Jesus von Nazaret

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Jesus Christus, Mosaik in San Apollinare Nuovo, Ravenna, 6. Jahrhundert

Jesus von Nazaret (* vermutlich zwischen 7 und 4 v. Chr. in Nazaret oder Kafarnaum; † 30 oder 33 in Jerusalem) war die historische Gestalt, die hinter dem Jesus Christus des Neuen Testaments steht und allgemein als Begründer des Christentums gilt.

Er war ein jüdischer Wanderprediger aus Galiläa, der um das Jahr 29 im Gebiet des heutigen Israel und im Westjordanland öffentlich auftrat und wenige Jahre später als angeblicher Aufrührer gegen die römische Besatzungsmacht gekreuzigt wurde. Er sah sich selbst als Erneuerer des Judentums, wurde aber durch die Berufung von Nachfolgern zum Begründer eines neuen Glaubens.

Christen sehen ihn aufgrund der Auferstehungszeugnisse seiner ersten Anhänger als Messias (griech. christos), als Mensch gewordenen Sohn Gottes und universalen Erlöser. Dieser Glaube kommt in der Bezeichnung Jesus Christus zum Ausdruck.

Dieser Artikel beschränkt sich darauf, die Grundzüge des historischen Auftretens Jesu darzustellen, so wie die Leben-Jesu-Forschung sie heute überwiegend für plausibel hält. Christliche Glaubensaussagen des NT über ihn behandelt der Artikel Jesus Christus im Neuen Testament, die kirchliche Lehre dazu der Artikel Christologie. Die Rolle, die Jesus auch in anderen Religionen spielt, behandelt der Artikel Jesus in den Religionen.

Bibelstellen werden wie üblich abgekürzt, Thesen einzelner Historiker sind in der angegebenen Literatur nachlesbar.

Grundlagen der Kenntnisse über den historischen Jesus

Jesus selbst hat keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen. Gesicherte historische Kenntnisse über ihn beruhen daher auf zeitgenössischen Quellen und deren textkritischer Interpretation im Rahmen der Leben-Jesu-Forschung.

Nichtchristliche Zeugnisse

Nur wenige damalige jüdische und später römische und griechische Geschichtsschreiber erwähnen Jesus. Es handelt sich dabei stets um kurze, zum Teil auf Missverständnissen beruhende oder gar nachträglich von christlichen Kopisten eingefügte Notizen, die als wenig ergiebig gelten.

So schreibt etwa Sueton in seiner Biographie des Kaisers Claudius (Kap. 25, 4), dieser habe, „die Juden, welche von einem gewissen Chrestos aufgehetzt, fortwährend Unruhe stifteten“, aus Rom vertrieben (49). Tacitus berichtet um 117 in den „Annales“ (Buch XV, 44) von so genannten „Chrestianern“, denen Kaiser Nero die Schuld am Brand Roms im Jahr 64 zugeschoben habe. Er fährt fort: „Der Mann, von dem sich dieser Name herleitet, Christus, war unter der Herrschaft des Tiberius auf Veranlassung des Prokurators Pontius Pilatus hingerichtet worden.“ Es ist ungewiss, ob Tacitus sich hier auf unabhängige römische Quellen oder bereits auf christliche Überlieferung stützt.

Ein nachträglicher Einschub aus christlicher Zeit ist sehr wahrscheinlich das so genannte „Testamentum Flavianum“. Ihm zufolge hat der jüdisch-römische Historiker Flavius Josephus in den „Antiquitates Judaicae“ (Kap. 18, 63 f.) Jesus, sein prophetisches Auftreten und seine Hinrichtung als Messiasanwärter erwähnt.

Weitere außerbiblische Notizen zu Jesus von Nazaret stammen von Plinius dem Jüngeren, dem ansonsten unbekannten syrischen Stoiker Mara bar Sarapion sowie aus rabbinischen Quellen, die sich jedoch in der Regel nur polemisch mit dem Christentum und seinem Stifter auseinandersetzen.

Christliche Zeugnisse

Verlässliche Aussagen über den historischen Jesus lassen sich daher nur aus der Interpretation der Schriften des Neuen Testaments (NT) der Bibel, insbesondere aus den vier Evangelien sowie dem Thomasevangelium und einigen weiteren Apokryphen gewinnen, die von der frühen Kirche nicht in die kanonischen Schriften des NT aufgenommen wurden.

Keine dieser Quellen genügt modernen Objektivitätsansprüchen an eine Biografie. Die Evangelien sind nicht als Geschichtswerke entstanden, sondern als Glaubensdokumente, als eigene Literaturform von Christen meist jüdischer Herkunft, die von Jesu Auferstehung überzeugt waren (Mk 16,6) und ihn als den Messias für ihre Gegenwart erzählerisch darstellen wollten. Dabei legten sie kaum Wert auf nachprüfbare Fakten. In welchem Maß sie historisches Wissen weitergeben, ist daher seit Beginn der NT-Forschung stark umstritten.

Nach heutigem Forschungskonsens wurden die drei synoptischen Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas frühestens 30-40 Jahre nach Jesu Tod schriftlich fixiert, wahrscheinlich erst nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70. Nur wenige Historiker vertreten ein früheres Entstehungsdatum einzelner Evangelien. Demnach hat wohl keiner ihrer Autoren Jesus persönlich gekannt.

Jedoch lag den Evangelisten Matthäus und Lukas nach der im Kern weithin akzeptierten Zweiquellentheorie bereits das Markusevangelium vor. Von diesem übernahmen sie die Komposition und die meisten Texte, wobei sie diese ihren theologischen Aussageabsichten gemäß veränderten (Peter Stuhlmacher). Sie verarbeiteten außerdem wohl eine nur ihnen bekannte Logienquelle, in der vermutlich Reden und Sprüche Jesu gesammelt waren.

Ähnliche Jesusworte wurden eventuell zeitlich parallel auch von syrischen Gemeinden gesammelt und später im Thomasevangelium fixiert. Alle diese Stoffe wurden zuvor jahrzehntelang mündlich von Angehörigen der ersten Christengeneration (Lk 1,2) überliefert. Ihre frühesten Bestandteile können direkt auf Jesus zurückgehen, da sie möglicherweise von Jüngern stammen, die ihn noch selbst erlebt haben.

Der „Markus" genannte Evangelienredaktor fügte seinerseits einen frühen Passionsbericht der ersten Christengemeinde in sein Evangelium ein, der die in den Paulusbriefen überlieferten ältesten Credoformeln erzählend ausführt (Ulrich Wilckens). Er legt den Schwerpunkt auf die Jerusalemer Ereignisse am Lebensende Jesu, auf die hin alle Evangelien verfasst wurden. Der Bericht begann wahrscheinlich mit dem Verrat des Judas (Mk 14,10) und endete mit der Entdeckung des leeren Grabes Jesu. Ihm wurden dann allmählich weitere Passionsereignisse vorangestellt.

Dass alle Evangelien vom Einzug Jesu in Jerusalem an demselben fest gefügten Ablauf folgen, ist ein starkes Indiz für das Alter und die Zuverlässigkeit der Passionsüberlieferung. Sie bildet ihren größten Anteil, so dass die Evangelien seit Martin Kähler als „Passions- und Ostergeschichten mit ausführlicher Einleitung" gelten.

Auch das Johannesevangelium kann nach heutiger Forschermeinung trotz seiner späten Entstehung (um 130) durchaus unabhängige historische Stoffe enthalten, etwa von Jesu Verhältnis zu den Mandäern oder seinen Jerusalem-Besuchen. Da die Evangelisten ihre Quellen auf je eigene Weise theologisch gestalteten und in ihre Missions- und Lehrabsichten einordneten, lassen ihre Gemeinsamkeiten umso mehr auf einen realen, historischen Kern schließen.

Die Leben-Jesu-Forschung

Seit dem späten 18. Jahrhundert begann die universitäre Leben-Jesu-Forschung, sich von kirchlicher Bevormundung zu lösen und historische von geglaubten Tatsachen des NT methodisch zuverlässig voneinander zu unterscheiden. Seit 200 Jahren erwog man jede denkbare Hypothese, bezweifelte Jesu Existenz oder ergänzte fantasievoll fehlendes Wissen. Viele der so entstandenen "Jesusbiografien" gelten seit Albert Schweitzer (1899) als überholt. Hinzu kommen einige spekulative Theorien über Jesus von Nazaret, die von der seriösen historischen Forschung zum NT jedoch ebenfalls verworfen werden.

Seit dem frühen 20. Jahrhundert werden zunehmend außerbiblische Quellen herangezogen, um die historische Glaubwürdigkeit der NT-Überlieferung zu überprüfen. Aufgrund der gewachsenen Kenntnisse auf den Gebieten der Archäologie, der Sozialgeschichte und der Orientalistik und dank immer differenzierterer historisch-kritischer Textanalysen gehen heute auch nichtchristliche Historiker in der Regel davon aus, dass Jesus tatsächlich gelebt hat und dass sich relativ sicher ermitteln lässt, was er verkündete, wer er sein und was er tun wollte.

So ermöglichen es z.B. die Schriftfunde von Qumran der Judaistik heute, ein differenzierteres Bild des palästinischen Judentums zur Zeit Jesu zu zeichnen. Danach haben sich manche, von theologischen Vorurteilen bestimmte Sichtweisen – etwa Jesu angebliche "Aufhebung" der Tora und sein Gegensatz zum Pharisäismus - als unhaltbar erwiesen. Auch seine apokalyptischen und weisheitlichen Predigtmotive werden nicht mehr vom Judentum abgerückt. Andererseits hält man auch sein messianisches Selbstverständnis und seine bewusste Passion heute eher für historische Eigenverkündigung als nur für eine Deutung der frühen Christen.

Jesu Herkunft

Der Name

  • Jesus“ ist die latinisierte Form des griechischen Ιησους und wird demgemäß lateinisch dekliniert (Genitiv „Jesu“). Es übersetzt den männlichen hebräischen Vornamen Jeschua, auch Jehoschua oder Josua. –- Hebräisch wurde in Palästina zur Zeit Jesu kaum noch gesprochen. Griechische, nicht jedoch hebräische oder aramäische Namen wurden damals in andere Sprachen übersetzt.
  • Jehoschua“ verbindet „Je“ (Vorsilbe von JHWH, dem Gottesnamen der hebräischen Bibel) mit „Hoshea“ (Rettung, Heil, siehe Hosea). „Jesus“ bedeutet auf Hebräisch also „Gott-Retter“ oder „Gott-rettet“. Dieser Name war damals unter Juden verbreitet. Nach der Trennung des Christentums vom Judentum wurden Juden aber nur noch selten so genannt.
  • Jehoschua Ben Joseph“ hieß Jesus, falls man ihn wie üblich bei seiner Beschneidung nach seinem Vater nannte (Lk 2,21). Das NT belegt dies nicht: Lk 4,22 nennt „Josefs Sohn“ ohne Vornamen und betont so den Kontrast zur Jungfrauengeburt (Lk 3,23). Joh 1,45 betont mit „Jesus, Josefs Sohn aus Nazaret“ seine königliche Abstammung von David. Frühere Versionen nennen ihn dagegen „Sohn der Maria“ (Mk 6,3; Mt 13,55).
  • Christus“ ist die lateinische Form des griechischen Χριστος. Dieses übersetzt das hebräische „Maschiach“, deutsch „der Gesalbte“. Das ist ein jüdischer Ehrentitel für Könige und Hohepriester, später für den erwarteten König der zukünftigen Heilszeit, den Messias.
  • Jesus Christus“ verbindet den jüdischen Vornamen und griechischen Titel zu einem Nominalsatz, der das christliche Glaubensbekenntnis in Kurzform ausdrückt: „Dieser Jesus ist der Messias.“

Deklination. Der Name "Jesus Christus" wird im traditionell kirchlichen Gebrauch lateinisch dekliniert:

Nominativ: Jesus Christus
Genitiv: Jesu Christi
Dativ: Jesu Christo
Akkusativ: Jesum Christum
Ablativ: Jesu Christo

Die Endsilbenvokale sind zum Teil verschieden, weil "Jesus" auf Latein der u-Deklination, "Christus" der o-Deklination angehört.

Nazarener, Nazoräer oder Nasiräer?

Die Angabe „von Nazaret (lat.: „Nazarenus“) bezeichnet im NT Jesu Herkunftsort in Galiläa (Mk 1,9). Doch dieser Zusatz wird mit „Nazoraios“ variiert: So nannten die Mandäer die Lehrer ihrer Taufriten. Auch Jesus (Joh 19,19) und die Christen (Apg 24,5) nannte man anfangs Nazoräer: eventuell weil er und einige seiner Jünger früher zu Johannes dem Täufer gehörten und auch tauften. Nach Mark Lidzbarski bezogen erst die Evangelien-Autoren den Ausdruck irrtümlich oder bewusst auf den Ort. So sagt Mt 2,23: „(Josef) kam und wohnte in der Stadt, die Nazaret heißt, damit erfüllt würde, was die Propheten gesagt haben: Er soll Nazarener heißen.“ Doch diese Verheißung kennt die Bibel nicht.

Die Herleitung von „Nasiraios“ ist dagegen unwahrscheinlich: Ein Nasiräer war ein Asket, der - wie der Täufer - auf strenge kultische Reinheit bedacht war. Er legte einen Eid ab, keinen Alkohol zu trinken, sich die Haare nicht mehr zu scheren und sich keiner Leiche und keinem Grab zu nähern (Num 6,1-4). Doch Jesus tat all das im Verlauf seines Wirkens und lehnte jeden Eid ab (Mt 5,33ff).

Geburt und Lebensdauer

Historiker beurteilen die Geburts- und Jugendgeschichten des NT weitgehend als spät entstandene Legenden. Dies gilt auch für das apokryphe Kindheitsevangelium nach Thomas, das von Wundertaten des Knaben Jesus erzählt.

Mt 1-2 und Lk 1-2 wollen Jesus als Messias verkünden und stellen seine Geburt dazu in den Rahmen biblischer Verheißungen. Der unbelegte Kindermord des Herodes (Mt 2,13) etwa erinnert an den Kindermord des ägyptischen Pharao vor Israels Exodus (Ex 1,22): Damit wird Jesus wie Moses als Befreier des Gottesvolks dargestellt. Auch der Stern, der orientalische Astrologen zu seinem Geburtsort geführt haben soll (Mt 2,2), verkündet Jesus als kosmischen Erlöser. Ob zum Zeitpunkt seiner Geburt ein besonderes stellares Phänomen zu beobachten war, ist umstritten.

In Betlehem, einer Kleinstadt nahe Jerusalem, sollte nach biblischer Weissagung der Messias geboren werden (Mi 5,1). Damit bezeugen Mt 2,1.6 und Lk 2,4 Jesu Abstammung vom König David. Die meisten Historiker nehmen dagegen an, dass er in Nazaret, dem Wohnort seiner Familie, oder in Kafarnaum, dem Ort seines ersten und wiederholten Auftretens (Mk 1,21), geboren wurde.

Geburtstag und -jahr Jesu waren schon den Urchristen unbekannt. Historische Bezüge im NT legen nahe, dass er nach dem ersten römischen Reichscensus unter dem Statthalter Syriens, Quirinius (7 v. Chr.; Lk 2,1-2) und vor dem Tod Herodes des Großen (4 v. Chr.; Mt 2,1) geboren wurde. Die abendländische Zeitrechnung, deren Nullpunkt das Geburtsjahr Jesu sein sollte, beruht auf einem Rechenfehler.

Historisch gesehen ist aus Jesu Kindheit und Jugend fast nichts bekannt. Die Evangelien erzählen außer den Geburts- und Jugendlegenden nur von Jesu letzten drei bis vier Lebensjahren. Zu Beginn seines Auftretens soll er etwa 30 Jahre alt gewesen sein (Lk 3,23). Sein Todesdatum ist nicht überliefert. Da er aber nach allen Evangelien am Vortag eines Schabbat an einem Passahfest gekreuzigt wurde, bleiben nur 30 oder 33 n. Chr. als Todesjahr. Demnach wurde er 34 bis 40 Jahre alt.

Sprache

Als galiläischer Jude sprach Jesus im Alltag die westaramäische Variante des Aramäischen, der Reichssprache der Assyrer, die die Perser in Israel eingeführt hatten. Das bestätigen einige aramäische Jesuszitate im NT. Er sprach wohl auch das verwandte Hebräisch, in dem der Tanach - Israels Heilige Schrift - abgefasst war. Fraglich ist, ob er lesen und schreiben konnte und auch Griechisch beherrschte, die damalige Verkehrssprache im Osten des römischen Reichs. Die ins Griechische übersetzte Bibel, die Septuaginta, lasen wohl nur hellenistisch gebildete Juden, nicht arme Galiläer.

Ob man griechische Ausdrücke und Redewendungen ins Aramäische zurück übersetzen kann, ist ein wichtiges Kriterium für die Suche nach „echten“, anfangs mündlich tradierten Jesusworten (Joachim Jeremias). So versucht man, seine eigene Verkündigung von urchristlicher Deutung zu unterscheiden.

Familie

Jesus war nach Lk 2,4 ff. und Mt 13,55 der älteste Sohn Josefs und seiner Frau Maria, beide aus Nazaret. Seine Stammbäume (Mt 1; Lk 3) betonen seine väterliche Abstammungslinie. Zugleich verkünden Mt 1,18 und Lk 1,35 ihn als vom Heiligen Geist gezeugt. Dies sahen Urchristen jüdischer Herkunft nicht unbedingt als Gegensatz.

Nach Mt 1,19 glaubte Josef, Jesus sei unehelich gezeugt, bis ein Engel ihm den wahren Sachverhalt erklärt habe (Mt 1,20). Der jüdische Talmud stellt Jesus als uneheliches Kind eines römischen Soldaten dar. Der Historiker Gerd Lüdemann greift diese These heute wieder auf und vermutet, ein Römer habe Maria vergewaltigt. Urchristen hätten dies zur göttlichen Herkunft umgedeutet. Daraus erklärt er Jesu Benennung als "Sohn der Maria" anstelle des üblichen "Joschua ben Josef" und seine Außenseiterrolle in seiner Heimatstadt.

Nach Mk 6,3 hatte Jesus Geschwister, davon vier Brüder - Jakobus, Joses (Josef? Mt 13,55), Judas, Simon - und eine unbekannte Zahl Schwestern, deren Namen nicht überliefert sind. „Brüder“, seltener auch „Schwestern“, kann im biblischen Umfeld aber auch andere Verwandte einer Sippe bezeichnen.

Laut Lk 2,43 ging Jesus schon als Junge zur Familie auf Distanz, um im Tempel zu lehren. Nach seiner Taufe erwähnen die Evangelien seinen Vater nicht mehr: dafür nun öfter Kafarnaum, wo Jesus zuerst auftrat (Lk 4,16.23). Daher vermuten manche Forscher, er sei dorthin umgezogen, nachdem sein Vater fort oder tot war. Andere gehen von einer Geburt und einem Leben in Kafarnaum aus, da Nazaret zu dieser Zeit für einen Baumeister keine Arbeit geboten habe.

Das 4. der 10 Gebote - „Ehre Vater und Mutter“ (Ex 20,12) - verlangte damals die Fürsorge des ältesten Erben für seine Sippe. Doch zu Jesu Nachfolge gehörte das Aufgeben der familiären Bindungen. Nach der Gesellschaftsmoral seiner Zeit verhielt er sich damit wie ein Mörder und Ehebrecher. Sein Umherziehen, Predigen und Heilen stieß auf Unverständnis und führte zu Konflikten mit seinen Verwandten. Sie lehnten seine Gastfreundschaft für Arme und Kranke ab, erklärten ihn für verrückt und versuchten, ihn zurückzuhalten (Mk 3,20f.; 3,31). In diesen Kontext gehören Aussagen wie Mk 3,33-35:

„Wer sind meine Mutter und meine Brüder? Und er schaute auf die, die rings um ihn saßen und sagte: Siehe, ihr seid meine Mutter und meine Brüder! Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“

Bei anderer Gelegenheit mahnte er (Mt 10,37): „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner (Nachfolge) nicht wert...“ oder noch schärfer (Lk 14,26): „Wer zu mir kommt und seine Eltern, Kinder, Geschwister und dazu sein eigenes Leben nicht hasst, der kann nicht mein Jünger sein.“ Er hob damit das 4. Gebot nicht auf (Mk 7,10 f.), legte es aber konträr zur jüdischen Tradition aus: Achte nur die als deine Angehörigen, die Gottes Willen tun. Darum wurde er in Nazaret abgelehnt und verließ es daraufhin ganz (Mk 6,1-6):

„Ist das nicht der Bauhandwerker, Marias Sohn ...? Und sie waren verärgert über ihn. Jesus aber sagte zu ihnen: Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seiner Heimat, bei seiner Sippe und in seinem Ort.“

Aber Frauen aus Jesu näherer Umgebung sorgten für ihn und die übrigen Männer auf ihrem Weg (Mk 1,31). Sie blieben bis zum Ende bei ihm (Mk 15,41), so nach Joh 19,26f auch seine Mutter. Er soll noch am Kreuz für ihre Altersversorgung gesorgt haben, indem er sie einem anderen Jünger anvertraute. - Verwandte Jesu gehörten nach Ostern zu den ersten Christen. Sein ältester Bruder Jakobus wurde sogar ein Leiter der Urgemeinde (Gal 2,9).

Jugend, Ausbildung, Beruf

Jesus soll schon früh mit Pharisäern diskutiert und gute Torakenntnis gehabt haben (Lk 2,46 f.). Der Argumentationsstil seiner Predigten und Gleichnisse ist originär rabbinisch (Halacha und Midraschim). Dazu wurde er wohl von Rabbinern seiner Heimat ausgebildet. Sein Heilen am Sabbat (Mk 2-3) und Betonen der Nächstenliebe (Mk 12,28ff) ähnelt den Lehren des Rabbi Hillel, seine Armenfürsorge und die Tateinheit von Beten und Almosengeben den späteren Lehren von Chanina Ben Dosa, dem berühmtesten der galiläischen Chassidim (von „Chesed“ = Gnade, Barmherzigkeit Gottes). So ordnet die Judaistik Jesu Tora-Auslegung heute ganz in das zeitgenössische Judentum ein.

Seine ersten Jünger nannten ihn „Rabbuni“ (aramäisch: „mein Meister, Lehrer“). Ein Rabbi lebte von einem gewöhnlichen Handwerk, nicht vom Lehren. Jesus lernte von seinem Vater das Bauhandwerk (Mk 6,3). Ein „Tekton“ (oft irreführend als „Zimmermann“ übersetzt) konnte generell mit Steinen, Stroh und Holz umgehen und war meist im Hausbau tätig. Ob Jesus beim Broterwerb für die Familie half, bevor er sie verließ, ist den Texten aber nicht zu entnehmen. Manche Forscher nehmen dies an, da Josef allein die Familie nicht hätte ernähren können.

Jesu Wirken

Johannes und die Taufe im Jordan

Die Taufe Jesu (Frankreich, 15.Jh.)

Nach allen Evangelien begann Jesus nach seiner Begegnung mit dem Täufer Johannes öffentlich aufzutreten. Nach den Synoptikern (Mk, Mt, Lk) ließ er sich von Johannes taufen. Sie verkünden dies als das Ereignis, bei dem Gott ihn wie sein Volk Israel (Hos 11,1) als seinen Sohn bezeugte und seinen Geist auf ihn sandte (Mk 1,11): „Du bist mein Sohn, der Geliebte, an dem ich Wohlgefallen habe.“

Johannes war einer der damaligen jüdischen Bußprediger. Er kündete die bevorstehende radikale Wende der Endzeit an und rief das ganze Volk Israel zur Umkehr: Damit griff er auf die Zukunftserwartung (Eschatologie) der jüdischen Prophetie und Apokalyptik zurück. Er berief Anhänger, lebte aber abseits bewohnter Gegenden als Wüstenasket. Das Tauchbad im Jordan war symbolische Vorwegnahme des Todes, sollte von sündigem Lebenswandel reinigen, zur Umkehr befähigen und die Getauften so aus dem drohenden Endgericht retten. Darauf geht die spätere christliche Taufe zurück.

Ob Jesus sich ihm nach seiner Taufe anschloss, ist ungewiss. Nach den älteren Evangelien hat er nicht, nach Joh 3,22ff aber eine Weile parallel zu Johannes getauft. Eventuell lernte er die Brüder Petrus und Andreas bei ihm kennen und warb sie ihm ab (Joh 1,35-42). Er predigte das Reich Gottes dann auf andere, offenbar attraktivere Art: als gnädige Zuwendung Gottes zu den Armen und Sündern. Er übernahm den endgültigen Umkehrruf von Johannes, lehnte aber das Fasten, die Askese für seine Jünger ab (Mk 2,16-19), pflegte die Tischgemeinschaft mit „Unreinen“ und heilte gerade die, die Gottes Gericht verfallen gewesen wären. Er wollte kein „reines“ Restisrael, sondern ganz Israel aus Gottes Endgericht retten.

Wohl deswegen sahen die Mandäer in Jesus später einen Lügenpropheten. Die Evangelien dagegen sehen in Johannes den letzten Propheten des Alten Bundes, den Vorläufer der Ankunft des geistbegabten Messias (Mk 1,7f; 8,28f). Sie betonen den Zeugnischarakter seiner Botschaft (Joh 1,7f) gegenüber dem ihm überlegenen endgültigen Heilsbringer (Mt 3,11). Historiker nehmen daher an, dass es Austausch und Konkurrenz, aber auch gegenseitige Achtung zwischen Jesu und Johannes’ Anhängern gab (Joh 4,1).

Gebiet des Auftretens

Jesus war ein Wanderprediger unter vielen. Er sah sich nur zu den „verlorenen Schafen des Hauses Israel“ gesandt (Mt 10,5/15,24) und hatte kein Interesse an Weltruhm. Sein Wirken blieb anfangs auf das Ortsdreieck Kafarnaum - Bethsaida - Chorazim am Nordufer des Sees Genezareth begrenzt, das höchstens 200 Quadratkilometer umfasste. Diese Gegend war im römischen Reich unbedeutend. Römerstädte wie Sepphoris, Tiberias oder Cäsarea Philippi betrat Jesus laut NT nicht, wohl weil fromme Juden die Besatzer ablehnten und er von den Herodianern verfolgt wurde (Mk 3,6). Daher wundert es nicht, dass damalige römische Quellen ihn nicht erwähnen.

Im Haus des Petrus in Kafarnaum richtete er eine Art Hauptquartier ein, in das er von seinen Missionswegen öfter zurückkehrte (Mk 1,29; 2,1). In jenem Fischerdorf von etwa 1.000 Einwohnern fanden Archäologen eine frühchristliche Pilgerstätte: Dort könnten Reisende ihn gehört haben, die auf der Fernstraße Via Maris nach Syrien oder Ägypten unterwegs waren. Er wirkte auch am Westufer des Sees Genezareth im heutigen Westjordanland (Gerasa, Mk 5,1) sowie im heutigen Südlibanon (Tyros und Sidon, Mk 7,24) und streifte eventuell auch durch Samaria (Joh 4,5 gegen Mt 10,5). Diese Provinz Palästinas gehörte früher zum Nordreich Israel, das den Jerusalemer Tempelkult im Südreich Juda ablehnte.

Reich-Gottes-Verkündigung

Jesus begann nach der Festnahme des Täufers durch Galiläas Dörfer zu ziehen und verkündete wie dieser das unmittelbar bevorstehende „Reich Gottes“ (Mk 1,14ff). Damit folgte auch er Israels Propheten. Aber anders als sie verkündete er, Gottes Herrschaft sei punktuell schon angebrochen (Lk 17,21), nämlich in seinem eigenen Handeln (Mt 11,4-5; Lk 7,22). Er bezog sich dabei vor allem auf Heilsansagen der Exilspropheten Deuterojesaja (Jes 40-55) und Tritojesaja (Jes 56-66, ab etwa 530 v. Chr.). Er wollte diese erfüllen und die Befreiung der Armen beginnen: Das sah er als seine ihm von Gott aufgetragene Sendung an (Lk 4,17–21; Lk 6,20).

Die große jüdische Bevölkerungsmehrheit war damals bettelarm, täglich von Hunger, römischer Gewalt und sozialem Absturz bedroht. Steuern für Rom und den Tempel, der Opferzwang, Arbeitsmangel, Schuldversklavung und Epidemien lasteten auf dem Volk (Gerd Theißen). Jesus versprach diesen Armen den Landbesitz (Mt 5,5) und das „Gnadenjahr“ der gerechten Bodenreform (Lk 4,19f; Lev 25; Dtn 15). Dem entsprach seine Forderung an einen Großgrundbesitzer, all seinen Besitz den Armen zu schenken und Jesus nachzufolgen: also ihm zu helfen, andere Reiche auch vom Besitzverzicht für die Armen zu überzeugen (Mk 10,17-27). So erneuerte er die prophetische Zukunftserwartung einer Revolution zu Gunsten der Besitz- und Rechtlosen. Damit stellte er die römische und jüdische Oberschicht in Frage. Andererseits lud er so auch Reiche in Gottes Reich ein und gab auch ihnen vorweg Anteil daran (Lk 19,9f). Diese "sich realisierende Eschatologie" (Werner Georg Kümmel) unterschied ihn von prophetischen, rabbinischen oder zelotischen Traditionen seiner Umgebung.

Heiltätigkeit und Wunder

Heilen gehörte zum Aufgabenbereich eines Rabbi. Wie andere reformorientierte Pharisäer erfüllte Jesus das Gebot der Nächstenliebe (Lev 19, 17f) mit seinem Heilwirken für Kranke und soziale Randgruppen.

Wunder berichtet die antike Umwelt oft von Herrschern oder berühmten Ärzten, denen als „göttlichen Menschen“ (griechisch theios aner) besondere Kräfte zugeschrieben wurden. Auch die Evangelien tradieren gemeinsame und verschiedene Heilwunder; einige davon gehören zu den ältesten Stoffen der Logienquelle. Doch die Jesuswunder lassen sich kaum auf einen historischen Kern zurückführen, da sie alle nachösterliche Verkündigung seiner Person sind.

Nach dem NT soll Jesus auch „Dämonen“ ausgetrieben haben. Textmotive legen nahe, dass es dabei um damals unheilbare Krankheiten wie Lepra, grauen Star, Epilepsie und Schizophrenie ging. Solche Kranke galten nach damaliger Tora-Auslegung als „von unreinen Geistern besessen“. Man vermied Umgang und Berührung mit ihnen, verstieß sie aus bewohnten Orten und verurteilte sie so meist zum Tod (Adolf Holl).

Jesu Zuwendung zu ihnen gilt dem NT bereits als Wunder; doch verkündet es seine Heiltaten nicht als isolierte Mirakel, sondern als Angriff auf die Herrschaft des Bösen über das Gottesvolk und zeichenhaften Beginn des Reiches Gottes (Mk 3, 27). Die Exorzismen betonen das dramatische Kampfgeschehen mit der Feindmacht, das den Sohn Gottes als Sieger erweist (Mk 1,25f). Demnach habe Jesus durch das Machtwort des Schöpfers sogar Tote auferweckt: Talita kumi! - "Mädchen, steh auf!" (Mk 5,41).

Andere Texte betonen das Heilen durch Nähe (Mk 1,31), Berührung (Mk 1,41), Schuldvergebung (Mk 2,5), Handauflegen oder Speichel (Mk 7,32f). Hinzu kommen soziale Aspekte: Jesus führt den Kranken aus dem Dorf und heilt ihn getrennt von seiner Umgebung (Mk 8,23). Manche sendet er verwandelt dorthin zurück (Mk 5,19), andere nicht (Mk 8,26). Dem Bedürftigen wird das Heil ohne Vorleistung geschenkt (Mk 3,3); Jünger wie Zuschauer aber werden zum Glauben ermahnt (Mk 9,19.25). Demnach war Jesu Anliegen ganzheitlich zu verstehen: Er heilte den Einzelnen, indem er ihn Gottes bedingungslose Gnade spüren ließ, seine gesamte Lebensorientierung radikal umwandelte, wo möglich, auch seine krankmachende Umgebung veränderte und so den Geheilten neue Lebenschancen eröffnete.

Diese Tätigkeit galt auch Ausländern (Mk 7,24ff) wie dem Diener eines römischen Offiziers (Mt 8,5-13; Lk 7,1-10). In Israel galten besondere Kräfte jedoch schnell als Teufelei. Seine „Vollmacht“ brachte Jesus nicht nur Sympathie, sondern auch Misstrauen, Neid, Abwehr ein (Mk 3,22). So weisen gerade seine Heilerfolge schon auf seine Passion voraus (Mk 3,6).

Neben den Heilungen schreiben die Evangelien Jesus noch andere Wunder wie Massenspeisungen, Sturmstillung, Seewandel (Mt. 14, 24-33) zu. Während die rationalistische Theologie diese Texte seit der Aufklärung "entmythologisierte", glauben viele besonders evangelikale und charismatische Christen auch heute noch an „Dämonen“ als reale übernatürliche Wesen. Auch Esoteriker sehen bei Jesus Fähigkeiten wie Levitation.

Die Naturwissenschaft schließt „Wunder“ generell aus. Die psychosomatische Medizin erkennt jedoch an, dass jede Krankheit auch seelisch-geistige Dimensionen hat und Heilung immer den ganzen Menschen umfasst. Moderne Therapiemethoden wie die Gestalttherapie finden in den Wundertexten daher durchaus verwandte Motive.

Tora-Auslegung

Jesu Sendung galt zuerst den Armen: Die Bergpredigt beginnt mit Heilszusagen an das ganze Unrecht und Not leidende Volk (Mt 5,3–11). Sie legen das 1. Gebot (Ex 20,2) prophetisch aus: Weil Gott der Sklaven-Befreier ist, gehört sein Reich den Armen schon, und die Erde wird ihnen gehören. Das enthielt einen indirekten Messiasanspruch, da der Messias in Israels Prophetie Gottes Recht auf Erden durchsetzt.

Dann wird an Israels Auftrag erinnert, als „Licht der Völker“ die Tora vorbildlich zu befolgen (Mt 5,14–16; Jes 42,6). Der Evangelist Matthäus betont demgemäß, dass Jesus alle Gebote bis ins Kleinste erfüllen, nicht aufheben wollte und Christen die Juden darin übertreffen sollen (Mt 5,17–20). Ob er selbst das so sah, ist umstritten. Er stellte viele Gebote zum Teil radikal in Frage und soll zum Beispiel gesagt haben (Mk 2,27): „Der Sabbat ist für den Menschen, nicht der Mensch für den Sabbat da!“ So lehrte später auch der Talmud: „Lebensrettung verdrängt Toragebot.“

Dem entsprachen Jesu „Antithesen“ (Mt 5,21-48), die heute nicht mehr als neue Ethik im Kontrast zum Judentum, sondern innerjüdische Toradeutung aufgefasst werden. Sie beziehen sich auf die Zehn Gebote (Ex 20,2–17) und das Vergeltungsrecht (Ex 21,23f). Jesus radikalisierte sie über den Wortlaut hinaus: Schon wer andere hasst, ist tendenziell ein Mörder und verdient eigentlich den Tod (5. Gebot). Schon wer als verheirateter Mann eine andere Frau begehrt, bricht die Ehe (6. Gebot). Jeder Eid missbraucht den Gottesnamen (2. Gebot) und ist Lüge (8. Gebot). Gottes Schöpfungstreue (Gen 8,22) entkräftet das Vergeltungsgebot. Auch Israels Feinde sind als Nächste zu segnen. Das Anhäufen von Besitz bricht das 1. Gebot (Mt 6,19f.24). Besitzaufgabe für die Armen erfüllt den ganzen Dekalog (Mk 10,17–27).

Dies spiegelt die damaligen Verhältnisse: Jüdische Männer durften fremdgehen, erwarteten aber zugleich unberührte Ehefrauen. Verstoßene Frauen waren recht- und schutzlos und oft zur Prostitution gezwungen, die wiederum als todeswürdig galt. Jesus entzog dieser patriarchalischen Doppelmoral die Rechtfertigung, indem er die Ehescheidung verbot. Er rettete eine Hure vor der Steinigung, indem er ihren Richtern ihre eigene Schuld bewusst machte (Joh 8,1-11). Das hob die Todesstrafe nicht direkt auf, entkräftete sie aber.

Gerichte waren in römischer und sadduzäischer Hand, Rechtsbeistand konnten Arme dort kaum erwarten. Die Besatzer benutzten Juden als Lastesel und schlugen die, die sich weigerten. Verschuldung, Enteignung, römische Gewalt bedrohten ihre Existenz. Jesus nannte diese Unterdrückung seiner Mitjuden „das Böse“ (Mt 5,39), rief aber dazu auf, auf Gegengewalt zu verzichten und Feinde mit freiwilligem Entgegenkommen zu demütigen. Er erhöhte keine Strafen, sondern deckte das gnadenlose Verurteilen anderer auf, um es zu überwinden und Gottes Volk vor Krieg und Untergang zu retten (Mt 7,1–6): „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ Er erinnerte an Israels Aufgabe (Gen 12,3), die Völker zu segnen, nicht zu hassen. Seine Nachfolger sollten übermächtiger Gewalt durch unerwarteten Gewaltverzicht begegnen, Feinde mit Fürsorge überraschen (Mt 5,38-48) und so „entfeinden“ (Pinchas Lapide). Sein Ziel war demnach, ganz Israel und die Völker von Gewaltherrschaft zu befreien.

Jesus lud darum gerade die in Gottes Reich ein, die die damals gültige Tora-Auslegung davon ausschloss (Mk 2,17): „Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.“ Gemeint waren beispielsweise jüdische „Zöllner“, die für die Römer Steuern eintrieben, oft dabei ihre Landsleute übervorteilten und daher gehasst und gemieden wurden. Jesu Tischgemeinschaft gab ihnen Anteil am Heil, befreite sie vom Unrechttun und veranlasste sie zur Rückgabe geraubten Gutes (Lk 19,1–10).

Gerade weil er das 1. Gebot über alles stellte, ordnete er die „Sozialtafel“ (6. - 10. Gebot) der „Kulttafel“ des Dekalogs (1.- 5. Gebot) über: Er hob die Reinheitsgesetze auf (Mk 7,1–22) und relativierte die Kultgesetze (Mt 5,24). Die Versöhnung mit dem Bruder und das Segnen der Feinde (Mt 5,23f.44) geht dem Opfern im Tempel voraus, weil Nächstenliebe gleichrangig mit Gottesfurcht ist (Mk 12,28–34): Dieses Doppelgebot nahm eine zentrale Lehre des Talmud schon vorweg. Es erfüllte für Jesus ebenso wie für die Pharisäer Israels ganze Tora.

Anhänger

Von Beginn seines Auftretens an gewann Jesus Nachfolger (Mk 1,14ff). Frühe Texte der Logienquelle zeigen: Der Ruf in die Nachfolge war mit dem „Verlassen“ von Beruf, Familie, Besitz unlösbar verbunden (Mk 10,28–31). Doch damit forderte er nur ihre Zugehörigkeit zum einfachen Volk, das total verarmt und vom Hunger bedroht war. Demgemäß zogen seine Anhänger mittel- und waffenlos umher (Mt 10,5–15). Ihre Aufgabe war, wie er das Reich Gottes zu verkünden, Kranke zu heilen, Dämonen auszutreiben, sogar Tote zu erwecken und Gottes Segen weiterzugeben. Beim Betreten eines Hauses grüßten sie mit dem Friedensgruß „Schalom“. Damit segneten sie die ganze Sippe und stellten sie unter Gottes Schutz. Waren sie nicht willkommen, dann verließen sie den Ort, reinigten sich von dessen Staub und überließen ihn Gottes Gericht, ohne zurückzukehren.

Die Gefahr für diese Wanderbettler war nicht das Festhalten von Besitz, sondern das Aufgeben ihrer Mission für ein gesichertes Existenzminimum (Mt 6,25–33). Mk 2,23ff zufolge lasen sie am Sabbat Ähren von abgeernteten Feldern auf. Jesus heilte bewusst auch am Sabbat und erlaubte den Bruch der Sabbatruhe bei Lebensgefahr (Mk 3,4), da Gesetze für den Menschen gemacht seien, nicht umgekehrt (Mk 2,27).

Das soll den Plan seiner Gegner, ihn zu töten, ausgelöst haben (Mk 3,6). Aber gerade Pharisäer wie Hillel erlaubten schon vorher Lebensrettung und Wohltätigkeit für die Armen auch am Sabbat. Sie wollten die Tora im Alltag flexibler anwenden. Dazu ergänzten sie die Bibel durch die mündliche Auslegung verschiedener Pharisäerschulen, die später in der Mischnah zusammengefasst wurde. Die Evangelien stellen die Pharisäer überwiegend negativ und zum Teil falsch dar. Historiker erklären das aus ihrer Entstehungszeit: Nach der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. gewannen die Pharisäer die Führung des Judentums und grenzten die Christen aus, da diese sich bereits gegen die volle Weitergeltung der Tora und für die Völkermission entschieden hatten. Daraufhin grenzten die Evangelien sich ebenfalls polemisch gegen die Pharisäer ab, obwohl Jesus ihnen nahe stand.

Frauen

Jesu Verhalten zu Frauen war im patriarchalischen Judentum damals neu und ungewöhnlich (Hanna Wolff). Auch sie folgten ihm von Beginn an nach (Mk 1,31). Seine Heilwunder galten oft gerade Frauen, die gesellschaftlich ausgegrenzt wurden, z.B. Huren, Witwen, Ausländerinnen oder Kranken. Viele, die er geheilt hatte, versorgten ihn und die Männer (Lk 8,2-3). Maria Magdalena stand ihm nach dem Johannesevangelium besonders nahe (Joh 11-12; 20,16).

Die biblische und rabbinische Tradition betont die Einehe als den legitimen Ort für Sexualität. Jesus lehnte die Ehescheidung ab (Mk 10,1-12), um besonders Frauen vor Ehrverlust zu schützen (Mt 5,27-32). Aber er gebot seinen Jüngern nicht die Eheschließung, sondern ließ „um des Himmelreichs willen“ Ehelosigkeit zu (Mt 19,12). Ob er selbst eine Partnerin hatte, erwähnen die Evangelien nicht. Falls er ein ausgebildeter Rabbi war, wäre er laut Mischnah zur Ehe verpflichtet gewesen. Da er dem Verkünden des Reiches Gottes Vorrang vor allen weltlichen Bindungen gab (Mt 6,33), kann er unverheiratet und sexuell enthaltsam umhergezogen sein. Die Erinnerung an eine Freundin Jesu kann aber auch später getilgt worden sein, da sie nicht zum Bild des männlichen Gottessohns passte (Luise Schottroff).

Die Frau wird auch in der urchristlichen Verkündigung hochgeschätzt. Jesu Stammbaum (Mt 1,1-17) erinnert bewusst an weibliche Außenseiter in Israels Erwählungslinie: die vermeintliche Hure Tamar, die Hure Rahab, die Ausländerin Ruth, die vergewaltigte Witwe des Uria. Eine Frau salbte Jesus vor seinem Tod (Mk 14,3-9). Nachfolgerinnen waren nach allen Evangelien die letzten Zeugen seines Todes und die ersten Zeugen seiner Auferweckung.

Gegner

Zum damaligen Judentum gehörten neben den schon erwähnten Mandäern, Essenern, Pharisäern und Samaritanern weitere, oft verfeindete Gruppen: Herodianer, Sadduzäer und Zeloten.

Herodes Antipas, ein von Rom eingesetzter König aus Idumäa (Südjudäa, das vormalige Edom), regierte damals Galiläa und Judäa. Sein Vater, Herodes der Große, ließ Paläste bauen und missbrauchte dazu Teile der Tempelsteuer. Antipas selbst nahm eine bereits verheiratete Nichte als Zweitfrau und ließ den Täufer Johannes wegen dessen Kritik daran hinrichten (Mk 6,17–29). Daher waren die Herodianer den meisten Juden genauso verhasst wie die Römer. Die Evangelien stellen sie wohl historisch zutreffend auch als Gegner und Verfolger Jesu dar (Lk 13,31).

Seine Hauptgegner aber waren die hellenistisch geprägten, vornehmen Sadduzäer. Als Erben der Leviten verwalteten sie den Tempelkult in Jerusalem. Aus ihnen kam der Hohepriester, der sein erbliches Amt auf Zadok zurückführte: jenen Priester, der auf Geheiß König Davids den Tempelerbauer Salomo gesalbt hatte (1.Kön 1, 32) und dessen Nachfahren seit der Makkabäerzeit Priesterkönige waren. Im Hinterland war ihr Einfluss zwar geringer; doch wachten sie auch dort über die strenge Einhaltung der biblischen Reinheits- und Opfergesetze. Da Jesus diese für seine Jünger außer Kraft setzte (Mk 7,1–23), wurde ein Konflikt mit ihnen unvermeidbar.

Die jüdische Oberschicht kooperierte eng mit den römischen Besatzern. Diese ließen den Tempelkult zu, solange innerjüdische Konflikte ihre Machtkontrolle nicht bedrohten. Sie setzten Juden als Steuereintreiber und Ortsvorsteher ein, um Judäa als „Kornkammer“ für Rom auszubeuten. - Da Jesus den Armen schon in Galiläa den Landbesitz zusagte (Mt 5,5) und immer mehr Zulauf gewann (Mk 10,1.46), bahnte sich auch mit den Römern ein Konflikt an. Nachdem er sich zum Passahfest nach Jerusalem aufmachte, kam es dort zur direkten Konfrontation mit den damaligen Autoritäten in Religion und Politik: dem Hohenpriester Kaiphas und dem römischen Statthalter Pontius Pilatus.

Die Zeloten

Seit Judas Makkabäus (ca. 170 v. Chr.) gab es in Israel offenen Widerstand gegen Fremdmächte, die Israel ihre Religion aufzwangen. Jüdische Befreiungskämpfer kamen oft aus dem früheren bergigen Nordreich, wo die Exodustradition lebendig blieb. Auslöser für gesamtjüdische Aufstände waren oft Königs- oder Götterstatuen, die ein Fremdherrscher im Jerusalemer Tempel aufstellen ließ. Das widersprach dem biblischen Bilderverbot als Kehrseite des 1. Gebots (Ex 20,2ff).

Die Religionspolitik der Römer war anfangs toleranter als die ihrer Vorgänger. Doch um 6 n. Chr. verordnete Augustus allen Juden eine Volkszählung, um ihre Tributpflicht zu erzwingen (nach Lk 2,1 der Kontext der Geburt Jesus). Judas Galiläus organisierte einen Boykott dagegen. Nachdem er scheiterte, verübten seine Anhänger vermehrt Anschläge gegen römische Beamte und Soldaten. Die, die Meuchelmorde begingen, hießen „Sikarier“ (Dolchträger). Sie selber nannten sich nach biblischem Vorbild "Zeloten" (Eiferer) und verweigerten das Zahlen römischer Steuern. Diese galten vielen Juden als Götzendienst, da der römische Kaiser auf den Münzen abgebildet war und sich als Gott verehren ließ.

Nach Mk 12,13–17 prüften Jesu Gegner sein Verhalten zur Kaisersteuer, um ihn als Zeloten zu überführen und an die Römer ausliefern zu können. Darauf soll er gesagt haben: „Gebt dem Kaiser, was ihm gehört, und Gott, was Gott gehört!“ Die Deutung ist umstritten. Nach Martin Luther trennte er Religion und Politik und verlangte: Bezahlt die Kopfsteuer jeweils dem Kaiser und dem Tempel. Nach Martin Buber sagte Jesus damit: Der Kaiser ist nicht Gott. Gebt ihm nicht, was Gott gehört: euch und euer Volk.

So zeigte sich auch dieser Galiläer bei der Tempelreinigung als „Eiferer“ für Gottes Reich (Joh 2,17). Darum folgten ihm auch einige Zeloten nach: Dazu gehörte wohl Judas Iskariot, der ihn später an Kaiphas verriet. Der Grund wird nicht genannt; Historiker vermuten meist eine Enttäuschung darüber, dass Jesus keinen zelotischen Aufstand anführen wollte. Er wollte nicht Israels Besatzer mit Gewalt vertreiben, sondern die Feindschaft zwischen Juden und Heiden überwinden.

Zug nach Jerusalem

Wann und warum Jesus sich dem Zentrum des jüdischen Glaubens zuwandte, ist ungewiss. Viele Historiker glauben, dass dieser Entschluss ungeplant war und erst allmählich reifte. Vielleicht pilgerte er wie die meisten Juden vom Land nur einmal in seinem Leben in die Tempelstadt: Dann wirkte er nur etwa ein Jahr öffentlich.

Er verließ Galiläa wohl, weil sich dort nach seiner Predigt nichts entscheidend besserte. Das lassen seine Weherufe über Galiläas Städte vermuten (Mt 11,20-24; Lk 10,13-16). Diese geprägten Klagen nehmen das Endgericht vorweg, als sei es schon passiert: Das war in Israels Gerichtsprophetie als letzter ultimativer Umkehrruf zu verstehen. Jesus vertraute die besuchten Städte also Gottes Gericht an und zog weiter, wie er es seinen Jüngern auch geboten hatte (Mt 10,14f).

Er zog nach der Enthauptung des Täufers nach Jerusalem (Mt 14,12): Sie kann ihn dazu veranlasst haben, sein Werk zuende zu führen, ganz Israel zur Umkehr zu rufen und den jüdischen Gottesdienst zu reformieren. Spätestens jetzt musste er mit seinem gewaltsamen Tod rechnen (Mt 14,13). Er nahm diesen wohl bewusst in Kauf (Mk 8,31 par.), um - wie der verheißene leidende "Knecht Gottes" (Jes 53) - ganz Israel von Not, Krankheit, Unrecht und Sünde zu befreien (Mk 10,45). Unterwegs folgten ihm einfache Juden, die ihn für den wiedergeborenen Johannes, den Endzeitpropheten Elija oder sogar für den Maschiach hielten (Mk 8,27–30). Sie erwarteten offenbar eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit seines Anspruchs.

Jesu Passion

Einzug in Jerusalem

Mit Jesu Einzug zum Passahfest beginnt für die Evangelien seine Leidensgeschichte. Die Festpilger sollen ihn nach einer historischen Passahliturgie als den erwarteten Davidssohn begrüßt haben (Mk 11,9f): „Gelobt sei das Reich unseres Vaters David!“ Demnach sahen sie ihn als den ersehnten Retter und neuen König Israels.

Daraufhin soll Jesus auf einem zuvor unberittenen Esel in die Stadt geritten sein. Diese prophetische Zeichenhandlung erinnerte die Menge an eine Verheißung des Propheten Sacharja: Dieser hatte nach dem Tempelneubau (um 530) einen gewaltlosen Messias der Armen angekündet, der Gottes weltweites Abrüstungsgebot aufrichten und in Israel zuerst durchsetzen würde (Sach 9,9-11).

Jesu Eselsritt bejahte diese Erwartung, grenzte sich aber gegen das Bild eines machtvollen Herrschers und die Aufrichtung seines Großreichs im Volk ab. Er wollte demnach kein kriegerischer Anführer sein, sondern die biblische Prophetie des Völkerfriedens durch Abrüstung (Jes 2,2–4; Mi 4,1–3) gewaltlos anfangen zu erfüllen und so allen Völkern Gottes Reich nahebringen.

Tempelkritik

Jesus vertreibt die Händler aus dem Tempel, Fresko von Giotto di Bondone

Der Tempel spielt in den Evangelien eine wichtige Rolle. Jesu Verhalten dazu ist nicht eindeutig. In Galiläa schickte er geheilte Patienten zu den Priestern, damit diese ihre Gesundung amtlich feststellten und sie wieder in die Gesellschaft aufnahmen (Mk 1,44). Seine Tora-Auslegung lehnte die Opfer nicht direkt ab, ordnete sie aber der Nächstenliebe unter (Mt 5,23f). Indem er im Tempel lehrte, erkannte er diesen als Gotteshaus an. Auch die Tempelsteuer hat er anders als die Kaisersteuer wohl gebilligt (Mk 12,41ff).

Doch in Jerusalem soll Jesus gegenüber seinen Jüngern (Mk 13,2 par.) wie auch öffentlich (Mt 23,38 par.) die Zerstörung der Tempelstadt angekündigt haben. Dabei berief er sich auf Jeremia, der die Zerstörung des ersten Tempels (586 v. Chr.) vorhergesagt hatte und dafür von den Priestern fast getötet worden wäre (Jer 26).

Nach allen Evangelien vertrieb Jesus kurz darauf die Händler und Geldwechsler aus dem Tempelvorhof für die "Heiden". Diese tauschten dort griechische und römische Alltagsmünzen in jüdische Münzen um, da auf dem Opfergeld keine Gottkaiser oder Götter abgebildet sein durften. Nur dafür verkauften sie armen Juden oder Heiden erschwingliche Opfertiere wie Sperlinge oder Tauben, die dann nur im Tempel dargebracht werden durften. Ohne sie konnten die religiösen Riten also nicht vollzogen werden.

Jesu Handeln wurde oft als Angriff auf den Tempel an sich missdeutet; jedoch sollte seine prophetische Zeichenhandlung auch Nichtjuden Zugang zum Gotteshaus eröffnen (Mk 11,17; Jes 56,7):

„Steht nicht in der Schrift: Mein Haus soll ein Bethaus für alle Völker heißen?“

Dem stand der Opferkult im Weg. Davon wollte Jesus den Tempel „reinigen“ und die Tempelbesucher dazu anstiften. Mit diesem Tabubruch stellte er den Tempelkult und die Führungsrolle der Priester, also die gesamte bestehende Ordnung in Frage. Er forderte die Elite des Judentums zu einer eindeutigen Reaktion heraus.

Gefangennahme

Von wem Jesu Festnahme ausging, ist umstritten. Der Hohepriester könnte sie aufgrund der Tempelaktion vom Vortag veranlasst haben. Er selbst war nur für kultische, nicht politische Kapitalvergehen, seine Tempelwache nur für den Tempelbezirk zuständig. Den Stadtwald von Getsemani dagegen - ein beliebtes Versteck für Zeloten - bewachten römische Soldaten. Nur sie durften Schwerter und Lanzen tragen. Judas Iskariot soll eine so bewaffnete Truppe zu Jesu Lager geführt haben (Mk 14,43). Doch dass ein enttäuschter Zelot Jesus an die Römer ausgeliefert hätte, wirkt unglaubhaft.

Wegen solcher Ungereimtheiten bestreiten vor allem jüdische Historiker wie Paul Winter, dass es überhaupt einen religiösen Prozess gegen Jesus gab, und weisen dem Sanhedrin nur eine Hilfsrolle bei seiner Festnahme und Auslieferung an Pilatus zu. Die meisten christlichen Historiker halten demgegenüber an der Initiative der Tempelpriester im Passionsverlauf fest, wie sie die Evangelien übereinstimmend darstellen (siehe dazu: Forschermeinungen und NT-Befund).

Notwendig erschien Jesu Festnahme wegen der realen politischen Umstände: Sein Auftreten im Tempelbezirk konnte einen Volksaufstand beim bevorstehenden Passahfest auslösen. Das hätte unvermeidlich das Eingreifen der Römer, blutigen Kampf und das Ende der religiösen Autonomie Israels provoziert. Dies macht die von Kaiphas überlieferte Abwägung im Sanhedrin plausibel (Joh 18,14): „Es ist besser, dass ein Mensch statt des Volkes stirbt.“ Da Jesus dessen Sympathien besaß, wurde er „mit List“ (Mk 14,1), nämlich nachts (Mk 14,17.49) festgenommen.

Ihm soll klar gewesen sein, was ihm bevorstand (Mk 14,48f): „Ihr seid vorgegangen wie gegen einen Mörder...dabei war ich jeden Tag im Tempel, wo ihr mich festnehmen konntet. Aber so soll die Schrift erfüllt werden!“ Man wollte ihn offenbar als Verbrecher durch die Römer hinrichten lassen. Diese nannten Zeloten „Mörder“, um deren Widerstand zu kriminalisieren und ihre Unterdrückung zu legalisieren.

Laut den Evangelien leisteten Jesu Jünger Gegenwehr. Diese habe er sofort gestoppt, da er seinen Tod als Gottes vorherbestimmten Willen annahm (Mt 26,51f; Lk 22,50f). Daraufhin seien seine Anhänger geflohen (Mk 14,50). Auch ihnen drohte Festnahme und Hinrichtung.

Den Tempelhütern lag aber gerade wegen fehlender eigener Strafjustiz an einem legalen Verfahren, das ihre Autorität bewies (Apg 7,57). Daher gehen auch nichtchristliche Historiker und Juristen wie Haim Cohn oder Weddig Fricke davon aus, dass sie Jesus ohne Verhör und für sie gültigen Rechtsgrund kaum ausgeliefert hätten.

Verhör vor dem Hohen Rat

Im Sanhedrin, dem obersten Religionsgericht Israels mit Sitz in Jerusalem, waren die Führungsgruppen des damaligen Judentums vertreten: Pharisäer, Schriftlehrer (Rabbiner) und Sadduzäer. Das Markusevangelium zählt sie häufig auf und lässt so seine Redaktion erkennen. Die sadduzäischen Tempelpriester stellten nach jüdischem Gesetz die Mehrheit und waren nicht abwählbar. Der Hohepriester war Chefankläger und Richter zugleich. Durch römischen Einfluss hatte Kaiphas dieses Amt damals inne.

Er vernahm zuerst Zeugen, die behaupteten, Jesus habe Unmögliches, nämlich den Abriss und Neubau des Tempels innerhalb von 3 Tagen geweissagt (Mk 14,58). Die Anklage gegen ihn lautete also auf Falschprophetie, laut Dtn 13,2-6; 18,20 eins der schwersten religiösen Kapitalvergehen.

Für Markus waren die Zeugen Lügner, die sich widersprachen und so kein legales Todesurteil hergaben (Mk 14,56; Dtn 19,15ff). Doch ihre Aussage traf im Kern zu: Denn Jesus hatte bei seiner Vertreibung der Opferhändler den Abriss des alten Tempels gefordert und seinen Neubau angekündigt (Joh 2,19). Eine solche Kultreform aber stand nach jüdischer Tradition (2Sam 7,13) nur dem Nachkommen Davids, also dem Messias zu (Otto Betz). Das erklärt die Frage des Kaiphas im Verhör Jesu (Mk 14,61):

„Bist Du der Messias, der Sohn des Hochgelobten?

Früher sahen NT-Forscher diese Frageform meist als christliche Deutung an. Zwar vermieden hellenistisch gebildete Juden den Gottesnamen (Rudolf Pesch), nannten den Messias aber sonst kaum exklusiv "Sohn Gottes". Doch Schriften aus Qumran haben bestätigt, dass dies zur Zeit Jesu möglich war.

Das Menschensohn-Bekenntnis

Jesus antwortete laut Mk 14,62: „Ich bin es...“ Daran knüpfen die „Ich-bin“-Reden bei Johannes an, die der Evangelist großenteils selbst verfasste. Sie folgen ihrerseits Gottes Selbstvorstellung in der Hebräischen Bibel („Ich bin der ich bin“: Ex 3,14), besonders den Gottesreden bei Deuterojesaja (z.B. Jes 44,24-45,7).

Ob Jesus einen expliziten Messiasanspruch erhob, ist in der NT-Forschung umstritten. Von allen Hoheitstiteln, die ihm im NT beigelegt werden, taucht nur der "Menschensohn" in seinem Mund auf. "Sohn Davids" - eine bei armen Juden verbreitete Umschreibung des Messiastitels - wies er nicht zurück (Mk 10,47ff). Aber nach den synoptischen Evangelien bekennt er sich nur dieses eine Mal selbst als "Messias". Keiner seiner Anhänger war hier dabei. Daher gilt der Vers meist als nachösterlich.

Einen impliziten Messiasanspruch Jesu halten NT-Forscher dagegen meist für wahrscheinlich. Dafür sprechen

  • seine besondere, von der bisherigen Prophetie verschiedene Verkündigung: Auf die Messiasfrage des Täufers (Mt 11,2-6; Lk 7,18-23) verwies Jesus auf sein Handeln, in dem das verheißene Reich Gottes schon anbrach;
  • die ältesten Menschensohn-Worte, die schon in der frühen Logienquelle nur in Jesu Selbstaussagen auftreten und seine „Vollmacht“ zum Dämonen austreiben, Heilen, Sündenvergeben und Bruch des Sabbatgebots begründen (Mk 2,10.28);
  • die persönliche Gottesanrede „Abba“ (Papa, lieber Vater);
  • der endgültige Entscheidungscharakter seiner Gleichnisse, Streitgespräche und Gebotsauslegungen;
  • die endzeitlichen Heilszusagen („Seligpreisungen“) der Bergpredigt;
  • Zeichenhandlungen wie der Eselsritt beim Einzug in Jerusalem und die Tempelreinigung, die nur dem Messias zustanden (Sach 9,6; 14,21);
  • und nicht zuletzt die Selbsthingabe seines Lebens, da Jesus die drohende Konsequenz seines Handelns bewusst war (Mk 10,45): nicht nur - wie andere Befreiungskämpfer oder Märtyrer - für seine Jünger und sein Volk, sondern darüber hinaus für alle Menschen (Mk 14,24).

Diese Motive zeigen jedoch auch deutliche Distanz zur tradierten Messiaserwartung. Als Petrus erstmals bekennt: „Du bist der Christus!“, folgt Jesu Hinweis auf das bevorstehende Leiden des Menschensohns und die notwendige Kreuzesnachfolge (Mk 8,27-37). Auch im Verhör vor Kaiphas ergänzt er sein Messiasbekenntnis:

„...und ihr werdet sehen den Menschensohn sitzend zur Rechten der Kraft und mit den Himmelswolken kommen.“

Das zitierte aus der dem Seher Daniel zugeschriebenen Vision vom Endgericht Gottes: „Siehe, es kam einer mit den Himmelswolken, der sah aus wie eines Menschen Sohn...“ (Dan 7,13f). Diese Verheißung folgt dort dem Ende, das Gott allen Gewaltimperien setzt. Danach werde er all seine Macht dem "Menschenähnlichen" übergeben, so dass ihm alle Menschen dienen würden.

Ein Messiasanspruch an sich war für die Sadduzäer noch keine Todsünde: Da Israels Gott die Geschichte lenkt, wurde sein Messias durch seinen historischen Erfolg ausgewiesen. Man konnte ihn festsetzen und abwarten (Dtn 18,22). Andere jüdische Messiasanwärter wie Simon Bar Kochba wurden im Judentum trotz späterer Niederlagen hoch verehrt. Doch Jesus identifizierte hier den Messias - sich - mit dem „Menschensohn“. Damit bezog er dessen zukünftiges Handeln auf sein eigenes Vorhaben, den Abriss und Neubau des Tempels. Er wollte den Opferkult abschaffen, Ausländern Zugang zum Gott Israels gewähren und auch ihnen so die Hoffnung auf ein Ende aller Gewaltherrschaft nahe bringen. Einen solchen Anspruch hat im Judentum sonst niemand erhoben.

Kaiphas hörte aus Jesu Antwort eine „Gotteslästerung“ heraus (Mk 14,64). Ein direktes Verfluchen des Gottesnamens kann nicht gemeint sein, weil gerade der historische Jesus das 1. Gebot achtete und den Gottesnamen - ebenso wie sein Ankläger - auszusprechen vermied (vgl. Mt 5,33ff).

Doch indem Jesus die Messiasfrage bejahte und mit der Menschensohn-Ankündigung ergänzte, schien er sich mit einem göttlichen Wesen gleich zu stellen. Das war für Juden die Ursünde: „Ihr werdet sein wie Gott...“ sprach die Schlange im Paradies (Gen 3,5). Die umständliche Satzkonstruktion verrät aber, dass der Versteil „sitzend zur Rechten der Kraft und...“ später eingefügt wurde. Denn die Evangelien-Redaktion setzte Jesu Auferstehung voraus und verkündete auch hier den schon inthronisierten Christus (Apg 2,34).

Jesus selbst kündete sonst immer den kommenden Menschensohn in der 3. Person an. Damit erinnerte er Israels Führer an Daniels Vision, um ihnen eine Zukunft jenseits des Tempelkults zu geben, dessen Untergang er ja vorausgesagt hatte. Obwohl seine Aussage drohend klingt – „ihr werdet sehen!“ –, ist sie eine Heilszusage.

Wegen seiner Kreuzigung glaubten die Urchristen, Jesus sei als Gotteslästerer verurteilt worden. Denn diese Todesart galt wie Aufhängen im jüdischen Gesetz als gerechte und notwendige Strafe für einen Lästerer des Gottesnamens (Dtn 21,23). So wurde vom Tod auf das Todesurteil gefolgert. Doch Jesu Messiasanspruch war damals keine Gotteslästerung. Christen, die dies immer noch behaupten, behindern damit den notwendigen Dialog mit Juden. Hier hilft das genaue Hinhören auf den Text weiter.

Das Todesurteil

Jesu indirekter Anspruch auf die Menschensohnwürde zwang Kaiphas, ihn zu verurteilen. Denn er kündete Kaiphas mit Gottes Endgericht seine Entmachtung an. Obwohl völlig machtlos, stellte er sich damit über seinen Ankläger und Richter. Dies musste Israels Führer provozieren, der sein Amt durch die gesamte biblische Tradition legitimiert sah. Für die Sadduzäer war Daniels Apokalyptik eine Irrlehre: Die Tora legte den Hohenpriester als höchste irdische Rechtsinstanz fest (Dtn 17,8-13).

Kaiphas nahm das Todesurteil vorweg, indem er sein Gewand zerriss: eine Trauergeste, wenn ein Jude Zeuge eines Kapitalvergehens wurde. Die Ratsmehrheit folgte ihm: Jesu Selbstaussage hatte für sie die Anklage auf Falschprophetie voll bestätigt. Basis des Urteils waren die strengen Toragebote zur Tötung von Falschpropheten, Volksverführern und Götzendienern (Dtn 13,6; 18,20), so auch später bei der Hinrichtung des Stephanus (Apg 7,56f).

Der vornehme Pharisäer Joseph von Arimathia aber stimmte dem Urteil sicher nicht zu. Denn er bat Pilatus später, den toten Jesus ehrenhaft bestatten zu dürfen (Mk 15,43-46). Dabei sollten rechtmäßig verurteilte Falschpropheten ohne Grab verscharrt werden, damit nichts an sie erinnerte. Aber die Pharisäer glaubten wie Jesus an das Reich Gottes: Man war also im Sanhedrin uneinig, ob er als todeswürdig anzusehen sei oder nicht.

Die Evangelien folgen Markus und stellen das Vorgehen der Führer Israels als böswillig geplanten und herbeigeführten Justizmord dar (Mk 14,11.55; 15,10f). Wäre das Todesurteil einstimmig ergangen (Mk. 14, 64), dann wäre es nach dem Prozessrecht des Talmud unrechtmäßig gewesen. So drückt Markus die schuldhafte Mitverantwortung aller Führer Israels für Jesu Tod aus. Doch wenn dieser sich im Verhör als „Menschensohn“ vorstellte, dann war das Todesurteil nach damaligem jüdischen Recht zwangsläufig und gültig (August Strobel).

Da die Jünger alle geflohen waren - nur Petrus und einige Frauen harrten im Innenhof des schwer bewachten Kaiphas-Hauses aus (Mk 14,66–72) -, erfuhren sie vom Prozessverlauf wohl durch Joseph von Arimathia. Dessen Name war den Urchristen noch Jahrzehnte später bekannt. Doch ihr Prozessbericht will kein historisches Protokoll sein, sondern den erhöhten Christus verkündigen. Markus bezeugt: Erst als es für ihn um Leben und Tod ging, offenbarte der Menschensohn seine Identität. So gab Jesus sein Leben für uns, als Petrus ihn unten im Hof verleugnete. Darin zeigt sich: Das Bekenntnis zum "Sohn Gottes" war für die Christen, an die sich dieses Evangelium wandte, schon zur Lebensgefahr geworden.

Auslieferung

Die Sadduzäer durften damals nicht hinrichten. Darum trafen sie sich am folgenden Morgen erneut, um das Todesurteil in den Vorwurf eines politischen Messiasanspruchs umzuformen. So konnte man Jesus rechtmäßig und rechtzeitig zur Hinrichtung an Pilatus übergeben.

Falschpropheten oder Gotteslästerer sollten nach jüdischem Gesetz „am Fest“ hingerichtet werden. Die nach dem Talmud vorgeschriebene Ein-Tages-Frist zwischen Urteil und Vollstreckung wurde in diesem Ausnahmefall missachtet. Bei einer akuten Gefahr für Tempel und Stadt durfte eine Hinrichtung auch sofort geschehen. Die Aufstandsgefahr beim Passahfest machte Jesus zu so einer Gefahr (August Strobel).

Hinzu kam, dass der Falschprophet vor Beginn des Sabbats tot sein musste, um Israel nicht zu verunreinigen. Darum nehmen vor allem christliche Historiker an, dass Jesus am 14. Nisan (= 7. April) des Jahres 30, dem Hauptfesttag des damaligen Passah, gekreuzigt wurde.

Mihály Mukácsy - Christus vor Pilatus, 1881

Nach Markus, dem die übrigen Evangelien darin folgten, war der römische Statthalter nicht von Jesu Schuld überzeugt und bot dessen Anklägern seine Freilassung anstelle eines anderen, bereits verurteilten Zeloten - Barabbas - an. Doch eine Volksmenge habe ihn zur Hinrichtung Jesu gedrängt - „Kreuzige ihn!“ -, so dass er ihnen zuletzt nachgab (Mk 15,2-15).

Diese Darstellung halten Historiker heute für unglaubhaft. Denn die Menge der Festpilger soll Jesus nur Tage zuvor begeistert als Messiasanwärter begrüßt haben (Mk 11,9). Die Sadduzäer dagegen waren im Volk unbeliebt. Der Innenhof des Pilatuspalastes bot auch nur wenigen Menschen Raum. Ferner war gerade Pilatus nach zuverlässigen römischen Quellen ein skrupelloser Machtpolitiker, der jüdische Tradition und innerjüdische Konflikte ignorierte. Er ließ Juden häufig ohne Rechtsverfahren hinrichten, bis man ihn deshalb absetzte. Daher ist unwahrscheinlich, dass er Jesus gegen Kaiphas in Schutz nahm.

Markus hat also den ihm vorliegenden Jerusalemer Passionsbericht mit deutlich antijüdischer Tendenz überarbeitet, den römischen Statthalter entlastet und den jüdischen Führern die Alleinschuld an Jesu Tod gegeben. Sein Motiv dürfte in der bedrohten Lage der christlichen Gemeinden im römischen Reich und in der verschärften Konkurrenz mit jüdischen Synagogen nach dem verlorenen jüdischen Befreiungskrieg (70 n. Chr.) zu suchen sein. Die endgültige Trennung vom Judentum stand bevor oder war bereits vollzogen.

Nach dem Passionsbericht muss es aber eine Absprache zwischen Kaiphas und Pilatus gegeben haben. Sein Angebot, einen „Mörder“ (Zeloten) zum Tausch für Jesus freizulassen, sollte möglicherweise das Volk beruhigen (Mk 15,6–15). Demnach war eine Hinrichtung ohnehin geplant. Doch Jesus war offenbar für die Sadduzäer gefährlicher als Barabbas. Auch Pilatus und Herodes sollen darüber Freunde geworden sein, dass sie den Todeskandidaten verhöhnten (Lk 23,11f). Beide konnten nichts an ihm finden und beseitigten ihn gerade deshalb. Der gewaltlose Messias der Armen, der keine Macht besaß, war ihnen dennoch im Weg. Die Ereignisse lassen sich also auch als Zusammenspiel zwischen römischen Besatzern und jüdischen Kollaborateuren interpretieren.

Pilatus ließ Jesus öffentlich geißeln und verhöhnen (Mk 15,15-19). Diese Strafe vollstreckten Römer an Verurteilten, nicht aber Juden. Markus übertrug die Folterszene aus dem römischen in den jüdischen Prozess (Mk 14,65). - Danach zwang man Jesus, sein Kreuz zum Richtplatz vor die Stadtmauer zu tragen. Als er unterwegs zusammenbrach, wurde ein jüdischer Landarbeiter genötigt, ihm die Last abzunehmen. Diese Willkür führte allen Juden am Passahfest, an dem sie der Befreiung aus Ägypten gedachten, ihre Ohnmacht gegenüber den Römern vor Augen.

Die Notiz nennt den Kreuzträger „Simon von Kyrene“ aus der nordafrikanischen Exilsgemeinde Kyrenaika und seine Söhne beim Namen (Mk 15,21) und sagt damit aus: So wie Jesus für sein Volk litt und starb, so litten Juden mit ihm und für ihn, als seine Anhänger ihn schon verraten, verleugnet und allein gelassen hatten. Es gab demnach anfangs keine Feindschaft zwischen Christen und Juden, sondern ein gemeinsames Leiden, Erinnern, Hoffen: auch und gerade im Diasporajudentum, wo sich das Christentum zuerst ausbreitete.

Kreuzigung und Grablegung

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Der gekreuzigte Jesus

Nach allen Evangelien verurteilte Pilatus Jesus als „König der Juden“. Demnach hielt er ihn für einen Zelotenführer, der nach römischem Recht wegen Hochverrats hinzurichten war. Dies bestätigt die römische Tafel über dem Kreuz: „Jesus, der Nazoräer, der König der Juden“ (Joh 19,19). Die Evangelien bestreiten aber, dass Jesus einen bewaffneten Aufstand plante (Lk 22,38) und deuten an, dass die Sadduzäer ihn als Aufrührer denunzierten, um seine Hinrichtung zu erreichen. Für sie stellt der Kreuzestitel kein angebliches Verbrechen fest, sondern bestätigt Jesu Messiasanspruch.

Laut Joh 19,21 protestierten die Sadduzäer erfolglos gegen die Inschrift, obwohl sie Jesus ja mit dem Vorwurf eines Messiasanspruchs an Pilatus übergeben hatten. So bleibt fraglich, warum sie ihn als Gefahr sahen, die gegen die Tradition (Dtn 18,22) ein rasches Todesurteil und sofortige Auslieferung erzwang. Erst nachdem Pilatus abgesetzt war, konnten sie kultische Vergehen wieder selbst ahnden. Das jüdische Todesurteil für Gotteslästerung oder Falschprophetie war die Steinigung. Sie wurde erstmals wieder am tempelkritischen Urchristen Stefanus vollzogen (Apg 7,56).

Die Kreuzigung war die übliche Hinrichtungsmethode des römischen Kaiserreichs für Aufständische, entlaufene Sklaven und Ausländer. Diese grausame Strafe sollte alle Augenzeugen demütigen und von der Teilnahme an Aufruhr abschrecken. Sie galt Juden als Gottesfluch für Gotteslästerer (Dtn 21,23; Gal 3,13), die so aus dem erwählten Volk ausgeschlossen wurden. Sie konnte je nach Ausführung tagelang dauern, bis der Gehängte verdurstete oder an seinem eigenen Körpergewicht erstickte.

Der markinische Passionsbericht nennt aber keine Details des Vorgangs, sondern stellt nur geradezu monoton den Ablauf dar: „in der 3. ... der 6. ... der 9. Stunde...“. Das betont in der Sprache der jüdischen Apokalyptik (Dan 7,12) Gottes vorherbestimmten Plan. Die NT-Aussagen des Gekreuzigten variieren. Im ältesten Evangelium rief er kurz vor seinem Tod auf Aramäisch "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" (Ps 22,2). Das Psalmzitat stellt ihn in die Reihe der zu Unrecht verurteilten Juden, die an Gottes Gerechtigkeit appellieren. In der späteren Kirchentheologie spielen die "Sieben Letzte Worte" Jesu während seines Martyriums eine wichtige Rolle.

Jesu Kreuzigung mit anderen Zeloten fand auf dem Hügel Golgatha (Schädelstätte) vor der damaligen Jerusalemer Stadtmauer statt und wurde von einem Trupp römischer Soldaten überwacht. Sie verabreichten Jesus den üblichen, mit Myrrhe versetzten Betäubungstrank zur Schmerzlinderung. Diesen soll Jesus jedoch abgelehnt haben, während er unmittelbar vor seinem Tod den Weinessig (Posca) von Juden annahm (Mk 15, 23. 36). Gemäß seinem Schwur beim Passahmahl - "Amen ich sage Euch: Ich werde hinfort nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich neu trinke im Reich Gottes" (Mk 14, 25) - begann für die Christen damit die unsichtbare Entmachtung der Weltherrscher.

Pilatus soll überrascht gewesen sein, dass Jesus relativ schnell, vor Ablauf eines Tages, verstarb. Er ließ seinen Tod nochmals amtlich feststellen, bevor er seinen Leichnam zur Bestattung freigab (Mk 15,44f). Römische Freigabe und jüdische Grablegung eines Gekreuzigten waren damals höchst unüblich. So betonen alle Evangelien die Aussage des urchristlichen Credos: "gestorben und begraben." Damit reagierten sie wohl schon auf eine gnostische Legendenbildung, die Jesu Tod leugnete und damit sein österliches Erscheinen erklärte.

Nach den Evangelien wurde Jesu Leichnam noch am selben Abend von Joseph von Arimathia nach jüdischer Sitte versorgt und in ein neues Felsengrab gelegt (Mk 15, 46). Das Grab wurde mit einem schweren Stein verschlossen, wie es damals in Jerusalem für fromme Juden üblich war (Eduard Schweizer). Nach einer Sonderüberlieferung im Johannesevangelium soll ein anderer Pharisäer, Nikodemus, 100 Pfund Myrrhe und Aloe ans Grab gebracht haben (Jh 19, 39).

Das urchristliche Bekenntnis lautet: „Diesen Jesus hat Gott auferweckt!“ (Apg 2,32). Dieses Ereignis nach Jesu Tod ist der Kern und Ausgangspunkt der urchristlichen Verkündigung: Damit betonten die ersten Zeugen, dass Gott dem angeblichen Gotteslästerer gegen seine Richter, aber für sein Volk endgültig Recht gegeben und die endzeitliche Wende vom ewigen Tod zum ewigen Leben eingeläutet habe. Hier endet die historische Darstellung der Person Jesu, und der Glaube an ihn beginnt.

Der Artikel Jesus Christus im Neuen Testament stellt Inhalte und Entwicklung zentraler urchristlicher Glaubensaussagen dar. Er geht von den Ostertexten aus und erfragt auch deren möglichen historischen Hintergrund. Mit dem Abschluss der nachösterlichen Jesus-Erscheinungen begann die Geschichte des Christentums und der Kirche. Wie Jesus Christus dort gesehen wird, behandelt der Artikel Christologie.

Literatur

Quellen

  • Bibel-Urtexte:
    • Neues Testament: Nestle-Aland (Hrsg.): Novum Testamentum Graece. Mit Wörterbuch Griechisch-Deutsch. Deutsche Bibelgesellschaft 27. Aufl. 2001, ISBN 3438051079 (online: [1])
    • Altes Testament: Biblia Hebraica Stuttgartensia, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 5. Aufl. 1997, ISBN 3438052180

Hintergrundwissen zum Umfeld des NT

  • F.F.Bruce: Außerbiblische Zeugnisse über Jesus und das frühe Christentum. (Hrsg: Eberhard Güting), Gießen 1991, ISBN 765593664
  • Hans Conzelmann/Andreas Lindemann: Arbeitsbuch zum Neuen Testament. UTB Band 52, Stuttgart 2004, ISBN 3825200523
  • Mark Lidzbarski: Ginza. Der Schatz oder Das große Buch der Mandäer. Vandenhoek & Ruprecht Göttingen (1. Auflage 1925)
  • Hartmut Stegemann: Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus. Herder Spektrum 4128, Freiburg 1994, ISBN 3451041286

Historische Jesus-Darstellungen

Einzeluntersuchungen zum Wirken Jesu

Theologische Jesus-Darstellungen

Jesus-Darstellungen aus jüdischer Sicht

Literatur zum Prozess Jesu

Populäre Jesus-Literatur

Siehe auch

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