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John Searle

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John Rogers Searle (* 31. Juli 1932 in Denver, Colorado) ist ein US-amerikanischer Philosoph. Seine Hauptarbeitsgebiete sind die Sprachphilosophie, die Philosophie des Geistes sowie Teile der Metaphysik. Searle ist seit 1959 Mills Professor für Philosophie an der University of California, Berkeley.

John Searle

Leben

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Searle bei einem Vortrag

Searle studierte zunächst an der University of Wisconsin und später an der Oxford University bei John Langshaw Austin und Peter Frederick Strawson. Dort wurde Searle durch seine Lehrer an die Philosophie der normalen Sprache herangeführt, der er durch die Weiterentwicklung der Sprechakttheorie selbst wichtige Impulse gab. In Oxford lehrte Searle von 1957 bis 1959 am Christ Church College und erwarb dort 1959 seinen Ph.D.. 1959 wurde er mit nicht einmal 30 Jahren als Professor an die renommierte University of California, Berkeley, berufen. Der dortigen philosophischen Fakultät gehört er seit fast 50 Jahren an.

In Berkeley unterstützte Searle die aufkommenden Studentenproteste und wurde zum ersten festangestellten Professor, der am Free Speech Movement partizipierte. 1969 publizierte Searle sein sprachphilosophisches Hauptwerk Speech Acts, das ebenfalls weit in die Linguistik hineinwirkte. In den Folgejahren verschob sich der Schwerpunkt von Searles philosophischer Arbeit zunehmend in den Bereich der Philosophie des Geistes, in der er sich durch eine scharfe Kritik an reduktionistischen Ansätzen auszeichnete. Für seine Arbeiten in diesem Gebiet wurde er 2000 mit dem Jean Nicod Preis ausgezeichnet.

Sprachphilosophie

Sprechakte und Alltagssprache

Searle gilt zusammen mit seinem Lehrer Austin als wichtigster Vetreter der Sprechakttheorie. Diese Theorie ist laut Searle durch folgende Annahmen ausgezeichnet:

„Sprechen bedeutet Sprechakte auszuführen - Akte wie z.B. Behauptungen aufstellen, Befehle erteilen, Fragen stellen, Versprechen machen usw., und auf abstrakterer Ebene Akte wie z.B. Hinweisen und Prädizieren -, und dass die Möglichkeit dieser Akte allgemein auf bestimmten Regeln für den Gebrauch sprachlicher Elemente beruht und der Vollzug dieser Akte diesen Regeln folgt.“[1]

Dieses Zitat aus Speech Acts macht auch einige allgemeine Merkmale der Philosophie der normalen Sprache deutlich. Im Gegensatz zur Idealsprachenphilosophie des logischen Positivismus ging es nicht mehr um die Konstruktion von künstlichen Sprachen, die die Mehrdeutigkeiten der Alltagssprache umgehen sollten. Vielmehr war der Ausgangspunkt philosophischer Betrachtungen die Alltagssprache selbst. Der verstärkte Blick auf die alltägliche Sprache geht auf die Philosophischen Untersuchungen Ludwig Wittgensteins zurück.

Sprachregeln

Auch die Betonung des Regelbegriffs steht in der Tradition Wittgensteins, der die Bedeutungen von Sprechhandlungen mit ihren Gebrauchsregeln verknüpfte. Searle unterscheidet zwischen regulativen und konstitutiven Regeln. Regulative Regeln beeinflussen zwar eine Praxis, sind für sie jedoch nicht konstitutiv. So wird etwa der Straßenverkehr durch Regeln geleitet, doch keine dieser Regeln ist eine notwendige Bedingung für Straßenverkehr. Demgegenüber sind die Regeln des Schachspiels konstitutiv: Wer die Regeln des Schachspielens nicht befolgt, kann nicht Schach spielen, er kann allenfalls ein anderes Spiel auf einem Schachbrett spielen. Searle argumentiert nun, dass die sprachlichen Regeln konstitutiv für die Sprache sind. Wer die Regeln des korrekten Sprechens nicht kennt, kann nicht an einer sprachlichen Praxis partizipieren. Diese These macht den Begriff der Regel zum zentralen Element von Searles Bedeutungstheorie. Er erklärt, „dass eine Sprache sprechen bedeutet, Sprechakte in Übereinstimmung mit Systemen konstitutiver Regeln zu vollziehen.“[2]

Auch wenn die Konzentration auf den Regelbegriff an Wittgensteins Spätphilosophie orientiert ist, gibt es wichtige Unterschiede zwischen beiden Philosophen: Searle versucht eine möglichst präzise Systematik sprachlicher Regeln zu formulieren, während Wittgenstein einen derart systematisierenden Zugang zur Alltagssprache wohl als illusionär verworfen hätte. Die systematisierenden Bemühungen Searles haben zwar für die linguistische Forschung sehr produktiv gewirkt, bleiben jedoch als sprachphilosophisches Projekt umstritten. Von Vertreten der klassischen Normalsprachenphilosophie wird eingewandt, dass derartige Systematisierungen unrealistische Idealisierungen zur Folge hätten. Damit entferne sich Searles Sprachphilosophie von der alltäglichen, oft unscharfen, sprachlichen Praxis.

Bis heute bleibt die Rolle des Regelbegriffs in der Sprachphilosophie hoch umstritten. So muss etwa gefragt werden, wie man sich Entstehung und Geltung von sprachlichen Regeln vorzustellen habe. Schließlich wurden diese Regeln (im Gegensatz zu Spiel- oder Verkehrsregeln) nie explizit formuliert und aufgezeichnet. Vielmehr müssen die Sprachregeln in der Praxis implizit enthalten sein. Ein kompetenter Sprecher kann den Regeln seiner Sprache folgen ohne diese Regeln explizit zu kennen. Diese Probleme haben etwa Donald Davidson dazu geführt, den Regelbegriff abzulehnen[3]. Robert Brandom hält hingegen am Regelbegriff fest und hat versucht zu zeigen, wie sich sprachliche Regeln aus einer gemeinschaftlichen Praxis ergeben.[4]

Illokutionäre Akte

Nach Searle ist der illokutionäre Akt ein zentraler Aspekt von jedem Sprechakt. Dieser Aspekt ergänzt den propositionalen Gehalt, auf dessen Untersuchung sich etwa die positivistische Sprachphilosophie beschränkt hatte. Unter einer Proposition versteht man den Gehalt eines Sprechaktes, der einen Bezug zur Welt herstellt. Im deutschen können Propositionen mit dem Halbsatz dass p ausgedrückt werden. Beispiele sind etwa dass heute Montag ist, dass Napoleon grausam war oder dass ich zu spät bin. Für eine korrekte Sprechhandlung muss zu der Proposition noch ein illokutionärer Aspekt hinzutreten, der die Intention des Sprechers ausdrückt. Einige Beispiele: Man kann hoffen, behaupten, versprechen, oder befürchten, dass p. Durch diese verschiedenen illokutionären Aspekte können sehr verschiedene Sprechhandlungen mit der gleichen Proposition ausgeführt werden. Searle macht dies anhand des folgenden Beispiels deutlich:

  1. Sam raucht gewohnheitsmäßig.
  2. Raucht Sam gewohnheitsmäßig?
  3. Sam, rauche gewohnheitsmäßig!
  4. Würde Sam doch gewohnheitsmäßig rauchen![1]

All diese Beispielsätze drücken die gleiche Proposition aus, nämlich dass Sam gewohnheitsmäßig raucht. Sie unterscheiden sich jedoch in ihren illokutionären Aspekten: Im ersten Satz wird behauptet, in den folgenden gefragt, befohlen und gewünscht. Searle versucht nun die Regeln der verschiedenen illokutionären Akte zu herauszuarbeiten. In besonderer Ausführlichkeit hat Searle dies am Beispiel des Versprechens ausgeführt: Damit ein Sprechakt ein Versprechen sein kann, müssen zahlreiche Bedingungen erfüllt sein. Einige Beispiele: Um einer Person p versprechen zu können, muss der Adressat p dem Ausbleiben von p vorziehen - sonst hätten wir es mit einer Drohung und keinem Versprechen zu tun. Zu einem Versprechen gehört ebenfalls die Absicht einer Handlungsausführung. In all diesen Bedingungen sind nach Searle die konstitutiven Regeln der Sprache enthalten, die es aufzudecken und zu beschreiben gilt.

Philosophie des Geistes

Intentionalität

Franz Brentano führe das Problem der Intentionalität in die moderne Philosophie ein

Das Phänomen der Intentionalität ist das Bindeglied zwischen Searles Sprachphilosophie und seiner Philosophie des Geistes. Der Begriff der Intentionalität wurde von Franz Brentano in die moderne philosophische Debatte eingeführt. Brentano definierte „Intentionalität“ als das Merkmal der Gerichtetheit von mentalen Zuständen. Damit ist gemeint, dass sich mentale Zustände auf Sachverhalte in der Welt beziehen, so bezieht sich etwa der Gedanke, dass Napoleon ein Politiker war auf den Sachverhalt, dass Napoleon ein Politiker war. Nur durch diese Form der Bezugnahme können Gedanken wahr oder falsch sein: Bezieht sich der Gedanke auf einen bestehenden Sachverhalt, so ist er wahr. Besteht der Sachverhalt nicht (etwa beim Gedanken, dass Napoleon ein Riese war), so ist der Gedanke falsch.

In seinem 1984 veröffentlichten Buch Intentionality hat Searle das Phänomen der Intentionalität wieder in das Zentrum philosophischer Aufmerksamkeit gerückt. Auch in Sprechakten spielt nach Searle Intentionalität eine zentrale Rolle, da Sprechhandlungen ohne die intentionale Bezugnahme der Kommunikationsteilnehmer keine Bedeutung haben könnten. Würden die Äußerungen der Sprecher durch einen Zufall im Universum ohne intentionalen Verursacher entstehen, so wären dies nur Schallwellen ohne Bedeutung. Intentionalität ist also eine notwendige Bedingung für Bedeutung und gleichzeitig nur Lebewesen gegeben.

Die Debatte um Intentionalität ist in den letzten 20 Jahren insbesondere durch die Frage nach dem Reduktionismus dominiert worden. Reduktionisten vertreten die These, dass sich alle Phänomene letztlich durch eine naturwissenschaftliche Beschreibung erklären lassen. Die reduktionistische These schließt auch das Bewusstsein und die Intentionalität mit ein. Searle hat sich stark gegen reduktionistische Bemühungen gewandt: Zum einen hat er Versuche kritisiert, denkende - und damit intentionale - Computer oder Roboter zu bauen. Derartige Ansprüche sind nach Searle grundsätzlich verfehlt. Zum anderen versucht Searle, intentionale Zustände so eng an das Erleben (Qualia) zu binden, dass sich die vermutete Irreduzibilität von Erlebniszuständen auf intentionale Zustände überträgt.[5]

Künstliche Intelligenz

Das korrekte Verständnis des Phänomens der Intentionalität hat Auswirkungen auf die Grundlagentheorie der Künstlichen Intelligenz (KI). Der Computerpionier Alan Turing formulierte 1952 den Turing-Test als Antwort auf die Frage, ob Maschinen denken können. Laut Turing kann ein Computer genau dann denken, wenn er in einem schriftlichen Gespräch (einem Chat) einen Menschen darüber täuschen kann, dass er kein Mensch ist. Laut Searle reicht dieser Turing-Test nicht aus, um einem Computer Gedanken zusprechen zu können. Ein solcher Computer würde sich laut Searle nur einem Menschen entsprechend verhalten, selbst jedoch nichts meinen oder denken. Für derartige mentale Prozesse ist laut Searle Intentionalität notwendig, die über das Verhalten hinausgeht.

Eine 1-Band-Turingmaschine ist ein abstraktes Modell für einen Computer. Sie soll im Prinzip hinreichend sein, um den Turing-Test zu bestehen.

Um diese kritische Perspektive zu stützen hat Searle ein Argument entwickelt, dass die Verfehltheit des Turing-Tests beweisen soll.[6] Dieses als Chinesisches-Zimmer-Gedankenexperiment bekanntgewordene Argument beginnt mit der Annahme einer großen Bibliothek. In dieser Bibliothek sitzt eine Person, die Zettel mit chinesischen Schriftzeichen gereicht bekommt. Diese Person versteht kein Chinesisch, allerdings stehen in den Büchern der Bibliothek Transformationsregeln: Die Person sucht in den Büchern nach der Zeichenfolge auf dem Zettel und schreibt die neue, im Buch angegebene Zeichenfolge auf einen neuen Zettel auf. Diesen gibt sie nun aus der Bibliothek heraus. Der Witz an dem Gedankenexperiment ist, dass in den Büchern den chinesischen Sätzen passende andere chinesische Sätze zugeordnet sind. Für einen chinesischen Beobachter außerhalb der Bibliothek entsteht so der Eindruck einer richtigen Kommunikation: Auf Zetteln, die in die Bibliothek gereicht werden, stehen korrekte chinesische Sätze, etwa Fragen. Auf den Zetteln, die aus die Bibliothek gereicht werden, stehen passende chinesische Sätze, etwa die Antworten auf die Fragen. Das Bibliothekssystem (das chinesische Zimmer) würde daher den Turing Test bestehen.

Dennoch versteht nach Searle niemand in der Bibliothek chinesisch, weder die Person, noch die Bibliothek, noch Bibliothek und Person zusammen. Nach Searle zeigt dies, dass das Bestehen des Turing Tests nicht ausreicht, um auch nur einen Funken Sprache zu verstehen. Hinzu kommt, dass ein Computer im Prinzip nichts anderes macht, als das chinesische Zimmer von Searle: Er transformiert Zeichenfolgen nach gegebenen Regeln in neue Zeichenfolgen. Doch wenn dies im Falle des chinesischen Zimmers nicht hinreichend für Gedanken ist, ist auch nicht absehbar, wie jemals ein denkender Computer entstehen sollte.

Searle zieht aus seinem Gedankenexperiment die Konsequenz, dass zwischen einer schwachen und einer starken KI unterschieden werden muss. Die schwache KI versucht menschliches Verhalten zu simulieren und Probleme zu lösen, die von Menschen nur mittels Intelligenz zu bewältigen sind. Ein solches Projekt ist nach Searle vollkommen legitim. Die starke KI möchte hingegen denkende Maschinen bauen, was nach Searle unmöglich ist. Vertreter der künstlichen Intelligenz haben auf dieses Argument verschieden reagiert. Manche Forscher beschränken sich auf die schwache KI, während andere Searles Gedankenexperiment zurückweisen. Manche erklären etwa, dass das chinesische-Zimmer-System tatsächlich verstehen würde. Gegenläufige Intuitionen kämen daher, dass man sich die Komplexität eines derartigen Systems nicht klarmache.

Theorie des Bewusstseins

In Folge seiner Arbeiten zur Intentionalität und zur künstlichen Intelligenz hat sich Searle auch zunehmend um eine allgemeine Theorie des Bewusstseins bemüht. Zum einen sieht er sich in der Tradition des Naturalismus und behauptet, dass das Bewusstsein als ein ganz normales, biologisches Phänomen zu betrachten sei. Zugleich ist Searle ein scharfer Kritiker des Reduktionismus und erklärt, dass der subjektiven Erlebnisperspektive nie durch eine naturwissenschaftliche Beschreibung beizukommen sei. Aufgrund seiner naturalistischen Überzeugungen möchte sich Searle von dualistischen Philosophen absetzen, die im Bewusstsein ein immaterielles Phänomen sehen. Seine antireduktionistische Ausrichtung verbietet jedoch gleichzeitig eine Identifikation von mentalen Zuständen mit neuronalen Prozessen. Searle versucht diesem Dilemma zu entgehen, indem er erklärt, dass mentale Zustände von biologischen Zuständen verursacht seien.

Nun ist die kausale Interaktion von Geist und Gehirn jedoch ein typisches Element dualistischer Theorien, schon René Descartes behauptete, dass die biologischen Prozesse an einer bestimmten Stelle im Gehirn auf den Geist einwirken. Searle möchte sich von derartigen Theorien absetzen und erklärt, dass man im Falle des Bewusstseins von einer anderen Form der Verursachung auszugehen habe. Bewusstsein sei eine höherstufige Eigenschaft komplexer biologischer Systeme und keine immaterielle Entität. Derartige Äußerungen weisen Searle als Vertreter einer emergenztheoretischen Auffassung des Bewusstseins aus.

Eine derartige Position ist attraktiv, da sie die Probleme von Dualismus und Physikalismus zu umgehen verspricht. Trotz dieser Attraktivität wird oft eingewandt, dass sich Searles biologischer Naturalismus nicht mit seinem Antireduktionismus kohärent zusammenbringen lässt. Wenn Bewusstsein - wie Searle behauptet - ein unproblematisches, biologisches Phänomen ist, dann sei unverständlich wie das Bewusstsein eine subjektive Komponente haben kann, die durch die Biologie nicht erfassbar ist.

Weitere Themen

Die Konstruktion sozialer Realitäten

Searle beschreibt das zentrale Thema seiner Ontologie sozialer Phänomene wie folgt:

„Ein rätselhaftes Phänomen der sozialen Realität ist die Tatsache, dass sie nur existiert, weil wir denken, dass sie existiert. Es ist ein objektives Faktum, dass das Stück Papier in meiner Hand ein 20-Dollar-Schein ist, dass ich ein Bürger der Vereinigten Staaten bin oder dass Giants die Athletics im gestrigen Baseballspiel 3-2 besiegt haben. All dies sind objektive Fakten in dem Sinne, dass sie nicht von meiner Meinung abhängen. Wenn ich das Gegenteil glaube, liege ich einfach falsch. Aber diese objektiven Fakten existieren nur durch eine gemeinsame Akzeptanz oder Anerkennung.“[7]

Searles Ziel ist es, zu verstehen, wie objektive Fakten in der Welt abhängig von menschlicher Anerkennung sein können und wie derartige Fakten überhaupt entstehen. Er bedient sich bei der Erklärung der philosophischen Werkzeuge, die er in der Sprachphilosophie und der Philosophie des Geistes entwickelt hat. Insbesondere die Begriffe der Intentionalität und der konstitutiven Regel kommen in Searles Philosophie der Gesellschaft an zentraler Stelle erneut vor. Searle beansprucht, die Konstruktion sozialer Realtitäten durch drei grundlegende Prozesse erklären zu können:

  1. Kollektive Intentionalität: Die Fähigkeit zu kooperativem Verhalten und gemeinsamer Absicht. Beispiele: Ein Instrument spielen als Teil eines Orchesters, Fußball spielen als Teil eines Teams.
  2. Zuschreibung von Funktionen: Einer Entität eine Funktion zuschreiben, die sie nicht von selbst hat. Beispiele: einem Baumstumpf die Funktion des Stuhl zuschreiben, Stein als Hammer.
  3. Konstitutive Regeln: Konstitutive Regeln ergeben sich in einer Gemeinschaft aus dem Zusammenspiel von kollektiver Intentionalität und der Zuschreibung von Funktionen: Man kann einem Objekt eine Funktion zuschreiben, die nicht auf physischen Eigenschaften beruht, sondern auf dem gemeinsamen Anerkennen des Objekts als etwas anderes. Beispiel: Eine Mauer kann aufgrund ihrer physischen Eigenschaften die Funktion einer Grenze zugeschrieben werden. Man kann aber auch einer Linie diese Funktion zuschreiben, wenn die Gemeinschaft die Linie als Grenze anerkennt. Die Grenze wäre somit durch eine soziale Regel konstituiert.

Realismus und Relativismus

Die zentrale Rolle des Konstruktionsbegriffs in Searles Ontologie sozialer Phänomene lässt vermuten, dass man ihn auch im Allgemein als einen Konstruktivisten bezeichnen kann. Dies trifft allerdings nicht zu, Searle möchte konstruktivistische Thesen auf den Bereich der sozialen Realität beschränkt wissen. Entscheidend ist hier Searles Unterscheidung zwischen beobachterabhängigen und beobachterunabhängigen Phänomenen. Die soziale Welt besteht aus beobachterabhängigen Phänomenen, weswegen man von der Konstruktion sozialer Realitäten sprechen kann. Demgegenüber beschreiben die Naturwissenschaften beobachterunabhängige Phänomene, die folglich auch nicht konstruiert sind.

Diese kritische Einstellung gegenüber generell konstruktivistischen Positionen verweist auf eine allgemeine philosophische Position, für die sich Searle in den letzten Jahren stark gemacht hat[8]: Searle versucht traditionelle und starke Lesarten der Begriffe der Wahrheit, Realität und Rationalität gegen relativierende philosophische Strömungen zu verteidigen. Dabei hält er den realen oder vermeintlichen Relativismus von Autoren wie Richard Rorty oder Jacques Derrida für nicht nur philosophisch unplausibel, sondern auch für politisch gefährlich. Philosophisch argumentiert Searle insbesondere, dass ohne unsere traditionellen Begriffe der Wahrheit, Realität und Rationalität unsere sprachlichen Praktiken gar nicht verständlich seien. Rorty hat dieser transzendentalen Argumentation folgendes entgegen gesetzt:

„Wo Searle Bedingungen der Verständlichkeit oder Voraussetzungen erblickt, sehe ich rhetorische Schnörkel, die den Anwendern der betreffenden Praktiken das Gefühl vermitteln sollen, dass sie loyal an einer gewaltigen und starken Sache festhalten, nämlich am inneren Wesen der Realität.“[9]

Literatur

Primärliteratur

  • Speech acts: An essay in the philosophy of language. London: Cambridge University (1969). Dt. Übersetzung: Sprechakte: Ein sprachphilosophischer Essay. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (1971).
  • Herausgeber von The philosophy of language. London: Oxford University (1971). ISBN 0-19-875015-3.
  • A taxonomy of illocutionary acts. Trier: Laut (1976).
  • Expression and meaning: Studies in the theory of speech acts. Cambridge: University Press (1979). ISBN 0-521-22901-4. Dt. Übersetzung: Ausdruck und Bedeutung: Untersuchungen zur Sprechakttheorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (1982). ISBN 3-518-27949-1.
  • Speech act theory and pragmatics. Dordrecht: Reidel (1980). ISBN 90-277-1043-0
  • Intentionality: An essay in the philosophy of mind. Cambridge: University Press (1983). ISBN 0-521-22895-6. Dt. Übersetzung: Intentionalität: Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (1987). ISBN 3-518-57814-6.
  • Minds, brains and science. Cambridge: Hardvard University (1984). ISBN 0-674-57631-4
  • mit Daniel Vanderveken: Foundations of illocutionary logic. Cambridge: University Press (1985). ISBN 0-521-26324-7
  • The rediscovery of the mind. Cambridge: MIT (1992). ISBN 0-262-69154-X. Dt. Übersetzung: Die Wiederentdeckung des Geistes. München: Artemis und Winkler (1993). ISBN 3-7608-1944-3
  • The construction of social reality New York: Free Press, 1995 ISBN: 0-02-928045-1 Dt. Übersetzung: Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit: Zur Ontologie sozialer Tatsachen. Reinbek: Rowohlt (1997). ISBN 3-499-55587-5
  • Mind, language and society: Philosophy in the real world. Philadelphia: Basic Books. ISBN 0-465-04521-9
  • Consciousness and language. Cambridge: University Press (2000). ISBN 0-521-59237-2
  • Rationality in action. Cambridge: MIT (2001). ISBN 0-262-19463-5
  • Mind: A brief introduction. New York: Oxford University Press 2004. ISBN 0-195-15733-8
  • Freiheit und Neurobiologie. Suhrkamp Verlag 2004. ISBN 3-518-58398-0

Sekundärliteratur

  • Nick Fotion: John Searle, Teddington : Acumen, 2000, ISBN 1-902683-08-0
  • Barry Smith (Hg.): John Searle, Cambridge: Cambridge Univ. Press, 2003 ISBN 0-521-79288-6
  • David Koepsell and Laurence S. Moss (Hg): John Searle's ideas about social reality : extensions, criticisms and reconstructions Malden, MA: Blackwell, 2003, ISBN 1-405-11258-1
  • John Preston and Mark Bishop (Hg.): Views into the Chinese room : new essays on Searle and artificial intelligence, Oxford: Clarendon Press, 2002 ISBN 0-19-925277-7
  • Stephen R. Schiffer: Meaning, Oxford : Clarendon Pr., 1972.

Quellen

  1. a b Searle: Sprechakte S.30
  2. Searle: Sprechakte S.61
  3. Donald Davidson: Kommunikation und Konvention in: Wahrheit und Interpretation Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 1986, ISBN 3-518-28496-7
  4. Robert Brandom: Expressive Vernunft: Begründung, Repräsentation und diskursive Festlegung Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2000, ISBN 3-518-58360-3
  5. Searle: The rediscovery of the mind. S.178
  6. Searle: Minds, brains and science.
  7. Searle: Social Ontology: Some Basic Principles
  8. Searle: Rationality in action.
  9. Richard Rorty: Searle über Realismus und Relativismus in: Wahrheit und Fortschritt Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2000, ISBN 3-518-29220-X