Ulrich Schnaft

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Ulrich Schnaft als Offizier der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte

Ulrich Schnaft (* 3. Oktober 1923 in Königsberg (Preußen)[1]; möglicherweise † nach 1961[2]) war ein deutscher Angehöriger der Waffen-SS, der nach dem Zweiten Weltkrieg, sich als Jude ausgebend, Offizier der Israelischen Verteidgungsstreitkräfte und Spion für Ägypten wurde.

Leben

Leben bis 1949

Schnaft wurde kurz nach seiner Geburt in ein Waisenhaus gegeben und von einer deutschen Familie adoptiert. Nach einer Ausbildung als Mechaniker trat er 1941 der Waffen-SS bei und wurde an der Ostfront eingesetzt. Nach einer Verwundung und Behandlung in einem Krankenhaus wurde er nach Jugoslawien und Italien gesandt, wo er 1944 in der Nähe des Pos von der US Army gefangen genommen wurde. Bis 1947 blieb er in einem Kriegsgefangenenlager, ehe er freigelassen wurde, weil ihm keine Kriegsverbrechen nachgewiesen werden konnten.

Nach seiner Freilassung bezog er in München eine Mietswohnung zusammen mit einem Juden, durch den er lernte, dass Überlebende des Holocausts Hilfsleistungen durch Organisationen wie der Joint Distribution Committee erhielten. Wegen der damaligen wirtschaftlichen Situation fiel es für Schnaft schwer, einen Beruf oder Nahrung zu finden, und so fasste er den Beschluss, sich als Holocaustüberlebenden auszugeben. Als Teil von Alija Bet versuchte er illegal unter dem Namen Gavriel Weissman mit einer Gruppe von Juden in das damals britisch beherrschte Völkerbundmandat für Palästina einzuwandern. Das Schiff, das sie dorthin bringen sollte, wurde aber von der Royal Navy abgefangen, sodass er in einem Internierungslager in Britisch-Zypern festgehalten worden ist. Dort soll er Mitglied der Organisation Hagana geworden und an verschiedenen Ausbruchsversuchen beteiligt worden sein.

Mit der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel wurden die meisten im Internierungslager freigelassen, Schnaft verblieb aber wie andere wehrfähige Männer aber noch bis zum Ende des Palästinakriegs 1949 interniert und durfte erst dann nach Israel ausreisen.

Offizier der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte

Schnaft kam 1949 in Haifa an und zog ins Kibbuz Qiryat Anavim. Als Wehrpflichtiger ist er kurz darauf eingezogen worden und beeindruckte seine Vorgesetzten durch seine militärischen Fertigkeiten und Kenntnisse, sodass er kurz darauf das Angebot bekam, Berufsoffizier zu werden. Er nahm das Angebot an und wurde nach einer Weile in den Rang eines Hauptmannes befördert. 1952 nahm seine Laufbahn aber ein abruptes Ende, nachdem Schnaft betrunken seinen Kameraden Fotos von ihm in SS-Uniform gezeigt und gestanden hatte, unter einer falschen Identität zu leben. Weitere Maßnahmen wurden damals aber nicht ergriffen.

Spion für Ägypten

Nach seiner Entlassung zog er nach Aschkelon, wo er sich mit einer Reihe von Gelegenheitsjobs am Leben hielt, und um genügend Geld für eine Ausreise zu sammeln. In der Zeit begann er eine Affäre mit der um 20 Jahren älteren Frau seines Vermieters, die ebenfalls aus Deutschland kam. Als diese aufflog, warf der Vermieter Schnaft hinaus. Die Ehefrau verließ aber den Vermieter und ging mit Schnaft nach Haifa.

Als das Paar vom Wirtschaftswunder in der Bundesrepublik Deutschland hörte, entschieden sie sich 1954 wieder nach Deutschland zurückzukehren. In Genua wurde aber die Einreise verwehrt, da Schnaft einen israelischen Reisepass hatte. Er bat das deutsche Honorarkonsulat in Genua um Hilfe, aber dieses glaubte ihm nicht die Geschichte. Seine Geliebte, die einen deutschen Pass noch hatte, reiste ohne ihn weiter. Sie kehrte später nach Israel zurück, um sich mit ihrem Ehemann zu versöhnen. Beide zogen dann ohne Schnaft nach Deutschland.

Schnaft, der mittellos war und in Genua feststeckte, wandte sich daraufhin an das ägyptische Konsulat in Genua und bot Informationen aus seiner Zeit als Offizier zum Verkauf an. Das Konsulat, das von seiner Geschichte beeindruckt war, lud ihn in die ägyptische Botschaft in Rom ein, wo er sich mit dem Militärattaché traf. Daraufhin wurde er in Kairo tiefer befragt und Schnaft gab den ägyptischen Behörden ausführliche Informationen zu den Strukturen in der israelischen Armee. Das Angebot, als Maulwurf nach Israel zurückzukehren, lehnte Schaft aber ab, weil er nach Deutschland zurück wolle. Schließlich erhielt Schnaft einen gefälschten ägyptischen Reisepass, der ihn als Robert Hayat auswies und einen Laissez-passer enthielt, sodass er 1954 nach Deutschland ausreisen konnte.

Enttarnung

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland beschloss Schnaft, nach Frankfurt zu ziehen, um bei seiner Tante zu leben, die Apothekerin war. Vor seiner Abreise nach Frankfurt machte er seine frühere Geliebte in Israel ausfindig, die nun mit ihrem Mann in Berlin lebte, und kam zu ihrem Haus. Er gestand ihr seine wahre Herkunft und erzählte ihr von seiner Vergangenheit bei der Waffen-SS und auch, dass er ein Spion für Ägypten gewesen sei. Sie weigerte sich aber, ihren Mann für ihn zu verlassen, und er gab ihr daraufhin seine Adresse in Frankfurt für den Fall, dass sie es sich anders überlegte. Der Ehemann, dem die Frau alles erzählte, schrieb an den israelischen Sicherheitsdienst Shin Bet. Der Brief erreichte zusammen mit einem beigefügten Foto den Shin Bet im Oktober 1955. Kurz darauf wurde beschlossen, ihn nach Israel zu locken und vor Gericht zu stellen.

Eine Agentin verführte Schnaft und arrangierte ein Treffen mit einem anderen Agenten, Shmuel Moriya, der irakisch-jüdischer Herkunft war. Dieser traf sich mit ihm und erzählte von seinem eigenen angeblichen Dienst in der Waffen-SS. Moriya gab sich als irakischer Staatsbürger namens Adnan Ben-Adnan aus und lud ihn am nächsten Tag zum Mittagessen ein. Schnaft nahm an. Nach dem Essen holte Moriya zum Bezahlen seine Brieftasche hervor und ließ absichtlich einen gefälschten irakischen Offiziersausweis fallen. Schnaft nahm es auf und erkannte, dass sein Gastgeber ein irakischer Offizier war. Moriya gab es dann zu und Schnaft erzählte seinem Gastgeber, dass er Hauptmann der israelischen Armee gewesen sei. Moriya täuschte Unglauben vor, woraufhin Schnaft ihm Bilder zeigte und erklärte, wie er nach Israel kam. Moriya schlug daraufhin vor, als irakischer Spion in Israel zu arbeiten. Die irakische Regierung wolle lediglich Informationen über die wirtschaftliche Lage in Israel und Schnaft würde also keiner Gefahr ausgesetzt. Schnaft stimmte nach anfänglichem Zögern zu, da er wieder völlig mittellos war und Geld brauchte, und kehrte 1956 mit einem gefälschten israelischen Pass nach Israel zurück. Er wurde bei seiner Ankunft festgenommen.

Schnaft wurde zum Verhör nach Jaffa gebracht, wo er alles gestand. Er wurde vor Gericht gestellt und zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. 1961 wurde er nach fünf Jahren Haft wegen guter Führung auf Bewährung entlassen. Anschließend kehrte er nach Frankfurt zurück. Danach verlieren sich die Spuren und es gibt keine zuverlässigen Informationen mehr. Ob oder wann er gestorben ist, ist nicht bekannt.

Rezeption

Der Fall von Schnaft wird immer wieder als einer der außergewöhnlichsten zitiert, wo ein „Ex-Nazi“ sich nach dem Zweiten Weltkrieg sich als Jude ausgab, um ein neues Leben in Israel zu beginnen. Er gilt stellvertretend für eine Zeit, als der junge Staat Israel händeringend nach Experten suchte, aber angesichts der massenhaften Einwanderung in den Staat keine genauen Hintergrundüberprüfungen durchführen konnte.[3] Lange Zeit hielt Israel Dokumente um diesen Fall geheim. Erst 2023 wurden sie freigegeben.[4]

Literatur

  • Ephraim Kahana: Historical Dictionary of Israeli Intelligence, Scarecrow Press, 2006, S. 246–247

Anmerkungen

  1. (Kahana, 2006) und andere Quellen geben als Geburtsort Königsburg an, aber das ist höchstwahrscheinlich ein Druckfehler.
  2. Laut (Kahana, 2006) ist nicht bekannt, ob Schnaft noch lebt oder nicht.
  3. Stephanie Bird: Nazis disguised as Jews and Israel’s pursuit of justice: the Eichmann trial and the kapo trials in Robert Shaw’s The Man in the Glass Booth and Emanuel Litvinoff’s Falls the Shadow in: Holocaust Studies, 24(4), 2018, S. 466–487.
  4. Israel declassifies file on Nazi who enlisted in the IDF and spied for Egypt. In: timesofisrael.com. 4. Juni 2023, abgerufen am 4. Mai 2024.