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Tobin-Steuer

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Als Tobin-Steuer bezeichnet man eine 1972 von James Tobin vorgeschlagene, aber derzeit nicht existierende Steuer auf internationale Devisengeschäfte. Besteuert werden sollen nach Tobin kurzfristige Spekulationen mit ausländischen Währungen, zum Beispiel im Interbankenhandel. Auf diese Weise sollte es ermöglicht werden, massive und strategische Finanzspekulationen einzudämmen, die vor allem kleineren Wirtschaftssystemen mit "schwachen" Währungen große Probleme und Katastrophen bereiten, ohne dass dies reale Gründe innerhalb der kleinen Wirtschaftsräume hat.

Grundidee der Tobin-Steuer

Tobin berücksichtigt mit seinem Vorschlag das Phänomen, dass große Kapitalbeträge heute bereits Massen mobilisieren können, welche die Gesamtmasse kleinerer Volkswirtschaften (Währungs- und Wirtschaftsräume) annähern oder bedrängen können. Durch einmaliges oder kurzzeitig hinter einander fortgesetztes Verschieben superschwerer Kapitalbeträge aus einer in eine andere Währung treten Kursschwankungen sowie sogenannte Aufschaukelungen auf, die zu Störungen oder Zusammenbruch der kleinen Volkswirtschaften führen. Den Interessen der betroffenen Volkswirtschaften stehen die Interessen der Kapitaleigner gegenüber, die sich durch die Verschiebungen Gewinne verschaffen können. Mit relativ kleinen Gewinnen für die Kapitaleigner werden den Volkswirtschaften spürbare Verluste zugemutet, was Tobin als unverhältnismäßig kennzeichnet. Die Unsicherheiten wirken sich zudem auf die großen Währungsräume in oft unvorhersehbarer Weise zurück.

Der von Tobin vorgeschlagene Steuersatz würde auf alle grenzüberschreitenden Geldtransfers weltweit einheitlich erhoben und läge extrem niedrig zwischen 0,05 und einem Prozent. Für konventionelle Transfersummen, wie sie Einzelpersonen vornehmen, wäre diese Steuer vernachlässigbar gering, da die anfallenden Verluste sehr niedrig sind. Bei großen strategischen Transfers ab 8stelligen Summen würde sich die Steuer aber bemerkbar machen, weil viele Stellen hinter dem Komma (genannt PIP) relevant werden. Da es sich beim spekulativen Devisenhandel oft um das so genannte second trading oder minute trading handelt, wirkt sich eine Besteuerung auf die großsummigen Geschäfte eines Traders also stark aus. Diese Geschäfte würden nicht mehr attraktiv genug.

Die frühere Forderung Tobins nach einer Umverteilung von Kapital mittels der Besteuerung des Devisenhandels wurde von Globalisierungskritikern, speziell von Attac, aufgegriffen. Attac schlägt die Einrichtung einer übernationalen Organisation vor, die mit den Einnahmen Umweltprojekte in den Entwicklungsländern fördern soll.

Tobin selbst hat sich in den letzten Jahren seines Lebens von der Mehrheit der Befürworter der Tobin-Steuer distanziert, unter anderem weil er seinen Namen von den globalisierungskritischen Bewegungen vereinnahmt sah und weil die Diskussion in wesentlichen Punkten und Zielsetzungen von seinem ursprünglichen Konzept abweicht, das die Steuerung von Devisenströmen im Blick hat und nicht die Finanzierung von Entwicklungshilfe. Die Wirkung der Tobinsteuer soll nach Tobin unabhängig von der Verwendung der gewonnenen Steuerbeträge vor allem der Wechselkursstabilität dienen. Umweltpolitik oder Wirtschaftsförderung ist nach Tobin allenfalls ein Nebeneffekt der Steuer.

Bewertung

Analyse der Tobin-Steuer

Paul Bernd Spahn, Inhaber des Lehrstuhls für öffentliche Finanzen an der Universität Frankfurt, veröffentlichte 2002 im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine Machbarkeitsstudie in Bezug auf die Tobin-Steuer. Er beschränkte sich dabei auf die Aspekte der Einnahmenerzielung und der Wechselkursstabilität. Die systemtechnischen Veränderungen durch die Tobin-Steuer streifte er kurz und kam zu dem Ergebnis, dass die – oft idealistisch gefärbten – politischen Sichtweisen der Tobin-Steuer oft die wirtschaftlichen Folgen außer Acht ließen und nicht beachteten, dass die Devisentransaktionssteuer im Wechselkurssystem des Bretton Woods erdacht wurde. Ebenfalls ließen die Befürworter die Gefahren für die Liquidität der Volkswirtschaften außer Acht. Seine Empfehlung war die Einführung einer politically feasible Tobin Tax (dt. politisch machbare Tobin-Steuer, kurz PFTT). Diese setzt sich aus der eigentlichen Tobin-Steuer, fokussiert auf den Aspekt der Einnahmeerzielung, und einer Spekulationsabgabe, der Exchange Rate Normalization Duty (ERND), zusammen. Die ERND zielt besonders auf Schwellen- und Transformationsländer, die von anderen Währungen abhängig sind. Euro und US-Dollar sollen explizit ausgenommen werden und sich nur noch in einer festgelegten Bandbreite bewegen können. Das BMZ bewertete die Studie kritisch und befürchtete negative Auswirkungen auf die Entwicklungspolitik. Für Spahn stellte die Tobin-Steuer allerdings kein geeignetes Instrument der Entwicklungspolitik dar. Für ihn ist die politische Verwirklichung von Menschenrechten, Demokratie und Bildung hilfreicher als der unkontrollierte Zufluss von Kapital.

Befürworter

Die Tobin-Steuer soll, so die Befürworter, den kurzfristigen Handel mit Devisen unterbinden, da dieser ihrer Meinung nach negative Auswirkungen auf Volkswirtschaften hat, nicht aber den für diese unbedenklichen längerfristigen Devisenhandel. Die dadurch entstehenden Einnahmen sollen durch die Weltbank weitergeleitet werden. Die Einnahmen sollen der Allgemeinheit zu Gute kommen und der zu hohen Besteuerung geringer Einkommen entgegenwirken. Sehr populär ist auch die Idee, die Einkünfte aus der Tobinsteuer zur Erhöhung der Entwicklungshilfe und zum Abbau der Schuldenlast der ärmsten Entwicklungsländer zu verwenden.

Ein Beispiel für die Auswirkungen von kurzfristigem Devisenhandel, der durch die Tobin-Steuer beschränkt wäre, bietet Thailand. Mitte der neunziger Jahre trieben Finanzspekulanten das Land, welches bis zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich florierte, in eine tiefe Krise. Die nationale Währung, der Baht, verfiel (das Verhältnis Dollar zu Baht änderte sich von 1:25 auf 1:56). In Thailand verloren hunderttausende Menschen ihre Arbeit und viele Sozialeinrichtungen wurden geschlossen (auf Betreiben des IWF). Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass Thailand, als ein hoch entwickeltes Land, den Weg aus der Krise fand. Dennoch liegen die Zahlen noch deutlich unter dem Niveau vor der Krise.

Kritiker

Kritisch wird häufig bemängelt, dass ein großer Teil der kurzfristigen Geschäfte mit kleinen Gewinnspannen Ungleichgewichte an den Devisenmärkten beheben (vgl.: Arbitragehandel) und somit positive Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Die Tobin-Steuer würde auch diese Geschäfte stören.

Zusätzlich besteht die Befürchtung, das Ziel der Steuer sei lediglich eine Erhöhung der Steuereinnahmen und das Argument, Entwicklungshilfe- oder Umweltprojekte zu unterstützen, sei nur vorgeschoben.

Das größte Problem der Tobin-Steuer liegt jedoch in der weltweiten Umsetzbarkeit, damit keine Abwanderung von Kapital in nicht-besteuerte Gebiete (Steuerparadiese) entsteht.

Tiefergehende Kritik gibt es von Seiten freiheitlich orientierter radikaler Kapitalismus-Befürworter wie den Vertretern der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, des Libertarismus und des Anarchokapitalismus. Nach ihrer Auffassung geht die Tobin-Steuer nicht weit genug. Sie ziele lediglich auf ein Symptom ab, nicht jedoch auf die grundsätzliche Ursache, das internationale Fiat Money-Währungssystem. Dieses sollte durch einen freien Markt für Währungen, mindestens jedoch durch einen vollen Goldstandard ersetzt werden.

Kritiker sehen in der Tobin-Steuer auch einen Effekt, der dem Sinn wiederspricht. Das Element der Spekulation werde mit der Tobin-Steuer nicht unterbunden, da Spekulanten dafür sorgen würden, dass es zu stärkeren Kursbewegungen kommt, um ihre Margen zu erhöhen.

Empirische Wirtschaftsforschung zur Wirksamkeit der Tobin-Steuer

In der internationalen Wirtschaftsforschung gibt es mittlerweile eine Reihe von Fallstudien, welche den Zusammenhang zwischen Transaktionskosten und Volatilität der Finanzkurse empirisch untersuchen. Diese Fallstudien basieren auf regulativen Veränderungen des elektronischen Marktprozesses, welche in den 90er Jahren an zahlreichen Börsen zur Verringerung der Transaktionskosten vorgenommen wurden. Die Forschungsergebnisse zeigen einen eindeutigen positiven Zusammenhang zwischen Transaktionskosten und der Volatilität (Instabilität) des Marktpreises (z. B. Ronen and Weaver (2001), Bessembinder (2001), Bessembinder and Rath (2002), Hau (2006)).

Tobins Hypothese von der stabilisierenden Wirkung höherer Transaktionskosten (durch Steuern) kann daher als empirisch widerlegt betrachtet werden. Beispielhaft ist die Untersuchung von Hau (2006), The Role of Transaction Costs for Financial Volatility: Evidence from the Paris Bourse, veröffentlicht im Journal of European Economic Association (Juni 2006):

„Panel regressions controlling for market-wide volatility effects show at high levels of statistical significance that the hourly range volatility of individual stocks increases by more than 30 % for a 20 % exogenous increase in transaction costs due to tick size variations in the French trading system. In the light of this evidence, higher transaction costs in general, and security transaction taxes in particular, should be considered as volatility increasing.“

Eine (englischsprachige) Diskussion zum Forschungsstand findet sich ebenfalls in Hau (2006).

Umsetzung

Sowohl die Parlamente von Frankreich als auch Belgien haben die Einführung der Tobin-Steuer beschlossen, allerdings nur, wenn alle EU-Mitgliedsländer diese einführen. Ende Januar 2005 haben sich zuerst Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac und anschließend auch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder erstmals für eine Besteuerung internationaler Devisengeschäfte zugunsten von Entwicklungsländern ausgesprochen. Kritiker meinen, dies sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass eine solche Steuer international nicht konsensfähig sei, da sie vor allem von der amerikanischen Regierung abgelehnt werde und somit keine Aussicht auf Realisierung solcher Vorschläge bestehe.

Der österreichische Bundeskanzler Schüssel hat im Juli 2005 vorgeschlagen, die EU möge die Tobin-Steuer einführen (s. Weblink). Damit solle sich die EU eigene Mittel verschaffen können. Und – das war das eigentliche Ziel Schüssels – damit wäre die Budgetplanung der EU wesentlich konfliktfreier. Die EU-Kommission sprach sich trotzdem gegen die Einführung einer Tobin-Steuer aus.

Literatur

  • Matthias Catón: Tobin-Steuer. In: Dieter Nohlen (Hrsg.): Lexikon Dritte Welt. 12. Auflage, Rowohlt, Reinbek 2002, S. 792–793, ISBN 3-499-61468-5
  • Andreas Thiemer: Tobin Tax. In: Das Wirtschaftsstudium (WISU), 27. Jg., Heft 3 (März 1998), S. 235.

Anderweitige Erwähnung der Tobin Steuer

Weblinks