Deutsche Nanga-Parbat-Expedition 1934

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Der Nanga Parbat von der „Märchenwiese“ aus

Die Deutsche Nanga-Parbat-Expedition fand im Jahr 1934 statt und war nach der im Jahr 1932 erfolglos beendeten Deutsch-Amerikanischen Himalaya-Expedition der zweite Versuch eines deutschen Expeditionsteams, den Nanga Parbat (8125 m) zu besteigen. Der Misserfolg dieser Expedition prägte für den Nanga Parbat den pathetischen Begriff des „Schicksalsberges der Deutschen“.

Expeditionsmannschaft

Zu den Teilnehmern zählte wie 1932 neben dem deutschen Expeditionsleiter Willy Merkl wieder der Österreicher Peter Aschenbrenner. Ihnen zur Seite standen die Deutschen Alfred Drexel, Uli Wieland, Willo Welzenbach, Fritz Bechtold und Peter Müllritter, sowie die zwei Österreicher, der Kartograf Erwin Schneider und der Expeditionsarzt Willi Bernard. Aschenbrenner und Schneider galten als hervorragende Leistungsträger der Expedition, Welzenbach setzte als Vertreter der „Münchner Schule“ und Mitglied des Akademischen Alpenvereins München neue Maßstäbe im Bergsport.

Verlauf

Transport und Anreise

Der erste Transport brach am 27. März 1934 auf und erreichte das Hauptlager am Fuße des Nanga Parbat zwei Monate später, am 29. Mai 1934. Mehr als 7000 kg Ausrüstungsmaterial und Verpflegung wurden von Europa in den Himalaya transportiert. Für den Transport der Lasten wurden etwa 600 Kulis angeheuert. Des weiteren unterstützten die Expedition 35 Sherpas, erfahrene Hochträger aus dem Khumbu, einer Subregion Nepals. Die genau durchdachte Logistik und die von britischen Transportoffizieren unterstützte Organisation machten die Expedition zu einem internationalen Unterfangen mit beinahe militärischer Planung.

Beginn der Besteigung

Datei:Gletscherspalte.jpg
Alpinisten überschreiten eine tiefe Gletscherspalte auf einer Schneebrücke
(Pressefoto aus dem Jahr 1935)

Die Besteigung des Nanga Parbat war über eine bei der Deutsch-Amerikanischen Himalaya-Expedition im Jahr 1932 entdeckten Route in der Rakhiot-Flanke geplant, Dr. Bernard und Müllritter blieben im Basislager zurück. Am 8. Juni verstarb Alfred Drexel im Lager II an einem Höhen-Lungenödem.[1] Die Gruppe kehrte daraufhin um und verbrachte 17 Tage im Basislager.

Trotz dieses ersten Schicksalsschlages verlief die Expedition in Folge recht erfolgreich. Peter Aschenbrenner und Erwin Schneider stießen gemeinsam über den Silbersattel bis auf eine Höhe von 7895 m vor[2][3], wo sie im Lager VII auf Anweisung Willy Merkls auf den gemeinsamen Gipfelsturm der Bergkameradschaft warten sollten – der Triumph der Erstbesteigung des Gipfels schien zum Greifen nahe.

Wetterumschwung und Abbruch der Expedition

Das Wetter, welches sich in dieser Region rasant ändern kann, schlug jedoch um. In der Nacht auf den 7. Juli baute sich ein Orkan auf, der die Männer zwang, in ihrem Höhenlager auf 7600 m auszuharren. Dieser dramatische Wetterumschwung, der neben tobendem Wind und Schneesturm auch Düsternis über die Expedition brachte, und Nahrungsmangel führten bei den Teilnehmern zu der Erkenntnis, dass der Gipfel nicht mehr erreicht werden konnte. Hinzu kam die Höhenkrankheit, die bei den Männern Erschöpfung hervorrief.

Am Morgen des 8. Juli wurde beschlossen, die Expedition abzubrechen. Auf Wunsch des Expeditionsleiters Willy Merkl sollten Schneider und Aschenbrenner in Begleitung von drei Sherpas zum Lager IV vorausgehen um eine Spur im Tiefschnee zu treten, wobei ein Sherpa abstürzte und die Schlafsäcke mit sich riss. Die übrigen Teilnehmer sollten ihrer Spur folgen. Für diese wurde es jedoch ein Kampf um Leben und Tod, den Uli Wieland am 9. Juli, Willo Welzenbach am 14. Juli und Willy Merkl am 16. Juli[4] verloren, wie den Notizen, die im Jahr 1938 gefunden wurden, zu entnehmen war.[5] Das gleiche Schicksal teilten die sechs Sherpas Nurbu, Pinzo, Tashi, Dorje, Dakshi und Gay-Lay. Sie starben auf dem Ostgrat und im Seilquergang der Rakhiot-Wand an Erschöpfung, Rettungsversuche durch Aschenbrenner und Schneider scheiterten am tiefen Schnee. Nur drei von elf Sherpas überlebten dieses Drama, unter ihnen war einer der „Tiger des Himalaya“ – wie erfahrene Sherpas auch genannt werden –, der Sherpa Ang Tshering, der daraufhin mit der Ehrenmedaille des Deutschen Roten Kreuzes ausgezeichnet wurde.[6] Aschenbrenner und Schneider erreichten zusammen mit drei Sherpas das Basislager.[7]

Nachspiel

Aschenbrenner und Schneider wurden in Folge beschuldigt, sich der Verletzung der Beistandspflicht schuldig gemacht zu haben. Ein alpinistisches Ehrengericht, initiiert durch die Deutsche Himalaya-Stiftung, sollte diesen Vorwurf klären. Auslöser dieses Verdachts war aber wohl die Rivalität zwischen der Deutschen Himalaya-Stiftung einerseits und dem Akademischen Alpenverein München, einer dem Alpenverein nahe stehenden Gruppe, andererseits.[7] Dieser Zwist war allerdings auch ein Spiegelbild der gespannten politischen und idealistischen Situation zwischen Österreich und dem Deutschen Reich.

Der Nanga Parbat als „Schicksalsberg der Deutschen“

Politische Bedeutung

Die Expedition wurde im Deutschen Reich nach der Machtergreifung Adolf Hitlers zu einer Unternehmung von großer nationaler und politischer Bedeutung – auch wegen der starken österreichischen Beteiligung, zumal das politische Verhältnis der beiden Länder im Jahr 1934 bereits sehr gespannt war. Ein möglicher Erfolg wurde von der nationalsozialistischen Propaganda als „Triumph des Deutschen Volkes“ gepriesen. In der Philosophie der Expeditionsteilnehmer, „Tod oder Ehre“, fand das NS-Regime großen Gefallen. Der Reichssportführer bezeichnete die Expedition als „Kampf der Deutschen Nation um die Gipfel der Welt“, die Teilnehmer führten eine große Zahl an Hakenkreuz-Fahnen mit sich, Medienberichte wurden in kriegerischem Jargon formuliert.[8] In Gedenken an die Expedition und die verunglückten Bergsteiger wurde in Folge eine Erinnerungsmedaille gestiftet.[6]

Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation im Deutschen Reich suchten Politik und Propaganda nach Wegen aus dieser Schmach. Als Land mit langer Geschichte im alpinen Bergsport sahen die Machthaber im Deutschen Reich eine Möglichkeit im weit entfernten Himalaya, wo der höchste Berg der Welt, der Mount Everest, noch immer unbezwungen war. Da das Gebiet des Himalayas jedoch unter britischer Hoheit war, konnten die britischen Behörden den deutschen Expeditionen den Zugang verwehren. Das Ziel der deutschen Anstrengungen wurde somit der am Westlichsten gelegene Achttausender – der Nanga Parbat, der um 1854 von den deutschen Gebrüdern Schlagintweit entdeckt wurde. Der Nanga Parbat galt daraufhin, so wie zuvor bereits der Kangchenjunga[9], als „Deutscher“ Gipfel im Himalaya, neben dem „Englischen“ Mount Everest und der „FranzösischenAnnapurna.

Der Nimbus des Nanga Parbat

Der Nimbus und die „heroische“ Wirkung des Begriffs Expedition wirkten wie der Heiliger Gral.[7] Nach dem Misserfolg des zweiten Besteigungsversuches nach 1932 und dem Tod von vier Expeditionsteilnehmern wurde der Nanga Parbat durch die Presse zum „Schicksalsberg der Deutschen“ hochstilisiert. Das deutsche Expeditionsbergsteigen geriet nach dieser Katastrophe in eine Krise, von der es sich erst nach drei Jahren wieder erholte. Im Jahr 1936 wurde die Deutsche Himalaya-Stiftung gegründet, die sämtliche Energien bündeln sollte, um den Nanga Parbat zu bezwingen. 1937 startete eine deutsche Mannschaft den nächsten Versuch. Diese Expedition führte allerdings zu einem noch größeren Drama, in dem sieben deutsche Bergsteiger und neun Sherpas umkamen. Insgesamt fanden von 1932 bis 1939 (Peter Aufschnaiter und Heinrich Harrer) sechs deutsche Expeditionen statt, allesamt erfolglos. Im Jahr 1953 organisierte Willy Merkls Halbbruder, Karl Maria Herrligkoffer, die Willy-Merkl-Gedächtnis-Expedition. Ein Mitglied dieser Expedition war Hermann Buhl, dem schlussendlich, nach 58 Jahren der Besteigungsversuche und 31 tödlich verunglückten Bergsteigern, am 3. Juli die Erstbesteigung des Nanga Parbat gelang.

Seine Bedeutung hat der Nanga Parbat auch heute nicht verloren. Im Jahr 2004, 60 Jahre nach den Ereignissen des Jahres 1934, führte der österreichische Alpinist und Extrembergsteiger Markus Kronthaler, der zahlreiche historische Expeditionen aufarbeitete, eine Expedition „auf den Spuren Peter Aschenbrenners“ am Nanga Parbat durch.

Siehe auch

Literatur

  • Fritz Bechtold: Deutsche am Nanga Parbat. Bruckmann, München 1935, ISBN 0012919292
  • Fritz Bechtold u. a.: Forschung am Nanga Parbat: Deutsche Himalaya Expedition 1934. Helwingsche Verlagsbuchhandlung, Hannover 1935, ISBN 0011032332
  • Deutsche Himalaya-Stiftung: Nanga Parbat – Berg der Kameraden. Bericht der deutschen Himalaya-Expedition 1938. Deutsche Himalaya-Stiftung, München 1943
  • Paul Bauer: Das Ringen um den Nanga Parbat. 1856–1953. München 1955
  • Helfried Weyer, Norman G. Dyhrenfurth: Nanga Parbat, der Schicksalsberg der Deutschen. Karlsruhe 1980
  • Helmuth Zebhauser: Alpinismus im Hitlerstaat. Bergverlag Rother, Ottobrunn 1998, ISBN 978-3-7633-8102-9
  • Peter Mierau: Die Deutsche Himalaja-Stiftung. Ihre Geschichte und ihre Expeditionen. Bergverlag Rother, Ottobrunn 1999, ISBN 978-3-7633-8108-1
  • Horst Höfler, Reinhold Messner: Nanga Parbat. Expeditionen zum „Schicksalsberg der Deutschen“ 1934–1962. Zürich 2002
  • Ralf-Peter Märtin: Nanga Parbat. Wahrheit und Wahn des Alpinismus. Berlin 2002
  • Peter Mierau: Nationalsozialistische Expeditionspolitik. Herbert Utz Verlag, München 2006, ISBN 978-3-8316-0409-8

Weblinks

Fußnoten

  1. Diagnostiziert durch den Expeditionsarzt Willi Bernard, möglicherweise handelte es sich aber auch um eine Lungenentzündung.
  2. Manchen Angaben zufolge kamen sie „nur“ bis auf eine Höhe von 7850 m.
  3. Vgl. „Welt der Berge“ Besteigungsgeschichte des Nanga Parbat auf der Website von Markus Kronthaler.
  4. Laut anderen Angaben starb Merkl am 17. Juli 1934. Vgl. Die Geschichte des Nanga Parbat auf Himalaya-Info.org
  5. Vgl. Liste der tragischen Ereignisse auf Himalaya-Info.org
  6. a b Vgl. Jochen Hemmleb: Everest. Göttinmutter der Erde. AS Verlag & Buchkonzept, Zürich, 2002, ISBN 3-905111-82-9, S. 152
  7. a b c Vgl. „50 Jahre Nanga Parbat“ (PDF) Österreichische Alpenzeitung des Österreichischen Alpenklubs (Ausgabe Juli/August 2003)
  8. Vgl. „Der letzte Berg“ Online-Beitrag der Zeitschrift Die Zeit (Ausgabe 27/2000).
  9. Vgl. „Nationalsozialistische Expeditionspolitik“ (PDF) Leseprobe zum Buch

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