammte) revoltierten. Der Zweite Villmergerkrieg fand zunächst hauptsächlich in der Ostschweiz statt, verlagerte sich dann aber nach Westen. Im Mai besetzten die Berner Mellingen, die Zürcher Bremgarten. Schliesslich kam es am 25. Juli wieder bei Villmergen zur Entscheidungsschlacht, wo die Innerschweizer durch die Berner vernichtend geschlagen wurden.

Die Herrschaftsverhältnisse in den Gemeinen Herrschaften veränderten sich grundlegend. Die Freien Ämter wurden in eine untere und obere Hälfte geteilt. Die schnurgerade Trennlinie führte von der Kirche in Oberlunkhofen zum Galgen in Fahrwangen und teilte auch das Dorf Boswil in zwei Hälften. In den oberen Ämtern durften die katholischen Orte zwar noch mitbestimmen, doch in den unteren Ämtern regierten nur noch die reformierten Orte Bern, Zürich und Glarus (im Verhältnis 7:7:2). In der Grafschaft Baden wurden die katholischen Orte gänzlich von der Macht ausgeschlossen, auch hier regierten Bern, Zürich und Glarus im Verhältnis 7:7:2. Die Festung Stein in Baden wurde erneut geschleift und die Überreste zum Bau einer reformierten Kirche verwendet, was die katholischen Badener zutiefst demütigte.

Nach 1712 nahm die Bedeutung Badens als Tagungsort markant ab; es fanden nur noch wenige Tagsatzungen statt. Daran konnte auch ein Kongress im Jahr 1714 nichts ändern, der zur Lösung des Spanischen Erbfolgekrieges stattfand und am 7. September mit dem Frieden von Baden (im Prinzip einer Bestätigung des Rastatter Friedens) abgeschlossen wurde.

Situation der Juden

Im Mittelalter waren Juden in vielen Schweizer Städten wohnhaft. Sie durften aber kein Handwerk ausüben und kein Land besitzen, so dass ihnen nur der Handel und das Geldverleihen offen standen. Als das Zinsverbot für Christen fiel, waren die Juden zur lästigen Konkurrenz geworden. Sie wurden aus den Städten vertrieben und liessen sich vor allem in den Gemeinen Herrschaften nieder, wo sie direkt dem Landvogt unterstanden. Ab 1696 mussten sie sich alle 16 Jahre einen teuren Schutz- und Schirmbrief erkaufen. Ab 1776 durften sämtliche Juden der Schweiz nur noch in den Gemeinden Endingen und Lengnau im Norden der Grafschaft Baden leben. Da sie sich während der Nacht nur in den beiden Dörfern aufhalten durften, war ihr Aktionsradius stark eingeschränkt, wodurch ihnen praktisch nur die Messe in Zurzach als Verdienstmöglichkeit übrig blieb.

Revolution und Umbruch

Vorboten des Umsturzes

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begannen die Bewohner des Aargaus gegenüber Anhängern der anderen Konfession toleranter zu werden. Zumindest der Berner Aargau und das österreichische Fricktal wandelten sich langsam zu einem modernen Staatswesen. In einigen Gebieten kam die Baumwoll- und Strohgeflechtsindustrie auf.

Die Ideen der Aufklärung fielen vor allem im Berner Aargau auf fruchtbaren Boden. Ab 1761 trafen sich Vertreter der geistigen und wirtschaftlichen Elite der Eidgenossenschaft in Schinznach-Bad zum Gedankenaustausch, ein Jahr später erfolgte die Gründung der Helvetischen Gesellschaft. In den reformierten Gegenden wurden immer mehr Schulen und Bibliotheken eröffnet. Da das Bildungswesen in katholischen Orten mit Ausnahme der Klöster praktisch inexistent war, begegneten die Katholiken den neuen Ideen mit Misstrauen, ja sogar Ablehnung. Die Vertreter des modernen Denkens wurden für religionsfeindlich gehalten.

Ab 1789 sympathisierte nur eine Minderheit von reichen Kaufleuten und gebildeten Stadtbewohnern mit den Ideen der Französischen Revolution. Als ab 1791 immer mehr französische Flüchtlinge von Gräueltaten berichteten, verstärkte sich die Ablehnung vor allem bei der katholischen Landbevölkerung.

Helvetische Republik

Der Aargau während der Helvetischen Republik 1798-1803

Zu Beginn des Jahres 1798 marschierten französische Truppen in die Schweiz ein. Am 30. Januar weigerten sich die Bewohner Aaraus, Truppen zum Schutz der Stadt Bern zu entsenden. Bern besetzte zwar am 4. Februar die abtrünnige Stadt, musste jedoch am 5. März vor den Franzosen kapitulieren. Zwischen dem 19. und 28. März wurden die Landvögte aus den Gemeinen Herrschaften zurückgezogen. In zahlreichen Dörfern und Städten wurden Freiheitsbäume aufgestellt und Revolutionsfeiern veranstaltet.

Am 19. März 1798 rief der französische General Guillaume Brune die Helvetische Republik aus. Drei Tage später wurde Aarau zur Hauptstadt erklärt, dies aufgrund der revolutionsfreundlichen Haltung der Stadt. Aus dem ehemaligen Berner Aargau entstand der Kanton Aargau, aus der Grafschaft Baden und den Freien Ämtern der Kanton Baden. Der westliche Teil des Amts Aarburg blieb bei Bern. In der zentralistischen Republik waren die Kantone lediglich Verwaltungseinheiten. Bald stellte sich heraus, dass Aarau zu klein war, um die Hauptstadtfunktionen vollumfänglich erfüllen zu können, worauf die Regierung am 20. September nach Luzern umzog.

Zahlreiche Aargauer spielten im neuen Staatswesen eine führende Rolle. Dazu gehörten Philipp Albert Stapfer, Albrecht Rengger, Johann Rudolf Dolder, Johannes Herzog, Johann Heinrich Rothpletz und der aus Magdeburg stammende Heinrich Zschokke.

Das Fricktal war bereits 1797 nach dem Frieden vom Campo Formio zum französischen Protektorat geworden. Der Arzt Sebastian Fahrländer, der aus Ettenheim nördlich von Freiburg im Breisgau stammte, ernannte sich mit Unterstützung der Franzosen selbst zum Statthalter und setzte die Gründung des Kantons Fricktal durch, der sich am 13. August 1802 der Helvetischen Republik anschloss.

Der Aargau wurde 1799 zum Kriegsschauplatz im Zweiten Koalitionskrieg zwischen Frankreich und Österreich. Die Bewohner waren gezwungen, die Truppen beider Seiten einzuquartieren und zu verpflegen, wodurch grosse materielle Not entstand. Am 16. und 17. August versuchten 40'000 österreichische Soldaten erfolglos, bei Döttingen die Aare zu überqueren. Beim darauf folgenden Artillerieduell wurden die Dörfer Kleindöttingen und Eien (Gemeinde Böttstein) vollständig zerstört.

Wie zufällig die heute noch gültigen Kantonsgrenzen entstanden sind, zeigt sich in der Tatsache, dass es vor der endgültigen Festlegung nicht weniger als drei verschiedene Vorschläge für die Grenzziehung gab:

Teilungsvorschläge während der Helvetischen Republik
Teilungsvorschläge während der Helvetischen Republik

Die im Januar 1798 von Peter Ochs ausgearbeitete erste Verfassung der Helvetischen Republik sah zunächst die Angliederung der Grafschaft Baden und der Freien Ämter an den Kanton Zug vor, was jedoch von den Franzosen abgelehnt wurde und auch am heftigen Widerstand von Zug selbst scheiterte.

Nach zwei Staatsstreichen im Jahr 1801 sah die von Napoléon Bonaparte ausgearbeitete Verfassung von Malmaison vor, die Kantone Aargau und Baden zusammenzufügen und das untere Fricktal an Basel abzutreten. Im Sommer dieses Jahres versuchten Aktivisten, Unterschriften für die Wiedervereinigung des Berner Aargaus mit Bern zu sammeln, wurden jedoch von Aargauer Regierungstruppen daran gehindert. Nach einem dritten Staatsstreich am 27. Oktober 1801 widerriefen die Anhänger der alten Ordnung die Verschmelzung der beiden Kantone.

Laut der zweiten Verfassung der Helvetischen Republik von 1802, die nach einem erneuten Machtwechsel ausgearbeitet worden war, sollten die Kantone Aargau und Baden erneut zusammengefügt werden. Zug hätte das obere Freiamt und Luzern das Amt Hitzkirch erhalten, das Fricktal wäre ein eigenständiger Kanton geblieben. Diese Verfassung konnte jedoch nicht umgesetzt werden, da Napoleon Bonaparte im Juli 1802 aus Verärgerung über die Unfähigkeit der helvetischen Behörden die französischen Truppen aus der Schweiz zurückziehen liess.

Sofort brachen bürgerkriegsähnliche Unruhen aus, bei denen Revolutionsgegner auf die Anhänger der Franzosen losgingen. Im Stecklikrieg im September zog ein ständig grösser werdender Zug von verarmten Landbewohnern plündernd vom Aargau aus nach Bern und erzwang die Flucht der helvetischen Regierung nach Lausanne. Am 21. September entlud sich der Hass gegen die im Surbtal lebenden Juden, da sie als Anhänger der neuen Ordnung galten. Im so genannten Zwetschgenkrieg fiel eine Horde von 800 Mann in Endingen und Lengnau ein und bereicherte sich am Hab und Gut der wehrlosen Opfer.

Napoléons Machtwort

Napoléon Bonaparte legte die endgültige Grenze fest

Am 30. September 1802, als die helvetische Staatskrise ihren Höhepunkt erreichte, gab Napoléon Bonaparte vor, als Vermittler zwischen den Konfliktparteien zu handeln. Er forderte unter Androhung einer erneuten Besetzung durch französische Truppen die Entsendung einer Delegation aller Kantone (sog. Consulta) nach Paris, um über die Mediationsverfassung zu verhandeln. Am 12. Januar 1803 beschloss Napoléon die endgültige Verschmelzung der Kantone Aargau und Baden, was ganz im Sinne der von Philipp Albert Stapfer angeführten Aargauer Delegation war. Nachdem sich die Fricktaler mit einer Bittschrift erfolgreich gegen die Teilung dieses Landstrichs in einen Basler und einen Aargauer Teil gewehrt hatten, verfügte Napoléon am 2. Februar die Verschmelzung des gesamten Gebiets mit dem Aargau.

Am 19. März 1803 wurde schliesslich die bereinigte und von Napoléon genehmigte Mediationsakte unterschrieben. Die zentralistische Helvetische Republik hatte aufgehört zu existieren, an ihre Stelle trat ein lockerer Staatenbund, mit dem Aargau als eigenständigem Kanton. Mit der neuen Verfassung wurde auch die endgültige Grenze festgelegt: Der Kanton Aargau erhielt den westlichen Teil des Amts Aarburg und das luzernische Amt Merenschwand, musste jedoch das Amt Hitzkirch an Luzern sowie die Gemeinden Dietikon, Hüttikon, Oetwil an der Limmat und Schlieren an Zürich abtreten. Aarau wurde zur Hauptstadt bestimmt.

Der neue Kanton

Aufbau des Staatswesens

Napoléon Bonaparte schuf mit dem Kanton Aargau ein aus vier völlig unterschiedlichen Landesteilen bestehendes künstliches Gebilde, dessen Bewohner wenig Gemeinsamkeiten und keine gemeinsame Vergangenheit hatten. Im Gründungsjahr zählte der Aargau 131'000 Einwohner, davon 67'000 im reformierten Berner Aargau sowie 64'000 in den katholischen Gebieten Freiamt, Fricktal und Grafschaft Baden. Es gab keine anerkannte staatliche Autorität. Auf dieser Basis musste ein völlig neues Staatswesen aufgebaut werden.

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Regierungsgebäude in Aarau

Die neue Verfassung legte fest, dass fast die gesamte Macht beim neunköpfigen Kleinen Rat lag. Der Grosse Rat, das Parlament mit 150 Mitgliedern, durfte Gesetze lediglich annehmen oder zurückweisen, aber keinerlei Änderungen daran vornehmen. Einschneidende Alters- und Vermögensgrenzen im Wahlrecht sorgten dafür, dass nur etwa sieben Prozent der Bevölkerung wahlberechtigt waren (so genannte Aktivbürger). Gewaltenteilung war ein Fremdwort: Die Mitglieder des Kleinen Rats gehörten gleichzeitig dem Grossen Rat an und liessen sich aus ihren Reihen wählen. Johann Rudolf Dolder war gleichzeitig Präsident beider Räte.

Dringlichste Aufgaben waren die Schaffung gesetzlicher Grundlagen und der Aufbau einer kantonalen Verwaltung (diese bestand am Anfang aus gerade mal 15 Beamten). Regierung und Parlament tagten zunächst im Aarauer Rathaus. Zwischen 1811 und 1823 wurde ein ehemaliger Gasthof in Aarau zu einem repräsentativen Regierungsgebäude ausgebaut; die Einweihung des Parlamentsgebäudes erfolgte 1829. Wichtig war auch die Einführung neuer Symbole zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls: Samuel Ringier-Seematter aus Zofingen entwarf 1803 das neue Kantonswappen.

Kulturkanton

Der neue Kanton übernahm in der Schweiz im Kulturbereich und im Erziehungswesen eine Führungsrolle. Bereits 1802 war von einer privaten Trägerschaft die Kantonsschule Aarau gegründet worden, das erste Gymnasium der Schweiz, deren Lehrer nicht der Geistlichkeit angehörten. Die Schule wurde 1813 vom Kanton übernommen, entwickelte sich aufgrund ihrer liberalen Einstellung zu einer der angesehensten Gymnasien des Landes und brachte zahlreiche namhafte Politiker und drei Nobelpreisträger hervor, darunter Albert Einstein. Auch in den unteren Schulstufen übernahm der Aargau eine Vorreiterrolle. In Olsberg entstand 1809 eine der ersten höheren Schulen für junge Frauen, was damals als sehr fortschrittlich galt. Die ehemaligen Lateinschulen wurden ebenfalls vom Kanton übernommen und 1835 in die progymnasialen Bezirksschulen umgewandelt.

Heinrich Zschokke

Heinrich Zschokke und zahlreiche Mitstreiter gründeten 1811 die „Gesellschaft für vaterländische Kultur“. Die Gesellschaft, zu deren Mitgliedern zahlreiche prominente Politiker und Wirtschaftsführer gehörten, gründete eine Ersparniskasse, unterstützte die Gründung und Ausstattung zahlreicher Schulen und Fürsorgeinstitutionen und förderte mit Frühformen der Volkshochschule die Allgemeinbildung des Volkes. Die zahlreichen, in die ganze Schweiz ausstrahlenden Aktivitäten der Gesellschaft trugen dem Aargau den Übernamen „Kulturkanton“ ein. Die Idee, sich aus reinem Patriotismus für gemeinnützige Zwecke einzusetzen, war damals neu und weckte vor allem in konservativen Kreisen Misstrauen.

Noch mehr als die Kulturgesellschaft fürchteten die Anhänger der alten Ordnung die liberale Aargauer Presse, die sich im Gegensatz zu anderen Kantonen frei entfalten durfte. Ab 1804 gab Heinrich Zschokke den „Schweizer Boten“ heraus, im 19. Jahrhundert eine der meistgelesenen Zeitungen der Schweiz. Paul Usteri gründete 1814 die „Aarauer Zeitung“; diese stellte jedoch 1821 ihr Erscheinen aufgrund zahlreicher Proteste ausländischer Adliger und Diplomaten ein. Usteri zog daraufhin nach Zürich und war dafür besorgt, dass die „Neue Zürcher Zeitung“ die Rolle als führende liberale Zeitung der Schweiz übernahm. Doch auch nachher war die Zensur im Aargau viel weniger streng als in den meisten anderen Kantonen und wurde 1829 ganz abgeschafft.

Bedrohung des Fortbestandes

Die „Schutzherrschaft“ Frankreichs dauerte bis 1813. Am 21. Dezember jenes Jahres überquerten deutsche, russische und österreichische Truppen den Rhein und verfolgten die französischen Truppen, die sich nach Deutschland zurückzogen. Insgesamt zogen mehr als 80'000 fremde Soldaten durch den nördlichen Aargau. Aristokratische Kreise, die in Bern mit Hilfe von Napoléons Gegnern wieder an die Macht gelangt waren, forderten die Wiederangliederung des Aargaus als Untertanengebiet. Zug erhob Anspruch auf das obere Freiamt.

Beim Wiener Kongress stand der Fortbestand des Kantons Aargau auf dem Spiel. Der Aargauer Delegierte Albrecht Rengger bewies Verhandlungsgeschick und konnte die Wiederherstellung der alten Ordnung abwenden. Dabei durfte er unter anderem auf die Unterstützung des russischen Zaren Alexander I. zählen. Am 20. März 1815 sicherten die europäischen Grossmächte das Weiterbestehen des jungen Kantons zu.

Restauration und Regeneration

Die Kantonsverfassung wurde 1814 erstmals revidiert. Der Kleine Rat wurde von 9 auf 13 Mitglieder erweitert, dessen Amtszeit von fünf auf zwölf Jahre verlängert und die Volkswahl des Grossen Rates noch weiter eingeschränkt. Nur noch 48 von 150 Grossräten konnten direkt vom Volk gewählt werden. 50 wurden vom Grossen Rat selbst gewählt, 52 von einem Wahlkollegium. Behörden mussten paritätisch besetzt sein, d.h. je zur Hälfte aus Katholiken und Reformierten bestehen. Doch trotz dieser nach heutigem Verständnis undemokratischen Verfassung galt der Aargau als einer der liberalsten Kantone der Schweiz. Immerhin wurde die Niederlassungs- und Gewerbefreiheit festgeschrieben und alle Standesvorrechte abgeschafft.

Die Regierung regierte immer autoritärer, so dass man bald vom „Herzogtum Aargau“ zu sprechen begann. Dies war eine Anspielung auf den übermächtigen Kleinrat Johannes Herzog, der sich „von Effingen“ zu nennen pflegte, obwohl er nicht von adliger Herkunft war. Die Reformunfähigkeit der Regierung entlud sich im Dezember 1830 im unblutigen Freiämtersturm, der von Johann Heinrich Fischer angeführt wurde. Die alte Regierung musste abtreten und einer neuen liberalen Politikergeneration Platz machen.

Die 1831 in Kraft gesetzte neue Verfassung war die erste, die in einer Volksabstimmung angenommen worden war. Das einschneidende Wahlrecht wurde gelockert und fast alle Grossräte wurden nun direkt durch das Volk gewählt. Erstmals gab es Ansätze einer Gewaltentrennung. Der Grosse Rat (Legislative) durfte erstmals Gesetze beraten und abändern und war damit kein reines Kopfnickergremium mehr. Die Macht des Kleinen Rates, nun Regierungsrat genannt, wurde eingeschränkt.

Religiöse und politische Konflikte

Der Graben zwischen Reformierten und Katholiken vertiefte sich. Die liberale, von Reformierten beherrschte Regierung wollte den Einfluss der katholischen Kirche einschränken, was die Gläubigen als Einmischung in ihre Lebensweise empfanden. Bereits 1829 war eine heftige Kontroverse entstanden, als der Aargau gegen den Willen der Katholiken vom Bistum Konstanz zum Bistum Basel wechselte. Die Spannungen nahmen zu, als 1834 sieben liberale Kantone die Badener Artikel beschlossen, die ein von Rom unabhängiges Nationalbistum und stärkere staatliche Aufsicht in kirchlichen Fragen forderten. Priester, die keinen Treueschwur auf die Regierung leisteten, wurden gebüsst oder inhaftiert. Das Vermögen der Klöster wurde unter staatliche Aufsicht gestellt, die Klosterschulen geschlossen und ein Novizenverbot verhängt.

Die Verfassung von 1831 sah eine Totalrevision innerhalb von zehn Jahren vor. Die Ende 1840 neu ausgearbeitete Verfassung unterschied sich kaum von der alten und wurde in der Volksabstimmung abgelehnt. Die Liberalen störten sich an der Parität, dem Grundsatz, dass in allen Behörden gleich viele Reformierte wie Katholiken vertreten sein mussten. Der zweite Entwurf fiel in ihrem Sinne aus und wurde am 5. Januar 1841 mit 58% angenommen. Dabei reichte die Zustimmung zwischen 0,1 % im katholischen Wahlkreis Stetten und 99% im reformierten Wahlkreis Brugg. Konservative katholische Kreise wollten sich mit dem Resultat nicht abfinden und zettelten im Freiamt, im Fricktal und in der Region Baden Unruhen an. Diese wurden von Regierungstruppen rasch unterdrückt, am 12. Januar war die Situation wieder unter Kontrolle. Lediglich bei Villmergen hatte ein kleineres Gefecht stattgefunden; dabei starben zwei Regierungssoldaten und sieben Aufständische.

Der katholische (!) Seminardirektor Augustin Keller hielt am 13. Januar im Grossen Rat eine Hetzrede: Er bezeichnete die Klöster als Ursprung allen Übels sowie als Drahtzieher des konservativen Putschversuches und forderte deren sofortige Aufhebung. Die Regierung liess sich nicht zweimal bitten und konfiszierte das Vermögen der Klöster. Die Nonnen erhielten eine Frist von acht Tagen, während die Mönche sogar innerhalb von 48 Stunden den Kanton verlassen mussten. Zwar waren bereits nach der Kantonsgründung einige Klöster säkularisiert worden, doch die Rücksichtslosigkeit dieser Massnahme führte zum Aargauer Klosterstreit. Dieser hatte beinahe einen Krieg mit Österreich zur Folge und konnte erst 1843 mit der teilweisen Wiederzulassung der Frauenklöster (darunter das Kloster Fahr) geschlichtet werden.

Friedrich Frey-Herosé

In der Folge beteiligte sich der Kanton Aargau an vorderster Front an den Freischarenzügen von 1844 und 1845 und an der Agitation gegen die Jesuiten, die von der neuen konservativen Regierung Luzerns als Lehrer angestellt worden waren. Die Innerschweizer Kantone, das Wallis und Freiburg schlossen sich zum Sonderbund zusammen. Die Weigerung, diesen Bund aufzulösen, führte 1847 zum Sonderbundskrieg. Der spätere Bundesrat Friedrich Frey-Herosé führte dabei die Aargauer Truppen an. Das einzige nennenswerte Gefecht auf Aargauer Boden fand am 12. November 1847 bei Geltwil statt. Nach der Niederlage der Konservativen wurde der Staatenbund 1848 aufgelöst und machte dem noch heute bestehenden Bundesstaat Platz. Die konfessionellen Spannungen nahmen in der Folge langsam ab, andere Probleme standen nun im Vordergrund.

Die fünfte Verfassung von 1852 brachte weitere Verbesserungen in Sachen Gewaltentrennung und war auch bei den Katholiken nicht mehr umstritten. Erst 1863 wurden die Juden in Endingen und Lengnau den übrigen Kantonsbürgern vollständig gleichgestellt; in der Folge wanderten sie in die grossen Städte ab, wo sie bessere Erwerbsmöglichkeiten vorfanden. Die alten konfessionellen Gegensätze flackerten nach 1870 wieder kurz auf, als der Aargau eine führende Rolle im Kulturkampf übernahm. Vor allem im Fricktal schlossen sich zahlreiche Gläubige der neuen Christkatholischen Kirche an. Die sechste Verfassung von 1885 sorgte für eine endgültige Versöhnung zwischen Reformierten und Katholiken, sicherte das Erreichte und bildete bis 1980 die Grundlage des Staates.

Vom Bauern- zum Industriekanton

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war in der Landwirtschaft die seit dem frühen Mittelalter praktizierte Dreifelderwirtschaft nach und nach durch die Fruchtfolge ersetzt worden. Der Kartoffelanbau begann sich durchzusetzen. Durch die Auflösung der Allmenden war viel Weideland entstanden, was zu einer Zunahme der Viehzucht führte. Dieser Prozess war um 1830 abgeschlossen und sorgte für eine noch nie zuvor gesehene Produktivitätssteigerung. Die Ablösung der Zehnten zog sich bis 1850 hin. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Getreideanbau durch die Milchwirtschaft und den Futteranbau verdrängt, dies aufgrund der billigen Importe, die dank der Eisenbahn nun möglich waren.

Vor 1800 hatten sich nur im Berner Aargau Frühformen der Industrie entwickelt. Begünstigt durch die gezielte Wirtschaftspolitik der Berner Herrschaft entstanden zahlreiche Textilfabriken und Handelsunternehmen. Vor allem die Städte Aarau, Lenzburg und Zofingen profitierten von dieser Entwicklung. Die übrigen Kleinstädte des Aargaus verharrten vorerst bei ihrer Rolle als Markt- und Handwerkszentren. Im restlichen Kantonsgebiet gab es praktisch ausschliesslich Landwirtschaft. Ende des 18. Jahrhunderts stand in der Grafschaft Baden und im Fricktal keine einzige Fabrik. Im Freiamt gab es immerhin vereinzelt Strohflechterei. 1810 liess Johannes Herzog in Aarau die erste mechanische Spinnerei errichten. Auch an anderen Orten entstanden nun Fabriken, die hauptsächlich Baumwolle, Seide und Stroh verarbeiteten. Ende der 1830er kam im Wynental die Tabakindustrie hinzu.

Geflechtindustrie in Wohlen um 1900
Eingang zur BBC in Baden um 1900

Die Stroh- und Geflechtindustrie, deren Zentrum in Wohlen und im restlichen Freiamt lag, entwickelte sich im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts zum bedeutendsten Industriezweig und exportierte ihre Produkte in alle Welt. Ihre Bedeutung nahm ab 1900 rasch ab, als billigere ostasiatische Produkte auf den Markt kamen und verschwand nach 1960 fast gänzlich. Auf ihrem Höhepunkt um 1860 arbeiteten fast 30'000 Menschen in der Strohindustrie, die meisten davon in Heimarbeit.

Begünstigt durch die politische Stabilität nach 1848 und den Bau der Eisenbahnen kamen bald neue Industriezweige hinzu. Dazu zählten die Zementindustrie im Aaretal sowie Salzausbeutung und Bierbrauereien im westlichen Fricktal. Die Textilindustrie blieb aber vorerst der weitaus bedeutendste Industriezweig. Fast sämtliche Fabriken waren für ihren Antrieb auf Fliessgewässer angewiesen, 1859 gab es im gesamten Kanton nur gerade elf Dampfmaschinen.

Im Limmattal und im Reusstal fasste ab 1860 die Metallindustrie Fuss, sowie dezentral die Schuhindustrie. Im Zuge des Projekts für das erste aargauische Wasserkraftwerk wurde 1892 in Baden die Brown, Boveri & Cie gegründet. Sie stellte Generatoren, Turbinen und Motoren her und machte die Region Baden innert kurzer Zeit zum Zentrum der schweizerischen Elektroindustrie. Ab 1890 begann auch die Maschinenindustrie in den Aargau zu expandieren.

Die ersten lokalen Sparkassen wurden 1812 gegründet. Ab 1850 entstanden eine Reihe von Geschäftsbanken, darunter die 1854 durch den Politiker und Eisenbahnpionier Carl Feer-Herzog gegründete „Aargauische Bank“, die 1913 in die Aargauische Kantonalbank umgewandelt wurde. Der Tourismus spielte - abgesehen von den Heilbädern in Baden, Schinznach-Bad und Rheinfelden - keine grosse Rolle. Im Jahr 1900 waren 43,4% aller Berufstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt, 42,4% in der Industrie und 14,2% im Dienstleistungssektor.

Ausbau der Verkehrswege

Die rasante wirtschaftliche Entwicklung des 19. Jahrhunderts wäre ohne gut ausgebaute Verkehrsverbindungen undenkbar gewesen. Nach der Kantonsgründung mussten zwar nur wenige neue Strassen gebaut werden, die meisten befanden sich jedoch in einem bedenklichen Zustand und waren seit dem Mittelalter nur unwesentlich ausgebaut worden. Der Güter- und Personentransport wurde deshalb hauptsächlich durch die Schifffahrt auf den Flüssen abgewickelt, was wegen der damals zahlreich vorhandenen Stromschnellen nicht ungefährlich war. Der neue Kanton verwendete zu Beginn einen Grossteil der Steuereinnahmen für den Strassenbau. Die wichtigsten Projekte waren die Staffeleggstrasse zwischen Aarau und Frick (Fertigstellung 1810) sowie die Mutschellenstrasse zwischen Bremgarten und Dietikon (Fertigstellung 1842). 1880 waren alle Gemeinden an das Strassennetz angeschlossen und die Bautätigkeit nahm markant ab.

Als der Kanton 1804 das Postwesen übernahm, gab es im ganzen Aargau nur gerade zehn Postämter. Der erste täglich verkehrende Postkutschenkurs zwischen Aarau und Zürich nahm 1820 den Betrieb auf. Bis zur Übernahme des Postwesens durch den Bund im Jahr 1849 verzehnfachte sich die Zahl der Poststellen.

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Bahnhof Baden im Jahr 1850
Entwicklung des Eisenbahnnetzes im Aargau bis 1900

Doch erst die Eisenbahn sollte den Verkehr revolutionieren. 1836 stellten Privatleute aus Zürich ein Projekt für eine Linie von Zürich über Baden, Koblenz, Laufenburg und Rheinfelden nach Basel vor. Doch sämtliche Schweizer Bahnprojekte scheiterten zunächst an der Kleinstaaterei und den turbulenten politischen Verhältnissen. Am 7. August 1847 eröffnete schliesslich die Schweizerische Nordbahn die erste Eisenbahnlinie der Schweiz zwischen Zürich und Baden.

Der Weiterbau stockte und konnte erst fortgesetzt werden, nachdem die Nordbahn in der Schweizerischen Nordostbahn (NOB) aufgegangen war. Diese erstellte die Strecken Baden – TurgiBrugg (1856), Brugg – Wildegg – Aarau (1858) und Turgi – Koblenz – Waldshut (1859). Der Westen des Kantons wurde durch Strecken der Schweizerischen Centralbahn (SCB) erschlossen: Aarau – Olten (1856), Olten – Bern (1857) und Olten – ZofingenLuzern (1858). Die Netze der zwei grössten Schweizer Eisenbahngesellschaften trafen in Aarau aufeinander. Damit war das Grundnetz fertig gestellt.

Nach 1870 erfasste ein Eisenbahnboom die gesamte Schweiz und auch den Aargau. Die NOB und die SCB gründeten gemeinsame Tochtergesellschaften und bauten die Bözberglinie zwischen Brugg und Basel (1875) sowie die Aargauische Südbahn zwischen Rupperswil und Rotkreuz, wo ein Anschluss an die neue Gotthardbahn entstand (1874-1881). Dazu kamen noch die Zweigstrecken WohlenBremgarten (1876) und Hendschiken – Brugg (1882). Die NOB baute eine Strecke entlang des Rheins, die in zwei Etappen eröffnet wurde (1876 bzw. 1892). Die mit britischem Kapital gegründete Seetalbahn eröffnete 1883 die Strecke Wildegg - Lenzburg - Luzern, mit einem Abzweig von Beinwil am See nach Beromünster.

1877 nahm die Schweizerische Nationalbahn (SNB) den Betrieb auf. Diese Gesellschaft plante eine zweite Ost-West-Hauptlinie zwischen Bodensee und Genfersee, als Konkurrenz zu den etablierten Gesellschaften. Im Aargau führte die Strecke von Würenlos über Wettingen, Lenzburg und Suhr nach Zofingen (mit einem Abzweig nach Aarau). Doch bereits 1878 ging die SNB in Konkurs und wurde zu einem Bruchteil des Wertes von der NOB ersteigert. Die Gemeinden entlang der Strecke hatten viel Geld investiert und mussten aufgrund des Konkurses schwere finanzielle Lasten tragen. In gewissen Fällen zog sich die Rückzahlung der Schulden bis weit in die 1930er hin.

Bevölkerung

Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die Bevölkerung vor allem wegen des hohen Geburtenüberschusses um fast 60 Prozent zugenommen (1798: 125'669 Einwohner; 1850: 199'852 Einwohner). Diese Entwicklung schlug nach 1850 um. Während fast 40 Jahren war der Aargau der einzige Kanton mit rückläufiger Bevölkerungszahl (1888: 193'580 Einwohner). Wegen zahlreicher Wirtschaftskrisen mussten viele Aargauer ihren Kanton verlassen. Die meisten zogen in grosse Städte wie Zürich und Basel; etwa ein Drittel wanderte nach Übersee aus (meist in die USA). Diese Entwicklung war jedoch regional stark unterschiedlich. Betroffen von der Abwanderung waren fast ausschliesslich Landgemeinden, vor allem im oberen Fricktal und im Zurzibiet (die Gemeinde Baldingen verlor bspw. fast die Hälfte ihrer Einwohner). Industrielle Zentren wie Aarau, Baden, Brugg, Rheinfelden oder Wettingen hingegen konnten die Einwohnerzahl sogar fast verdoppeln. Ab 1890 war wieder eine leichte Zunahme zu verzeichnen; 1900 betrug die Einwohnerzahl 206'498.

Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert

Politik

Nach der Totalrevision der Kantonsverfassung von 1885 liessen sich die Aargauer Zeit bei der Einführung neuer Volksrechte und zeigten sich wenig fortschrittsfreudig. Die Volkswahl von Regierung- und Ständeräten führte der Aargau erst 1904 ein, als einer der letzten Kantone überhaupt. Auch die Einführung des Proporzwahlrechts auf kantonaler Ebene liess bis 1920 auf sich warten (29 Jahre nach dem Kanton Tessin). Frauen waren zwar seit 1936 für Armen- und seit 1940 für Schulbehörden wählbar, doch das volle Frauenstimmrecht wurde erst 1971 eingeführt.

Die ersten Parteien nach heutigem Verständnis entstanden in den 1890ern. Während des 19. Jahrhunderts hatte es lediglich lockere Gruppierungen von Gleichgesinnten gegeben. 1892 entstand die Vorläuferin der CVP, die Katholisch-Konservative Partei, 1894 folgte die FDP. 1902 traten die frühen sozialdemokratischen Bewegungen des Aargaus der SP bei. Die FDP besass bis zur Einführung des Proporzwahlrechts im Jahr 1920 sowohl im Parlament wie auch in der Regierung die absolute Mehrheit. Danach stieg die SP zur stärksten Partei auf und konnte diese Stellung bis 1981 behaupten; ihr Wähleranteil erreichte 1965 mit 30 % den Höhepunkt.

Nach 1917 wurden im ganzen Kanton Bauernparteien gegründet, die sich 1936 zur „Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei“ zusammenschlossen. Die daraus entstandene SVP konnte ihren Wähleranteil stetig vergrössern und erreichte bei den Grossratswahlen 2001 mit einem Wähleranteil von 34 % ihren (vorläufigen) Höhepunkt. Parallel mit dem Aufstieg der SVP wandelte sich der Aargau von einem politisch eher neutralen zu einem rechtskonservativen Kanton.

Die vier grossen Parteien vereinigten stets etwa 70-80 % der Wähler auf sich. Weitere im Grossen Rat vertretene Parteien sind (bzw. waren) die EVP (seit 1921), der LdU (1937-2001), die Jungbauern (1937-1957), die GPS (seit 1985) und die FPS (seit 1991). In den 1930ern sympathisierten die Frontisten offen mit dem Nationalsozialismus, konnten jedoch nur vereinzelt Mandate gewinnen. Die ausländerfeindlichen Republikaner erreichten in den 1960ern ihren Höhepunkt und gingen in die SD auf.

Die Mitgliederzahl des Grossen Rates wurde 1952 auf 200 festgelegt. Ab 2005 wird sie nach einer angenommenen Volksinitiative noch 140 betragen. Die 1972 eingeleitete Totalrevision der Kantonsverfassung von 1885 fiel nach einer anfänglichen Umgestaltungseuphorie eher moderat aus. Die neue Verfassung trat 1980 in Kraft, nachdem das Volk einen ersten Entwurf, der das obligatorische durch das fakultative Gesetzes- und Finanzreferendum ersetzen wollte, 1979 abgelehnt hatte. Der Grundrechts- und der Aufgabenkatalog des Staates wurden aktualisiert, der Grosse Rat erhielt auch Planungskompetenzen.

Nach 1966 wurden in grösseren Gemeinden die Gemeindeversammlungen durch Parlamente (sog. Einwohnerräte) eingeführt. Dies war nötig geworden, weil diese Gemeinden zunehmend Mühe bekundeten, an den Gemeindeversammlungen Verhandlungsfähigkeit zu erreichen (nach Gesetz musste damals mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten anwesend sein). 15 Gemeinden machten bis 1974 von dieser Möglichkeit Gebrauch. In den vier Gemeinden Aarburg, Oftringen, Spreitenbach und Suhr kehrte man allerdings Ende der 1980er aus unterschiedlichen Gründen wieder zum alten System zurück.

Wirtschaft

Landwirtschaft

1880 bedeckten Rebberge eine Fläche von rund 2700 Hektaren. Als nach 1900 die Reblaus und der Mehltau auch den Aargau heimsuchten, schrumpfte die Anbaufläche bis 1935 auf 330 Hektaren zusammen. Der Tiefststand wurde um 1965 mit 212 Hektaren erreicht. Seither hat sie sich vor allem dank der Initiative zahlreicher Hobbywinzer wieder auf über 400 Hektaren erhöht. Angebaut werden vor allem die Sorten Riesling und Blauburgunder. Die wichtigsten Anbaugebiete sind heute das untere Aaretal, das Surbtal, das obere Fricktal und das Schenkenbergertal bei Schinznach-Dorf.

Zwiebelernte bei Möhlin

Ab 1900 setzte die Mechanisierung der Landwirtschaft ein, die erstens zu einer Produktivitätssteigerung führte und zweitens auch weniger Arbeitskräfte benötigte. 1941 betrug der Anteil der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft noch 21 % und sank bis 2000 auf knapp drei Prozent. Die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe verringerte sich zwischen 1939 und 1995 von 18'777 auf 6845; die durchschnittliche Betriebsgrösse stieg im gleichen Zeitraum von 4,5 auf 9,5 Hektaren. Seit den 1950ern dominiert der Anbau von Zuckerrüben und Mais. Durch Melioration und Güterzusammenlegung sind die einst vielfach vorhandenen Obstbäume und Hecken weitgehend verschwunden. Der übermässige Einsatz von Dünger führte zu einer hohen Schadstoffbelastung der Gewässer; der Hallwilersee muss heute noch künstlich belüftet werden.

Elektrizitätswirtschaft

Kernkraftwerk Beznau
Kernkraftwerk Leibstadt

Die Einführung der Elektrizität trug wesentlich zur Industrialisierung bei. Der Wasserreichtum des Aargaus begünstigte den Bau von Wasserkraftwerken. Allein zwischen 1892 und 1914 entstanden zehn Anlagen mit einer Leistung von mehr als einem Megawatt, bis 1945 deren sechs, bis 1966 nochmals drei. Die Wasserkraftanlagen veränderten mit ihren Dämmen und Rückstaus die Landschaft wesentlich. Die zahlreichen Stromschnellen und Kiesbänke verschwanden fast völlig, ebenso die Flussauen. Durch den Bau eines Kraftwerks bei Klingnau entstand 1935 der Klingnauer Stausee. Eine 1993 angenommene Volksinitiative verpflichtet den Kanton zur Renaturierung der Flussufer und zur Errichtung eines Auenschutzparks, der bis 2014 ein Prozent der Kantonsfläche umfassen muss.

Die Flüsse boten ideale Bedingungen für den Bau von Kernkraftwerken, die grosse Mengen an Kühlwasser benötigen. Die Eröffnung des Kernkraftwerks Beznau (Block A 1969, Block B 1971) erfolgte noch ohne grössere Proteste. Anders verhielt es sich beim Bau des Kernkraftwerks Leibstadt. Nach dem Reaktorzwischenfall von Three Mile Island waren neue Sicherheitsbestimmungen notwendig geworden und die Anlage konnte erst 1984 nach elfjähriger Bauzeit eingeweiht werden. Ausserdem begleiteten heftige Proteste den Bau. Ein geplantes Kernkraftwerk bei Kaiseraugst scheiterte am erbitterten Widerstand der Bevölkerung und von Umweltschutzkreisen. Die spektakulärste Aktion war 1975 eine elf Wochen andauernde Besetzung des Baugeländes. 1988 wurde das Projekt endgültig fallen gelassen.

1960 wurde das Eidgenössische Institut für Reaktorforschung (EIR) und 1968 das Schweizerische Institut für Nuklearphysik (SIN) gegründet, aus denen 1988 das Paul-Scherrer-Institut (ein multidisziplinäres Forschungsinstitut mit einem Schwergewicht in der Kernforschung) in Villigen und Würenlingen hervorging. Heute produziert der Aargau etwas mehr als einen Viertel des Schweizer Stroms und trägt damit zu Recht den Beinamen „Energiekanton“ (manchmal wird der Kanton spöttisch auch als „NukleAargau“ bezeichnet).

Industrie

Im Jahr 1910 arbeiteten bereits mehr als die Hälfte (51 %) aller Beschäftigten in der Industrie. Die Maschinen-, Metall- und Apparateindustrie (in der Region Baden zusätzlich die Elektroindustrie) nahmen immer mehr an Bedeutung zu und verdrängten um 1920 die Textilindustrie von der Spitzenposition. Gleichzeitig verlor die Heimarbeit immer mehr an Bedeutung.

Der Bezirk Baden profitierte am meisten von der Industrialisierung und stieg zum mit Abstand bevölkerungsreichsten Bezirk auf. Dies vor allem dank der BBC, die zum grössten privaten Arbeitgeber der Schweiz aufstieg (15'000 Mitarbeiter im Jahr 1945, davon die Hälfte in Baden). Um 1930 war der Aargau hinter Solothurn und Glarus der am drittstärksten industrialisierte Kanton der Schweiz. Die Wirtschaftskrisen zu Beginn der 1920er und in den 1930ern führten vorübergehend zu hoher Arbeitslosigkeit und zur Aufgabe vieler Betriebe (vor allem in der Textilindustrie).

Nach 1945 setzte dank Hochkonjunktur und dem Zustrom ausländischer (vor allem italienischer) Arbeitskräfte ein starker Kapazitätsausbau der Industrie und des Baugewerbes ein. Bis 1960 stieg der Anteil der in der Industrie Beschäftigten auf 64 Prozent.

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Holcim-Konzernsitz in Wildegg

Unternehmen aus den Räumen Zürich und Basel verlegten in zunehmendem Masse ihre flächenintensiven Fabrikationsstandorte in den Aargau. Besonders deutlich wird dies bei der Basler Chemieindustrie, die im unteren Fricktal mehrere riesige Produktionsanlagen errichtete. Zahlreiche Aargauer Unternehmen vergrösserten ebenfalls ihre Betriebe, so z.B. die BBC, die ihre Produktion ins Birrfeld und in den Raum Lenzburg auslagerte. Eine Schlüsselindustrie ist bis heute die Herstellung von Zement, die vor allem im Aaretal und im Bezirk Zurzach konzentriert ist. Die nach der gleichnamigen Gemeinde benannte Firma Holderbank (heute Holcim) stieg zum zweitgrössten Zementkonzern der Welt auf.

Der Strukturwandel nach der Wirtschaftskrise Mitte der 1970er traf den Aargau bei weitem nicht so hart wie andere Regionen, dies aufgrund der besseren Durchmischung der Branchen. Der Dienstleistungssektor löste jedoch die Industrie als wichtigsten Wirtschaftszweig ab. Seit damals haben die kleinen und mittleren Unternehmen eine immer stärkere Bedeutung erlangt. Im Jahr 2001 betrug der Anteil der Industrie an den Arbeitsplätzen noch 38 Prozent.

Der rasante Aufstieg der Industrie nach 1945 hatte auch eine stärkere Umweltbelastung zur Folge. Bis in die 1970er wurde der Abfall fast ausschliesslich in Deponien entsorgt. Die erste Müllverbrennungsanlage wurde 1970 in Turgi in Betrieb genommen. Es folgten zwei weitere Anlagen in Buchs (1973) und Oftringen (1974). Die 1978 in Kölliken eröffnete Sondermülldeponie gilt als die grösste Altlast der Schweiz. Obwohl sie nur wenige Jahre in Betrieb war, muss sie mit einem Aufwand von 500 Millionen Franken aufwändig saniert werden.

Dienstleistungssektor

Der Anteil der im Dienstleistungssektor Beschäftigten stieg während des gesamten 20. Jahrhunderts zwar konstant an, blieb aber stets unter dem nationalen Durchschnitt, der Aargau galt lange Zeit als typischer Industriekanton. Erst um 1985 übertraf er den Anteil der Industrie und betrug im Jahr 2001 58 Prozent. Im Aargau entstanden aufgrund der guten Erreichbarkeit durch die Autobahnen überdurchschnittlich viele Logistik- und Einkaufszentren. Der Tourismus ist weiterhin marginal; zu den traditionellen Heilbädern in Baden, Rheinfelden und Schinznach-Bad kam 1955 ein weiteres in Zurzach hinzu.

Verkehr

Eisenbahn

Entwicklung des Eisenbahnnetzes im Aargau bis 2004

Nach 1900 entstanden nur noch vereinzelt neue Eisenbahnstrecken; diese von Anfang an elektrischen Bahnen dienten vor allem dem lokalen Verkehr. 1901 wurde die Aarau-Schöftland-Bahn eröffnet, gefolgt von der Wynentalbahn im Jahr 1904. Diese beiden meterspurigen Bahnen fusionierten 1967 zur Wynental- und Suhrentalbahn. 1902 war die Eröffnung der ebenfalls meterspurigen Bremgarten-Dietikon-Bahn, die 1912 die Strecke Wohlen – Bremgarten West von den SBB pachtete. Den Abschluss machte 1916 die normalspurige Wohlen-Meisterschwanden-Bahn. Die SBB-Strecken wurden zwischen 1907 und 1946 vollständig elektrifiziert.

Die nächste bedeutende Erweiterung liess bis 1975 auf sich warten. Der Heitersbergtunnel zwischen Mellingen und Killwangen verkürzte die Reisezeit zwischen Bern und Zürich erheblich, weil dadurch der Umweg über Brugg und Baden entfiel. Gleichzeitig wurde in Spreitenbach ein riesiger Rangierbahnhof in Betrieb genommen. Seit 1990 fährt die Zürcher S-Bahn bis Baden und Brugg.

Auf einigen Strecken musste aufgrund mangelnder Benutzung oder unzureichender Erschliessungsqualität der Personenverkehr eingestellt und durch einen Busbetrieb ersetzt werden: LenzburgWildegg (1984), Beinwil am SeeBeromünster (1992), LaufenburgKoblenz (1994) und WohlenMeisterschwanden (1997).

Die grösste Umstellung brachte die Einführung des Konzepts Bahn 2000 am 12. Dezember 2004: Eröffnet wurden die Neubaustrecke RothristMattstetten (mit dem Tunnel bei Murgenthal) sowie die 1941 gebaute, aber bislang nicht in Betrieb genommene „Kriegsschlaufe“ zwischen Zofingen und Rothrist. Andererseits wurden die ehemaligen Nationalbahn-Strecken AarauSuhr und MellingenWettingen stillgelegt. Eine teilweise Kompensation erfolgte mit der Verlängerung der Zürcher S-Bahn durch den Heitersbergtunnel bis Aarau.

Strassenverkehr

Aaretalviadukt der A3 bei Habsburg

Weitaus bedeutender als der Eisenbahnbau war im 20. Jahrhundert jedoch der Ausbau des Strassennetzes. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der Motorisierungsgrad rasant zu. Dringlichste Aufgabe war zunächst die „Staubfreimachung“, d.h. die Asphaltierung der Kiesstrassen. 1950 hatten erst 85 Prozent der Kantonsstrassen und 21 Prozent der Ortsverbindungsstrassen einen festen Belag. Zwanzig Jahre später waren sämtliche Strassen voll ausgebaut.

Zwischen 1966 und 1980 wurden die Autobahnen A1 und A2 auf Aargauer Boden errichtet, die A3 vorerst zwischen Kaiseraugst und Frick. Der Lückenschluss zwischen Frick und dem Autobahndreieck Birrfeld verzögerte sich bis 1996, weil lange Jahre um eine möglichst umweltschonende Streckenführung gerungen wurde. Bis 2003 war der Baregg-Tunnel bei Baden ein in der ganzen Schweiz berüchtigtes Nadelöhr, das erst mit dem Bau einer dritten Tunnelröhre beseitigt werden konnte. Parallel zu den Autobahnen plante man ein über 100 Kilometer langes Netz von vierspurigen Expressstrassen. Doch diese Projekte waren dem utopischen Fortschrittsglauben der 1960er entsprungen und wurden nach der Wirtschaftskrise der 1970er endgültig begraben und nur zu einem Bruchteil realisiert.

Da ein Grossteil des Ost-West- wie auch des Nord-Süd-Verkehrs durch den Aargau führt (sowohl auf der Strasse als auch auf der Schiene), wird der Aargau als „Durchfahrtskanton“ wahrgenommen.

Schifffahrt

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gab es immer wieder Pläne für den Ausbau der Wasserwege für grosse Güterschiffe, so z.B. 1913 ein Projekt für die Schiffbarmachung des Hochrheins von Rheinfelden bis nach Koblenz. Das 1924 vorgestellte Kanalprojekt für die Limmat wurde nach dem Zweiten Weltkrieg fallen gelassen. Anfangs der 1950er kam das Projekt des Transhelvetischen Kanals zwischen der Aaremündung und dem Genfersee auf. Die Staustufen der Wasserkraftwerke wären mit Schleusen überwunden worden. Bei Brugg, Klingnau und Full-Reuenthal waren grosse Flusshäfen vorgesehen, die das Landschaftsbild völlig verändert hätten. All diese Projekte wurden mit der Zeit immer mehr als unnötig und unrentabel empfunden und scheiterten auch am Widerstand der Bevölkerung. 1989 wurden die Projekte endgültig zu den Akten gelegt.

Bevölkerung

Seit 1890 nahm die Bevölkerung wieder zu, vor allem in den industrialisierten Gegenden (mit Schwerpunkt in der Region Baden). Der Anteil der nicht aus dem Aargau stammenden Schweizer stieg zwischen 1888 und 1950 von 8 auf 31 Prozent. Der Ausländeranteil erreichte 1910 mit 8 Prozent einen vorläufigen Höhepunkt (52 Prozent der Ausländer waren Deutsche, 37 Prozent stammten aus Italien). In der Zwischenkriegszeit verflachte sich das Wachstum. Der Ausländeranteil ging bis 1941 auf 3 Prozent zurück.

Nach dem Zweiten Weltkrieg löste die Hochkonjunktur einen regelrechten Wachstumsschub aus, das durchschnittliche jährliche Wachstum zwischen 1950 und 2000 betrug 1,3 Prozent. Besonders stark wuchsen die Bezirke Baden, Bremgarten und Rheinfelden, die in den Sog der schnell wachsenden Agglomerationen von Zürich bzw. Basel gerieten. Ein Extrembeispiel stellt dabei Spreitenbach dar, wo sich die Einwohnerzahl in diesem Zeitraum versechsfachte. Ebenfalls ein starkes Wachstum zu verzeichnen hatte der Bezirk Aarau.

Etwa die Hälfte des Bevölkerungswachstums zwischen 1950 und 1970 erfolgte durch die Einwanderung von Ausländern, hauptsächlich Italienern. Die meisten Fremdarbeiter waren katholisch, und so übertraf 1970 zum ersten Mal überhaupt die Zahl der Katholiken jene der Protestanten. Der Ausländeranteil stieg auf 18 Prozent. Nach der durch die Rezession verursachten verstärkten Abwanderung der Ausländer in den Jahren 1975 bis 1978 stieg deren Zahl wieder kontinuierlich an. Seit 1980 nimmt der Anteil der Italiener an der ausländischen Bevölkerung ab. Die meisten Einwanderer stammen heute aus den Balkan-Staaten und der Türkei.

Im Jahr 2003 zählte der Kanton knapp 550'000 Einwohner. Während der euphorischen Wachstumsphase der 1960er gingen die Raumplaner von einer Bevölkerungszahl von 1,1 Millionen (!) zu diesem Zeitpunkt aus. Verschiedene Planungen versuchten dieses angepeilte Wachstum in die richtigen Bahnen zu lenken. So waren an verschiedenen Standorten Gartenstädte mit mehreren Tausend Einwohnern vorgesehen. Spreitenbach sollte z.B. im „Endausbau“ 30'000 Einwohner zählen (heute sind es knapp 10'000). Das bekannteste Städtebau-Projekt hiess Aarolfingen. Dieses sah im Raum Aarau - Olten - Zofingen eine Grossstadt mit rund 350'000 Einwohnern vor, scheiterte jedoch an der fehlenden Unterstützung der Bevölkerung und an der Wirtschaftskrise der 1970er.

Trotz dieses rasanten Wachstums (in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stieg die Einwohnerzahl um mehr 200'000) hat sich bis heute kein eigentliches Zentrum ausgebildet. Der Aargau besitzt im Vergleich zur übrigen Schweiz über eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Gemeinden. Wettingen, die bevölkerungsreichste Gemeinde des Kantons, zählt „nur“ knapp 20'000 Einwohner. Das Fehlen eines starken Zentrums hat zur Folge, dass es selbst 200 Jahre nach der Kantonsgründung immer noch einen starken Regionalismus gibt.

Die Bezirke Baden, Bremgarten und Zurzach sind stark auf den Kanton Zürich ausgerichtet, in vielen Gemeinden beträgt der Anteil der ausserkantonalen Wegpendler mehr als 30 Prozent. Der Bezirk Rheinfelden richtet sich immer stärker nach Basel aus, der Bezirk Muri nach Zug und Luzern, der Bezirk Zofingen Richtung Olten und Bern.

Literatur

  • Christophe Seiler, Andreas Steigmeier: Geschichte des Aargaus – Illustrierter Überblick von der Urzeit bis zur Gegenwart, AT Verlag 1991, ISBN 3-85502-410-3 (Leicht verständliche, gut gegliederte und illustrierte Geschichte des Kantons, mit Schwerpunkt auf dem 19. und 20. Jahrhundert)
  • Bruno Meier, Dominik Sauerländer, Hans Rudolf Stauffacher: Revolution im Aargau – Umsturz, Aufbruch, Widerstand 1798-1803, AT Verlag 1997, ISBN 3855026122 (Geschichte des Kantons während der turbulenten Zeit der Helvetischen Republik, leicht verständlich, mit Bonus-CD-ROM)

Weblinks