„Hegemoniale Männlichkeit“ – Versionsunterschied

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'''Hegemoniale Männlichkeit''' ist ein Begriff aus der [[Gender Studies|soziologischen Geschlechterforschung]], der eine gesellschaftliche Praxis beschreibt, die die dominante [[soziale Position]] von Männern und eine untergeordnete Position von Frauen garantieren soll. Mit dem Konzept soll erklärt werden, wie und warum Männer ihre soziale Dominanz gegenüber Frauen und anderen [[Geschlechtsidentität]]en, aber auch gegenüber als „schwächer“ wahrgenommenen Männern (beispielsweise [[Homosexualität|Homosexuellen]]) erreichen und aufrechterhalten.<ref>{{Literatur |Autor=Michael Groneberger |Titel=Hegemoniale Männlichkeiten |Hrsg=Universität Fribourg/Schweiz |Ort=StuttgartHohenheim |Datum=2004}}</ref>
'''Hegemoniale Männlichkeit''' ist ein Begriff aus der [[Gender Studies|soziologischen Geschlechterforschung]], der eine gesellschaftliche Praxis beschreibt, die die dominante [[soziale Position]] von Männern und eine untergeordnete Position von Frauen garantieren soll. Mit dem Konzept soll erklärt werden, wie und warum Männer ihre soziale Dominanz gegenüber Frauen und anderen [[Geschlechtsidentität]]en, aber auch gegenüber als „schwächer“ wahrgenommenen Männern (beispielsweise [[Homosexualität|Homosexuellen]]) erreichen und aufrechterhalten.


Der Begriff ist auf den italienischen Theoretiker [[Antonio Gramsci]] und sein Konzept der [[kulturelle Hegemonie|kulturellen Hegemonie]] zurückzuführen, mit dem die Machtbeziehungen zwischen sozialen Klassen innerhalb einer Gesellschaft analysiert werden.<ref>Nikki Wedgwood, [[Raewyn Connell]] „Männlichkeitsforschung: Männer und Männlichkeiten im internationalen Forschungskontext“</ref> Der Begriff „hegemoniale [[Männlichkeit]]“ wurde von der australischen Soziologin [[Raewyn Connell]] in feministische Diskurse und die Gender- und [[Männerforschung]] eingeführt. Seit dem Erscheinen ihres Buchs ''Masculinities'' 1995 wurde der Begriff besonders in den Gender Studies rezipiert, diskutiert und kritisiert.
Der Begriff „hegemoniale [[Männlichkeit]]“ wurde von der australischen Soziologin [[Raewyn Connell]] in [[Feminismus|feministische]] Diskurse und die Gender- und [[Männerforschung]] eingeführt. Seit dem Erscheinen ihres Buchs ''Masculinities'' 1995 wurde der Begriff besonders in den Gender Studies rezipiert, diskutiert und kritisiert.


== Herkunft ==
== Herkunft ==
In den 1970er und 1980er Jahren begannen Sozialwissenschaftler im Lichte der feministischen Forschung zum Geschlechterverhältnis die Position von Männern und Jungen in der Gesellschaft in Frage zu stellen. In dem Aufsatz „Toward a New Sociology of Masculinity“<ref>Carrigan/Connell/Lee 1985</ref> wurde dieser Umschwung beschrieben und Kritik an der Abstraktheit der [[Geschlechterrolle]]ntheorie geübt, die zwar seit den 1950er Jahren die soziologische Männerforschung beherrschte, aber zum Verständnis von Problemen wie Macht, Gewalt oder materieller Ungleichheit nichts beigetragen hatte. Die These ist, dass Herrschaft über Frauen kein universales Merkmal von Männern sei. Vielmehr sei männliche Herrschaft ein dynamisches System, das über die Geschlechterbeziehungen unter wechselnden Bedingungen, zu denen auch der Widerstand von untergeordneten Gruppen gehört, ständig reproduziert und neu konstituiert wird. Damit „ist Gewalt im Geschlechterverhältnis nicht so sehr ein Wesensmerkmal der Männlichkeit (...) als vielmehr ein Maß für die Heftigkeit dieses Kampfs“.<ref>Carrigan/Connell/Lee 1985: 598</ref>
In den 1970er und 1980er Jahren begannen Sozialwissenschaftler im Lichte der feministischen Forschung zum Geschlechterverhältnis die Position von Männern und Jungen in der Gesellschaft in Frage zu stellen. In dem Aufsatz ''Toward a New Sociology of Masculinity''<ref>{{Literatur |Autor=Tim Carrigan, Bob Connell, John Lee |Titel=Toward a New Sociology of Masculinity |Sammelwerk=Theory and Society |Band=15 |Nummer=4 |Datum=1985 |Seiten=551–604 |JSTOR=657315}}</ref> wurde dieser Umschwung beschrieben und Kritik an der Abstraktheit der [[Geschlechterrolle]]ntheorie geübt, die zwar seit den 1950er Jahren die soziologische Männerforschung beherrscht, aber zum Verständnis von Problemen wie Macht, Gewalt oder materieller Ungleichheit nichts beigetragen habe. Die These ist, dass Herrschaft über Frauen kein universales Merkmal von Männern sei. Vielmehr sei männliche Herrschaft ein dynamisches System, das über die Geschlechterbeziehungen unter wechselnden Bedingungen, zu denen auch der Widerstand von untergeordneten Gruppen gehört, ständig reproduziert und neu konstituiert wird. Damit „ist Gewalt im Geschlechterverhältnis nicht so sehr ein Wesensmerkmal der Männlichkeit (...) als vielmehr ein Maß für die Heftigkeit dieses Kampfs“.<ref>{{Literatur |Autor=Tim Carrigan, Bob Connell, John Lee |Titel=Toward a New Sociology of Masculinity |Sammelwerk=Theory and Society |Band=15 |Nummer=4 |Datum=1985 |Seiten=551–604, hier S. 598 |JSTOR=657315}}</ref>

In Anschluss hieran etablierte Raewyn Connell den Begriff „hegemoniale Männlichkeit“. Er ist an den italienischen Theoretiker [[Antonio Gramsci]] und sein Konzept der [[kulturelle Hegemonie|kulturellen Hegemonie]] angelehnt, mit dem die Machtbeziehungen zwischen sozialen Klassen innerhalb einer Gesellschaft analysiert werden.<ref>{{Literatur |Autor=Raewyn Connell |Titel=Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten |Auflage=4. durchgesehene und erweiterte Auflage |Verlag=Springer VS |Ort=Wiesbaden |Datum=2015 |Seiten=130 |ISBN=978-3-531-19972-6}}</ref>


== Hegemoniale Männlichkeit nach Raewyn Connell ==
== Hegemoniale Männlichkeit nach Raewyn Connell ==
Connell begreift das [[gender|soziale Geschlecht]] als eine Weise, in der soziale Praxis geordnet ist. Da soziale Praxis immer von [[soziokultur]]ellen Umständen abhängt, entstehen zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Milieus auch unterschiedliche Konfigurationen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Der Antrieb dieser Veränderung ist der Machtkampf innerhalb der Geschlechterbeziehung und vor allem der von Connell immanentisierte Erhaltungsdrang des [[Patriarchat (Soziologie)|Patriarchats]]. In ihrem Buch „Der gemachte Mann“ befasst sich Connell u.&nbsp;a. mit den Relationen zwischen verschiedenen Männlichkeiten und stellt vier Konzepte solcher Verhältnisse vor.<ref>Vgl. Robert W. Connell, Christian Stahl (Übers.): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Wiesbaden 2006, S. 92–102</ref> Als derzeit höchste Position innerhalb der Männlichkeit sieht sie die „transnationale Business-Männlichkeit“ bzw. weiter die Manager-Männlichkeit.
Innerhalb der Gender Studies wird Männlichkeitsforschung vorranig mit Bezug auf Raewyn Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeit betrieben. Es ist damit in gewisser Weise selbst hegemonial geworden.<ref>{{Literatur |Autor=[[Sylka Scholz]] |Titel=Männlichkeitsforschung: die Hegemonie des Konzeptes „hegemoniale Männlichkeit“ |Hrsg=Beate Kortendiek, Birgit Riegraf, Katja Sabisch |Sammelwerk=Handbuch Interdiziplinäre Geschlechterforschung |Verlag=Springer VS |Ort=Wiesbaden |Datum=2019 |Seiten=419–428, hier S. 420 |ISBN=978-3-658-12495-3}}</ref> Connell begreift das [[gender|soziale Geschlecht]] als eine Weise, in der soziale Praxis geordnet ist. Da soziale Praxis immer von [[soziokultur]]ellen Umständen abhängt, entstehen zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Milieus auch unterschiedliche Konfigurationen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Der Antrieb dieser Veränderung ist der Machtkampf innerhalb der Geschlechterbeziehung und der Erhaltungsdrang des [[Patriarchat (Soziologie)|Patriarchats]]. In ihrem Buch ''Der gemachte Mann'' befasst sich Connell u.&nbsp;a. mit den Relationen zwischen verschiedenen Männlichkeiten und stellt vier Konzepte solcher Verhältnisse vor.<ref>{{Literatur |Autor=Raewyn Connell |Titel=Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten |Auflage=4. durchgesehene und erweiterte Auflage |Verlag=Springer VS |Ort=Wiesbaden |Datum=2015 |Seiten=129–135 |ISBN=978-3-531-19972-6}}</ref> Als derzeit höchste Position innerhalb der Männlichkeit sieht sie die „transnationale Business-Männlichkeit“ bzw. im allgemeinen die Manager-Männlichkeit.<ref>{{Literatur |Autor=Raewyn Connell |Titel=Im Innern des gläsernen Turms: Die Konstruktion von Männlichkeiten im Finanzkapital |Sammelwerk=[[Feministische Studien]] |Band=28 |Nummer=1 |Datum=2010 |Seiten=8–24 |DOI=10.1515/fs-2010-0103}}</ref>


=== Hegemoniale Männlichkeit ===
=== Hegemoniale Männlichkeit ===
[[Hegemonie|Hegemonial]] ist diejenige Männlichkeit, die sich durch einen privilegierten Zugang zur Macht des Patriarchats auszeichnet. Sie ist für eine bestimmte gesellschaftliche Situation die durchsetzungsfähigste, wenn auch nicht einzige Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats. Macht und Erfolg der hegemonialen Männlichkeit beziehen sich dabei in erster Linie auf ein [[Kollektiv]], d.&nbsp;h. ein einzelner ausgeprägtester Vertreter dieser Konfiguration verfügt in der Gesellschaft nicht unbedingt über die größte Autorität und nicht jeder mächtige Mann realisiert die hegemoniale Männlichkeit. Deutliche Beziehungen bestehen zwischen hegemonialer Männlichkeit, [[Heteronormativität]], [[Homosozialität]] sowie gesellschaftlicher und ökonomischer Macht<ref>{{Internetquelle |url=https://eige.europa.eu/publications-resources/thesaurus/terms/1382?language_content_entity=de |titel=hegemoniale Männlichkeit {{!}} European Institute for Gender Equality |datum=2024-02-09 |sprache=en |abruf=2024-02-22}}</ref>.
[[Hegemonie|Hegemonial]] ist diejenige Männlichkeit, die aktuell am besten dazu geeignet ist, das Patriarchat aufrechtzuerhalten und somit die Dominanz von Männern und die Unterordnung von Frauen zu gewährleisten. Das bedeutet, dass sich hegemoniale Männlichkeit wandelt, sobald sich die Bedingungen, unter denen die Verteidigung des Patriarchats stattfindet, verändern. Vertreter der hegemonialen Männlichkeit versuchen das Patriarchat hauptsächlich zu stützen, indem sie einen Anspruch auf [[Autorität]] erheben. Direkte Ausübung von Gewalt wird eher vermieden, ist aber auch niemals gänzlich ausgeschlossen. Macht und Erfolg der hegemonialen Männlichkeit beziehen sich in erster Linie auf ein [[Kollektiv]], d.&nbsp;h. ein einzelner Vertreter dieser Konfiguration verfügt in der Gesellschaft nicht unbedingt über die größte Autorität und nicht jeder mächtige Mann realisiert die hegemoniale Männlichkeit.


=== Komplizenschaft ===
=== Komplizenschaft ===
{{Anker|Patriarchale Dividende|Männliche Dividende}}
{{Anker|Patriarchale Dividende|Männliche Dividende}}
Es gibt nur wenige Männer, die alle Elemente hegemonialer Männlichkeit auf sich vereinigen und damit der gerade aktuellen Norm entsprechen. Dennoch profitiert die Mehrheit der Männer von der Vormachtstellung des Patriarchats. Connell nennt dieses Phänomen die „patriarchale Dividende“.<ref>Vgl. Connell 2006, S. 100.</ref> Über die Komplizenschaft überträgt sich aber auch die Dominanz im Geschlechterverhältnis nur partiell. Im Spannungsfeld des Alltages bedeutet dies, dass Kompromisse mit Frauen oft nicht zu umgehen sind und so widersprüchliche Konfigurationen entstehen.
Es gibt nur wenige Männer, die alle Elemente hegemonialer Männlichkeit auf sich vereinigen und damit der gerade aktuellen Norm entsprechen. Dennoch profitiert die Mehrheit der Männer von der Vormachtstellung des Patriarchats, was dazu führt, dass viele Männer zumindest implizit patriarchale Verhältnisse akzeptieren. Connell nennt dieses Phänomen die „patriarchale Dividende“.<ref>{{Literatur |Autor=Raewyn Connell |Titel=Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten |Auflage=4. durchgesehene und erweiterte Auflage |Verlag=Springer VS |Ort=Wiesbaden |Datum=2015 |Seiten=133 |ISBN=978-3-531-19972-6}}</ref> Über die Komplizenschaft überträgt sich aber auch die Dominanz im Geschlechterverhältnis nur partiell. Im Spannungsfeld des Alltages bedeutet dies, dass Kompromisse mit Frauen oft nicht zu umgehen sind und so widersprüchliche Konfigurationen von Männlichkeit entstehen.


=== Marginalisierung ===
=== Marginalisierung ===
Einige Männer, die in bestimmten Bereichen der Gesellschaft Erfolge zeigen, profitieren nur in eingeschränkter Weise von der Macht und dem Ansehen des Patriarchats. Ein Grund dafür kann die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlich benachteiligten Gruppe sein. Connell führt als Beispiel an, dass trotz ihrer zahlreichen Triumphe in den USA schwarze Sportler von ethnischer [[Diskriminierung]] betroffen sind. Ähnliches gilt für klassenbezogene Differenzen, auch proletarische Männlichkeiten werden marginalisiert. So stellt die marginalisierte Männlichkeit das gegenteilige Verhältnis zur Komplizenschaft dar.
Einige Männer, die in bestimmten Bereichen der Gesellschaft Erfolge zeigen, profitieren nur in eingeschränkter Weise von der Macht und dem Ansehen des Patriarchats. Ein Grund dafür kann die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlich benachteiligten Gruppe sein. Connell führt als Beispiel an, dass trotz ihrer zahlreichen Triumphe in den USA schwarze Sportler von ethnischer [[Diskriminierung]] betroffen sind. Ähnliches gilt für klassenbezogene Differenzen, auch proletarische Männlichkeiten werden marginalisiert. So kommt es, dass einzelne Vertreter marginalisierter Männlichkeiten zwar durchaus zu Ruhm und Reichtum kommen können, ihr Erfolg anderen Vertretern derselben benachteiligten Gruppe aber nicht zu einer höheren gesellschaftlichen Autorität verhilft.


=== Unterordnung ===
=== Unterordnung ===
Wenn Kampf um den Machterhalt des Patriarchats eine Konstante innerhalb der Geschlechterbeziehungen ist, dann haben die Anteilseigner des Patriarchats ein Interesse daran, jede Männlichkeit zu unterdrücken, die die hegemoniale Männlichkeit untergraben könnte. In der Logik der Hegemonie rücken diese Männlichkeiten in gefährliche Nähe zur Weiblichkeit, was sich auch durch symbolische Verweiblichung in der Betitelung mit [[Schimpfwort|Schmähwörtern]] ([[Dysphemismus]], [[Pejorativum]]) ausdrückt, bspw. (''die'' [[Tunte]], ''die'' [[Schwuchtel]]). Als auffälligstes Beispiel unterdrückter Männlichkeit der Gegenwart nennt Connell [[schwul]]e Männlichkeit. Noch weniger als bei der hegemonialen Männlichkeit entspricht die untergeordnete Männlichkeit einer definierten Gruppe. Das Bannfeld patriarchatsschwächender Elemente betrifft auch einzelne Praktiken, sodass Männer, die tendenziell nicht zu einer diskriminierten Gruppe gehören, ebenfalls dem Vorwurf der Weiblichkeit ausgesetzt werden können.
Wenn Kampf um den Machterhalt des Patriarchats eine Konstante innerhalb der Geschlechterbeziehungen ist, dann haben die Anteilseigner des Patriarchats ein Interesse daran, jede Männlichkeit zu unterdrücken, die die hegemoniale Männlichkeit untergraben könnte. In der Logik der Hegemonie rücken diese Männlichkeiten in gefährliche Nähe zur Weiblichkeit, was sich auch durch symbolische Verweiblichung in der Betitelung ihrer Vertreter mit [[Schimpfwort|Schmähwörtern]] ([[Dysphemismus]], [[Pejorativum]]) ausdrückt, bspw. (''die'' [[Tunte]], ''die'' [[Schwuchtel]]). Als auffälligstes Beispiel unterdrückter Männlichkeit der Gegenwart nennt Connell [[schwul]]e Männlichkeit. Noch weniger als bei der hegemonialen Männlichkeit entspricht die untergeordnete Männlichkeit einer definierten Gruppe. Das Bannfeld patriarchatsschwächender Elemente betrifft auch einzelne Praktiken, sodass auch Männer, die tendenziell nicht zu einer diskriminierten Gruppe gehören, dem Vorwurf der Weiblichkeit ausgesetzt werden können.


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* [[Feminismus]]
* [[Heteropatriarchat]]
* [[Heteropatriarchat]]
* [[Heterosexismus]]
* [[Heterosexismus]]

Version vom 2. Mai 2024, 17:16 Uhr

Hegemoniale Männlichkeit ist ein Begriff aus der soziologischen Geschlechterforschung, der eine gesellschaftliche Praxis beschreibt, die die dominante soziale Position von Männern und eine untergeordnete Position von Frauen garantieren soll. Mit dem Konzept soll erklärt werden, wie und warum Männer ihre soziale Dominanz gegenüber Frauen und anderen Geschlechtsidentitäten, aber auch gegenüber als „schwächer“ wahrgenommenen Männern (beispielsweise Homosexuellen) erreichen und aufrechterhalten.

Der Begriff „hegemoniale Männlichkeit“ wurde von der australischen Soziologin Raewyn Connell in feministische Diskurse und die Gender- und Männerforschung eingeführt. Seit dem Erscheinen ihres Buchs Masculinities 1995 wurde der Begriff besonders in den Gender Studies rezipiert, diskutiert und kritisiert.

Herkunft

In den 1970er und 1980er Jahren begannen Sozialwissenschaftler im Lichte der feministischen Forschung zum Geschlechterverhältnis die Position von Männern und Jungen in der Gesellschaft in Frage zu stellen. In dem Aufsatz Toward a New Sociology of Masculinity[1] wurde dieser Umschwung beschrieben und Kritik an der Abstraktheit der Geschlechterrollentheorie geübt, die zwar seit den 1950er Jahren die soziologische Männerforschung beherrscht, aber zum Verständnis von Problemen wie Macht, Gewalt oder materieller Ungleichheit nichts beigetragen habe. Die These ist, dass Herrschaft über Frauen kein universales Merkmal von Männern sei. Vielmehr sei männliche Herrschaft ein dynamisches System, das über die Geschlechterbeziehungen unter wechselnden Bedingungen, zu denen auch der Widerstand von untergeordneten Gruppen gehört, ständig reproduziert und neu konstituiert wird. Damit „ist Gewalt im Geschlechterverhältnis nicht so sehr ein Wesensmerkmal der Männlichkeit (...) als vielmehr ein Maß für die Heftigkeit dieses Kampfs“.[2]

In Anschluss hieran etablierte Raewyn Connell den Begriff „hegemoniale Männlichkeit“. Er ist an den italienischen Theoretiker Antonio Gramsci und sein Konzept der kulturellen Hegemonie angelehnt, mit dem die Machtbeziehungen zwischen sozialen Klassen innerhalb einer Gesellschaft analysiert werden.[3]

Hegemoniale Männlichkeit nach Raewyn Connell

Innerhalb der Gender Studies wird Männlichkeitsforschung vorranig mit Bezug auf Raewyn Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeit betrieben. Es ist damit in gewisser Weise selbst hegemonial geworden.[4] Connell begreift das soziale Geschlecht als eine Weise, in der soziale Praxis geordnet ist. Da soziale Praxis immer von soziokulturellen Umständen abhängt, entstehen zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Milieus auch unterschiedliche Konfigurationen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Der Antrieb dieser Veränderung ist der Machtkampf innerhalb der Geschlechterbeziehung und der Erhaltungsdrang des Patriarchats. In ihrem Buch Der gemachte Mann befasst sich Connell u. a. mit den Relationen zwischen verschiedenen Männlichkeiten und stellt vier Konzepte solcher Verhältnisse vor.[5] Als derzeit höchste Position innerhalb der Männlichkeit sieht sie die „transnationale Business-Männlichkeit“ bzw. im allgemeinen die Manager-Männlichkeit.[6]

Hegemoniale Männlichkeit

Hegemonial ist diejenige Männlichkeit, die aktuell am besten dazu geeignet ist, das Patriarchat aufrechtzuerhalten und somit die Dominanz von Männern und die Unterordnung von Frauen zu gewährleisten. Das bedeutet, dass sich hegemoniale Männlichkeit wandelt, sobald sich die Bedingungen, unter denen die Verteidigung des Patriarchats stattfindet, verändern. Vertreter der hegemonialen Männlichkeit versuchen das Patriarchat hauptsächlich zu stützen, indem sie einen Anspruch auf Autorität erheben. Direkte Ausübung von Gewalt wird eher vermieden, ist aber auch niemals gänzlich ausgeschlossen. Macht und Erfolg der hegemonialen Männlichkeit beziehen sich in erster Linie auf ein Kollektiv, d. h. ein einzelner Vertreter dieser Konfiguration verfügt in der Gesellschaft nicht unbedingt über die größte Autorität und nicht jeder mächtige Mann realisiert die hegemoniale Männlichkeit.

Komplizenschaft

Es gibt nur wenige Männer, die alle Elemente hegemonialer Männlichkeit auf sich vereinigen und damit der gerade aktuellen Norm entsprechen. Dennoch profitiert die Mehrheit der Männer von der Vormachtstellung des Patriarchats, was dazu führt, dass viele Männer zumindest implizit patriarchale Verhältnisse akzeptieren. Connell nennt dieses Phänomen die „patriarchale Dividende“.[7] Über die Komplizenschaft überträgt sich aber auch die Dominanz im Geschlechterverhältnis nur partiell. Im Spannungsfeld des Alltages bedeutet dies, dass Kompromisse mit Frauen oft nicht zu umgehen sind und so widersprüchliche Konfigurationen von Männlichkeit entstehen.

Marginalisierung

Einige Männer, die in bestimmten Bereichen der Gesellschaft Erfolge zeigen, profitieren nur in eingeschränkter Weise von der Macht und dem Ansehen des Patriarchats. Ein Grund dafür kann die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlich benachteiligten Gruppe sein. Connell führt als Beispiel an, dass trotz ihrer zahlreichen Triumphe in den USA schwarze Sportler von ethnischer Diskriminierung betroffen sind. Ähnliches gilt für klassenbezogene Differenzen, auch proletarische Männlichkeiten werden marginalisiert. So kommt es, dass einzelne Vertreter marginalisierter Männlichkeiten zwar durchaus zu Ruhm und Reichtum kommen können, ihr Erfolg anderen Vertretern derselben benachteiligten Gruppe aber nicht zu einer höheren gesellschaftlichen Autorität verhilft.

Unterordnung

Wenn Kampf um den Machterhalt des Patriarchats eine Konstante innerhalb der Geschlechterbeziehungen ist, dann haben die Anteilseigner des Patriarchats ein Interesse daran, jede Männlichkeit zu unterdrücken, die die hegemoniale Männlichkeit untergraben könnte. In der Logik der Hegemonie rücken diese Männlichkeiten in gefährliche Nähe zur Weiblichkeit, was sich auch durch symbolische Verweiblichung in der Betitelung ihrer Vertreter mit Schmähwörtern (Dysphemismus, Pejorativum) ausdrückt, bspw. (die Tunte, die Schwuchtel). Als auffälligstes Beispiel unterdrückter Männlichkeit der Gegenwart nennt Connell schwule Männlichkeit. Noch weniger als bei der hegemonialen Männlichkeit entspricht die untergeordnete Männlichkeit einer definierten Gruppe. Das Bannfeld patriarchatsschwächender Elemente betrifft auch einzelne Praktiken, sodass auch Männer, die tendenziell nicht zu einer diskriminierten Gruppe gehören, dem Vorwurf der Weiblichkeit ausgesetzt werden können.

Siehe auch

Literatur

  • Audrey-Catherine Podann: Im Dienste des Arbeitsethos - hegemoniale Männlichkeit in Gewerkschaften. Budrich UniPress, Opladen 2012, ISBN 978-3-86388-011-8.
  • Bihter Somersan: Feminismus in der Türkei: die Geschichte und Analyse eines Widerstands gegen hegemoniale Männlichkeit. Westfälisches Dampfboot, Münster (Westf.) 2011, ISBN 978-3-89691-877-2.
  • Nina Baur; Jens Lüdtke: Die soziale Konstruktion von Männlichkeit: hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland. Budrich, Opladen 2008, ISBN 978-3-86649-110-6.
  • Martin Dinges: Männer - Macht - Körper: hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute Frankfurt. Campus-Verl., Frankfurt/Main 2005, ISBN 978-3-593-37859-6.
  • Stefanie Neidhart: Konstruktion von Männlichkeit nach Bourdieu und Connell: Männliche Herrschaft und hegemoniale Männlichkeit. Ein Vergleich. Grin Verlag, München 2011, ISBN 978-3-656-08959-9.
  • Anna Buchmeier: Zwischen Vorbild und Verdacht: Wie Männer im Erzieherberuf Männlichkeit Konstruieren. Springer VS, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-658-00989-2.
  • Raewyn Connell: Masculinities. University of California Press, Berkeley (CA) 2005, ISBN 0-520-24698-5.
  • Richard Howson: Challenging Hegemonic Masculinity. Routledge Chapman & Hall, London 2006, ISBN 978-0-415-35231-4.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Tim Carrigan, Bob Connell, John Lee: Toward a New Sociology of Masculinity. In: Theory and Society. Band 15, Nr. 4, 1985, S. 551–604, JSTOR:657315.
  2. Tim Carrigan, Bob Connell, John Lee: Toward a New Sociology of Masculinity. In: Theory and Society. Band 15, Nr. 4, 1985, S. 551–604, hier S. 598, JSTOR:657315.
  3. Raewyn Connell: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. 4. durchgesehene und erweiterte Auflage. Springer VS, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-531-19972-6, S. 130.
  4. Sylka Scholz: Männlichkeitsforschung: die Hegemonie des Konzeptes „hegemoniale Männlichkeit“. In: Beate Kortendiek, Birgit Riegraf, Katja Sabisch (Hrsg.): Handbuch Interdiziplinäre Geschlechterforschung. Springer VS, Wiesbaden 2019, ISBN 978-3-658-12495-3, S. 419–428, hier S. 420.
  5. Raewyn Connell: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. 4. durchgesehene und erweiterte Auflage. Springer VS, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-531-19972-6, S. 129–135.
  6. Raewyn Connell: Im Innern des gläsernen Turms: Die Konstruktion von Männlichkeiten im Finanzkapital. In: Feministische Studien. Band 28, Nr. 1, 2010, S. 8–24, doi:10.1515/fs-2010-0103.
  7. Raewyn Connell: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. 4. durchgesehene und erweiterte Auflage. Springer VS, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-531-19972-6, S. 133.