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Sant’Ivo alla Sapienza

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Sant’ Ivo alla Sapienza

Sant’ Ivo alla Sapienza ist eine barocke Kirche in Rom, erbaut 1642–1660 von Francesco Borromini. Sie ist dem Heiligen Ivo geweiht, dem Schutzpatron der Juristen, und liegt am Corso del Rinascimento östlich der Piazza Navona. Die einzigartige Form ihres Zentralbaus sowie ihre verspielte concettistische Symbolik machen sie zu einer der originellsten und schönsten Kirchen in Rom.

Geschichte

Der Palazzo della Sapienza 1665

Sant’ Ivo entstand als Kapelle für das päpstliche Archiginnasio, die spätere Universität La Sapienza. Die Kirche musste in den bestehenden Komplex des Palazzo della Sapienza eingepasst werden, den Giacomo della Porta, Architekt des Frühbarock, 1585-1590 unter den Päpsten Gregor XIII. und Sixtus V. errichtet hatte. Die Kirche sollte dem Heiligen Ivo geweiht werden, dem Schutzpatron der Juristen, da sie zur juristischen Fakultät der Universität gehörte.

Bereits Giacomo della Porta hatte einen Zentralbau für die Universitätskapelle vorgesehen, sie jedoch nicht realisiert. Papst Urban VIII. (Amtszeit 1623–1644) ernannte Francesco Borromini 1632 zum Architekten und Baumeister des Archiginnasio, wie die Universität offiziell zu dieser Zeit noch hieß. Im Januar 1643 begann Borromini mit dem Bau der Universitätskapelle. In der Regierungszeit von Innozenz X. (1644–55) wurde die Kirche außen vollendet, war jedoch bei dessen Tod innen noch undekoriert. Innozenz’ Nachfolger Alexander VII. ordnete noch im selben Jahr, am 16. Juli 1655, die Fortführung der Arbeiten an.

Am 13. November 1600 konnte die „Cappella della Sapienza“ feierlich eingeweiht werden. Mehrere Kirchweihpredigten beschäftigten sich mit dem Schutzheiligen der Kirche und den ikonologischen Motiven ihrer Dekoration, die sich um die Themen der göttlichen Weisheit und der Nächstenliebe ranken. Eine im selben Jahr geprägte Gedenkmünze zeigt auf der Vorderseite das Porträt Alexanders VII., auf der Rückseite die Fassade von Sant’ Ivo im Innenhof der Universität, umgeben von den Worten „OMNIS SAPIENTIA A DOMINO“ („Alle Weisheit stammt vom Herrn“; Sir. 1, 1).[1]

Sant’ Ivo diente als Universitätskapelle bis 1935, als die Universität in die unter Mussolini errichtete Città Universitaria umzog. Seither ist sie hauptsächlich eine Touristenattraktion an dem stark frequentierten Weg zwischen Piazza Navona und Pantheon; die Kirche ist jedoch nur Sonntags vormittags zugänglich. Auf dem Innenhof des Palazzo della Sapienza finden außerdem Konzerte statt.

Architektur

Vertikaler Schnitt durch den Sakralraum

Die Kirche ist in den zur Bauzeit bereits vorhandenen Komplex des Universitätsgebäudes eingepasst. Sie schließt den langgezogenen, rechteckigen Innenhof nach Osten hin ab und überführt dessen zweigeschossige Arkaden unmittelbar in die konkav geschwungene Kirchenfassade. Auf den Ecken des Fassadengesimses thronen plastisch umgesetzte Elemente aus dem Wappen von Alexander VII. und dem Familienwappen der Chigi: Hügelreihen, die von einem achtzackigen Stern beschienen werden.

Diese konkave Fassade kontrastiert mit dem konvex gewölbten Geschoss darüber, unter dem sich die Tambourkuppel verbirgt. Auf dieser Kuppel sitzt eine Laterne, deren Fenster von Säulenpaaren gerahmt werden. Noch im Kranzgesims wiederholt sich das lebhafte Spiel von konkaven und konvexen Formen. Die Laterne wird wiederum von einem extravaganten spiralförmigen Türmchen bekrönt, das oben in einem Flammenkranz endet.

Innenraum

Grundriss des Palazzo della Sapienza mit Sant’ Ivo

Auch im Innern von Sant’ Ivo setzt sich das konrastreiche und reizvolle Spiel von konkaven und konvexen Formen fort, besonders im Grundriss des Sakralraums. Die Grundform des Innenraums wird traditionell als Überlagerung zweier gleichseitiger Dreiecke interpretiert, die gemeinsam ein Hexagramm bilden.

Tatsächlich lässt sich der Grundriss jedoch auch auf einem einzigen gleichseitigen Dreieck aufbauen, dessen Spitzen durch einen Zirkelschlag kreisförmig eingebuchtet sind; die Seiten des Dreiecks erhalten jeweils eine halbkreisförmige Ausbuchtung mit demselben Radius. Dadurch bilden sich um den Mittelpunkt des Sakralraums sechs Nischen, wobei sich jeweils eine konkave und eine konvex geformte Nische gegenüberliegen. So entsteht mit einfachsten Mittel eine komplexe Raumform, die in drei Richtungen achsensymmetrisch ist.[2]

Geometrische Rekonstruktion

Diese originelle Grundform ist von hohem ästhetischem Reiz, dient aber auch als Träger von ausgeklügelter Formsymbolik. Das gleichseitige Dreieck, das dem Innenraum zugrundeliegt, steht in der Sakralarchitektur traditionell für die Dreifaltigkeit. Neben dem Dreieck spielt auch das Sechseck eine Rolle: Zum einen sind die umliegenden Räume, etwa der Sakristei, sechseckig geformt, zum anderen kann dem Sakralraum selbst ein regelmäßiges Sechseck eingeschrieben werden. Da das Sechseck in der Zahlenmystik des Okkultismus zur Zeit Borrominis von Bedeutung ist, mag die intellektuelle Beschäftigung des Architekten mit solchen Themen bei der Wahl des Grundrisses eine Rolle gespielt haben.

Korinthische Monumentalpilaster gliedern die Wände und geben ihnen einen komplexen Rhythmus. Jeweils drei konkave und konvexe Wandelemente wechseln sich ab. Oben werden sie von einem Gesims abgeschlossen, auf dem die Kuppel aufsitzt. Über dem Altar vor der östlichen Nische, dem einzigen räumlichen Fixpunkt, findet sich ein monumentales Altarbild von Pietro da Cortona, das den Kirchenpatron St. Ivo darstellt.

Kuppel

Das Innere der Kuppel

Die Kuppel wird von sechs Graten gebildet, die, sich nach oben hin allmählich abschwächend, die komplizierte Form des Grundrisses in einen einfachen Kreis überführen. Entlang der Grate führen Lisenen den optischen Rhythmus der Pilaster fort. Über dem Opaion befindet sich die Laterne, durch deren vom Sakralraum nicht sichtbaren Fenster die Kirche indirekt von Tageslicht erhellt wird.

Die Stuckdekoration der Kuppel erinnert emblematisch an Papst Alexander VII., unter dem der Innenraum vollendet wurde: Über den sechs Fenstern der Kuppel findet sich dreimal das Papstwappen mit den Hügelketten. Eine flammende Krone auf dem obersten der Hügel verweist auf die Flammenkrone, die das Türmchen bekrönt. Die übrigen drei Reliefs zeigen Motive aus seinem Familienwappen (Eichenkränze, Kronen) und aus der christlichen Ikonografie (Lilien der Jungfrau Maria sowie Palmzweige für die in der Kirche bestatteten Märtyrer). Sechs Paare von Cherubimen finden sich über den Fenstern, sechs Seraphim unterhalb der Laterne. Ihre Flügel sind jeweils abwechselnd gespreizt oder über Kreuz verschränkt, um dem Streben nach größtmöglicher Formvariation und zugleich größter Ordnung zu folgen.

Die Kuppel ist nicht nur eine architektonische Meisterleistung, sondern vermittelt auch christliche Symbolik: An der Decke der Laterne befindet sich eine gemalte Taube im Strahlenkranz, die für den Heiligen Geist steht. Die Taube im hellen Lichtkreis der Laterne, der mit dem dunkel verschatteten Umriss des Unterbaus kontrastiert, steht für das Pfingstwunder, bei dem der Heilige Geist auf die Apostel und von diesen auf die Welt ausgeschüttet wurde. Der Ring von zwölf Sternen um die Öffnung steht daher für die zwölf Apostel. Reihen acht- und sechszackiger Sterne entlang der Lisenen markieren den Weg des Heiligen Geistes auf die Erde.[3] Die Kuppel erzählt also dem Betrachter auf ästhetische Weise vom Pfingstwunder, das für den Kirchgänger im Gottesdienst immer wieder von Neuem stattfindet. Eine andere Interpretation deutet die Formgebung der Kuppel als Übergang von einer einfachen, alles durchdringenden Ursache, nämlich Gott, hin zu einer komplex gestalteten Welt (oder umgekehrt).

Turm

Die Laterne mit dem Spiralturm

Auf der Laterne sitzt ein kleines Türmchen, das sich als dreifach gewundene spiralförmige Rampe nach dreht. Die Kanten der Spirale sind mit kronenartigen Girlanden verziert, auf denen kleine „Brillanten“ sitzen. (Borromini selbst sprach von „corone“, Kronen, und „gioie“, Juwelen.)[1] Abgeschlossen wird die Spirale nach oben von einem Kranz von Flammen, auf welchem wiederum vier gebogene Metallstreifen sich zu einer angedeuteten Kugel formen. Diese Streifen tragen wiederum eine Metallkugel, auf der das abschließende Kruzifix steht.

Der extravagante Turm von Sant’ Ivo ist ein deutlich sichtbares Zeichen für Borrominis Anspruch, sich in seiner architektonischen Formgebung nicht zu wiederholen, sondern für jedes Bauwerk eine neue, originelle und reizvolle Formensprache zu schaffen. In seiner Formgebung verbergen sich metaphorische und wortspielerische Anspielungen auf die Funktion des Gebäudes.

Mitra papalis

Eine ganze Reihe von Interpretationen beschäftigt sich mit der baulichen Symbolik des verspielten Türmchens. Plausibel ist eine Interpretation, die den Turm als architektonische Anspielung auf eine Schneckenart aus der Familie der Mitraschnecken bewertet, deren Gehäuse spiralförmig gedreht ist. Solche Schneckenhäuser fanden sich in vielen Kuriositätensammlungen, wie auch Borromini eines besaß. Nicht nur die Form, sondern auch ihr Name Mitra papalis, im 17. Jahrhundert auf Italienisch auch corona papale, „Papstkrone“ genannt, verweist auf die Tiara, die für das Papsttum steht.

Aus der verkürzten Perspektive, die ein Betrachter vom Innenhof aus hat, kann die Spirale zudem tatsächlich als Stapel dreier Kronen gesehen werden – die klassische Form der Tiara.[1]. Entwürfe von Bauwerken, die die Papstkrone als architektonisches Element verwenden, finden sich sowohl bei Borromini als auch bei anderen Baumeistern seiner Epoche.

Das spiralförmige Bauwerk hat verblüffende Ähnlichkeit mit Darstellungen des Turms von Babel aus dem 16. Jahrhundert, so dass er von manchen Kunsthistorikern als Turm der Weisheit interpretiert wurde – eine Deutung, gegen die spricht, dass der Turmbau von Babel stark negativ belegt ist. Auch der Pharos von Alexandria wurde als Vorbild bemüht.[4]

Der Flammenkranz schließlich steht in der Ikonologie des 17. Jahrhunderts meist für die Nächstenliebe; der Patron St. Ivo wurde vor allem als Anwalt der Armen verehrt. Auch mit der Ausgießung des Heiligen Geistes beim Pfingstwunder, das im Kircheninnern dargestellt wird, kann er in Verbindung gebracht werden.

Sant’ Ivo als Allegorie der Weisheit

Bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts hatte das päpstliche Archiginnasio den inoffiziellen Beinamen „La sapienzia“, die Weisheit. Über der Pforte des Universitätsgebäudes hatte Sixtus V. eine Inschrift anbringen lassen, die das päpstliche Verhältnis von Religion und Gelehrsamkeit zum Ausdruck brachte: „INITIUM SAPIENTIAE EST TIMOR DOMINI“ – „Der Anfang aller Weisheit ist die Gottesfurcht“ – und damit den Namen sozusagen offiziell bestätigt.

Die göttliche Weisheit stand im Gegensatz zur weltlichen Gelehrsamkeit, die sich der Mensch durch mühsames Studium erwirbt, die jedoch der Vergänglichkeit unterworfen ist. Die göttliche Weisheit dagegen wird dem Menschen von Gott geschenkt, er kann sie nur durch Frömmigkeit erwerben. Die Kirche der päpstlichen Universität sollte daher selbst eine architektonische Allegorie der Weisheit darstellen.[1]

Über dem Fenster des Tambours findet sich etwa ein Relief, das eine Taube, ein Lamm und ein Buch darstellt. Nach Cesare Ripas Iconologia stehen diese Elemente für die göttliche Weisheit. Auch die Darstellung in der Kuppel und die Ikonologie des Pfingstwunders können in diesem Zusammenhang gesehen werden. Die Cherubim über den Kuppelfenstern stehen für die göttliche Weisheit, die Seraphim wiederum für die Nächstenliebe. Nicht zuletzt sind auch die Bienen der Barberini ein Symbol für die göttliche Weisheit.

Die Bienen der Barberini

Die Bienen im Innenhof des Palazzo della Sapienza

Als Mitglied der Familie Barberini trug auch Papst Urban VIII. die Biene in seinem Papstwappen. Die Biene galt in seiner Zeit als Symbol der göttlichen Weisheit. Im Innenhof des Palazzo della Sapienza finden sich diese Bienen in Medaillons unter dem Dachtrauf als skulpturaler Bauschmuck. Auch in den Grundriss von Sant’ Ivo alla Sapienza wurde häufig die Form einer Biene hineingedeutet; die Tradition entstand wohl noch zu Borrominis Lebzeiten und ist erstmals 1661 belegt.[1]

Die Biene im Grundriss

Die Körperform der Biene wurde mit einem regelmäßigen Sechseck in Übereinstimmung gebracht: Ihre sechs Beine markierten die Ecken des Sechsecks, während ihre vier Flügel, ihr Kopf und ihr Hinterleib mit den sechs Nischen im Grundriss von Sant’ Ivo in Einklang stehen sollten.

Zwar muss man davon ausgehen, dass Borromini nicht die Form der Biene als Grundlage nahm, als er den Grundriss entwarf. Doch hat er der Ähnlichkeit wohl nicht wiedersprochen, besonders, wenn es um die offizielle Genehmigung des Bauplans ging. Dafür spricht, dass von Borromini selbst gezeichnete offizielle Präsentationszeichnungen erhalten sind, die die Urban VIII. vorgelegt wurden und die Biene im Grundriss verzeichnen – an jener Stelle, wo später die Taube des Heiligen Geistes stehen sollte.

Anmerkungen

  1. a b c d e Scott 1982
  2. Thürlemann 1990
  3. Ost 1967
  4. Herz 1989

Literatur

  • Alexandra Herz: „Borromini, S. Ivo, and Prudentius“, Journal of the Society of Architectural Historians 2/1989, S. 150–157.
  • Hans Ost: „Borrominis römische Universitätskirche S. Ivo alla Sapienza“, Zs. f. Kunstgeschichte 30/1967, S. 101–142.
  • Paolo Portoghese: Borromini: architettura como linguaggio. Mailand 1967.
  • John B. Scott: „S. Ivo alla Sapienza and Borromini’s symbolic language“, Journal of the Society of Architectural Historians 4/1982, S. 294–317.
  • Felix Thürlemann: Vom Bild zum Raum: Beiträge zu einer semiotischen Kunstwissenschaft. Köln 1990, S. 153–179.
  • Rudolf Wittkower: Art and Architecture in Italy 1600–1750. Harmondsworth 1982, S. 206–212.
Commons: Sant’ Ivo alla Sapienza – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

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