Evangelische Waldenserkirche

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Wappen der Waldenser, Glasfenster (Detail) der ältesten Waldenserkirche in Rom
Denkmal zur Erinnerung an die Synode von Chanforan

Die Evangelische Waldenserkirche (Chiesa Evangelica Valdese) ist die größte evangelische Kirche Italiens. Sie ist hervorgegangen aus der mittelalterlichen Reformbewegung der Waldenser. Bei der Synode von Chanforan 1532 beschloss die Bewegung ihren Anschluss an die Reformation schweizerischer Prägung und ist seitdem nach Lehre und Kirchenverfassung eine reformierte Kirche. Lange Zeit verfolgt, konnte sie sich erst nach 1848 in ganz Italien ausbreiten.

Nach längerer Kooperation schlossen sich die Gemeinden der Evangelischen Waldenserkirche und der Methodistischen Kirche Italiens 1975 zu einer Verwaltungsunion zusammen.[1]

Mitgliederzahl

Hof in den Waldensertälern, um 1895

Die Evangelische Waldenserkirche hat heute (2018) nach eigener Darstellung etwa 45.000 Mitglieder, die zu drei unterschiedlichen Gruppen gehören:[2]

  1. Achtzehn Gemeinden mit dem Zentrum Torre Pellice in den Waldensertälern, dem traditionellen Rückzugsgebiet der Waldenser in den Zeiten der Verfolgung: Angrogna, Bobbio Pellice, Luserna San Giovanni, Massello, Perrero-Maniglia, Pinerolo, Pomaretto, Prali, Pramollo, Prarostino, Rodoretto-Fontane, Rora’, San Germano Chisone, San Secondo di Pinerolo, Torre Pellice, Villar Pellice, Villar Perosa, Villasecca;
  2. Diaspora innerhalb Italiens: Kirchen in Turin (älteste Gründung außerhalb der Täler), Florenz, Rom, Palermo, Riesi und anderen italienischen Städten.
  3. Evangelische Waldenserkirche vom Rio de la Plata (Iglesia Evangelica Valdese del Rio de la Plata) mit etwa 15.000 Mitgliedern, mit einem Siedlungskern in Uruguay und Diasporagemeinden in den beiden Staaten Uruguay und Argentinien.

Glaubensbekenntnis

Die Evangelische Waldenserkirche teilt mit den meisten anderen christlichen Konfessionen das Apostolische Glaubensbekenntnis und das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel. In einer Zeit großer Gefahr, als französische und savoyische Truppen in die piemontesischen Täler einfielen, formulierte sie 1655, in Anlehnung an die von Johannes Calvin verfasste Confessio Gallicana, zusätzlich ein eigenes Glaubensbekenntnis (Relation vèritable de ce qui s’est passé dans les persucutions et massacres, faites cette années, aux églises reformées de Piedmont etc.).[3]

Kirchenverfassung

Casa Valdese in Torre Pellice, Via Beckwirth 2: hier tritt die Synode zusammen[4]

Die Kirche hat eine presbyteriale Verfassung; die Ortsgemeinden sind autonom. Grundsätzliche Fragen werden von den Delegierten der Ortsgemeinden auf der jährlichen Synode beraten, die wiederum die Tavola Valdese als Exekutive wählt.

Synode

Die Leitung der Kirche geschieht durch die Synode, welche einmal jährlich im August in Torre Pellice zusammentritt. Die einzelnen Ortsgemeinden entsenden Deputierte zur Synode, der außerdem die Pastoren und die Beauftragten für verschiedene Tätigkeitsfelder der Kirche angehören. Außer den Mitgliedern mit Stimmrecht sind auf der Synode auch Teilnehmer mit beratender Stimme anwesend. Die Synode ist zuständig für die Beziehungen zu anderen Kirchen der Ökumene, für Fragen des Gottesdienstes und für die Ernennung der Professoren der Theologischen Fakultät. Außerdem wählt die Synode die Mitglieder der Tavola Valdese.[5]

Tavola Valdese

Zwischen den Synoden ist die für jeweils sieben Jahre gewählte Tavola Valdese das Leitungsgremium der Kirche. Sie entspricht dem, was in anderen reformierten Kirchen Synodalpräsidium oder Moderamen genannt wird. Die Bezeichnung „Tafel“ ist historisch: In früheren Jahrhunderten saßen die Mitglieder des Gremiums an einem Tisch mitten im Versammlungsraum und wurden auf französisch (damals die Sprache der Waldenser) als les officiers de la Table bezeichnet.[6]

Aktuell (2018) gehören folgende Personen, Laien und Theologen, zur Tavola Valdese:

Wichtige Beschlüsse

Seit 1962 gibt es in der Waldenserkirche die Frauenordination. Dieser Schritt war zuvor vierzehn Jahre diskutiert worden.[7]

2010 beschloss die Synode, die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zu ermöglichen. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur NEV erläuterte Maria Bonafede, Moderatorin der Tavola Valdese: „Es geht nicht darum, ob wir Homosexuelle in unserer Kirche willkommen heißen. Es geht um den Segen für eine Partnerschaft zweier Menschen, die öffentlich und vor ihrer Glaubensgemeinschaft ihre gemeinsame Lebensreise bezeugen möchten. Dazu müssen wir verstehen, was Segen in der Bibel und in der Kirche bedeutet. Segen heißt nicht Ehe, denn die Ehe ist für uns Protestanten kein Sakrament, sondern eine zivilrechtliche Angelegenheit.“[8]

Einrichtungen

Begegnungszentrum Agape in Prali

Die Theologische Fakultät der Waldenser (Facoltà Valdese di Teologia) ist die älteste Einrichtung zum Studium der Evangelischen Theologie in Italien. Gegründet wurde sie 1855 in Torre Pellice. Von 1860 bis 1921 war sie im Palazzo Salviati in Florenz beheimatet. Seit 1921 befindet sich die Theologische Fakultät in Rom, in der Nachbarschaft der Waldenserkirche an der Piazza Cavour (Via Pietro Cossa).[9]

In Torre Pellice besteht ein Gymnasium der Waldenser, das 1831 gegründete und 1835 erbaute Liceo Valdese. Es war eine Stiftung des anglikanischen Geistlichen W. S. Gilly nach dem Vorbild eines englischen College. Mit seiner Gründung wollte Gilly etwas gegen die Diskriminierung der Waldenser durch das damalige italienische Schulsystem tun.[10]

Nach dem Zweiten Weltkrieg erbaute eine Gruppe Freiwilliger unter Leitung des Pfarrers Tullio Vinay in Prali nahe Turin das Begegnungszentrum Agape, ein Ort der Völkerverständigung sowie der politischen und christlichen Jugendbildung.

Die Waldenserkirche betreibt in ganz Italien Seniorenheime und Einrichtungen für Kinder sowie für Menschen mit Behinderungen, Gästehäuser und Kulturzentren. Sie unterhält insbesondere diakonische Einrichtungen in den sizilianischen Städten Riesi und Palermo. Das aus Spenden finanzierte Centro Diaconale «La Noce» in Palermo ist eine Schule mit zusätzlichen Fördereinrichtungen für Kinder sowie einem Gästehaus.[11] Servizio Cristiano in Riesi bietet ebenfalls Förderangebote für Kinder, eine Schule und ein Freizeitheim.[12]

Es gibt außerdem einen eigenen Verlag (Claudiana) und die Wochenzeitung Riforma.

Ökumene

Die Waldenserkirche ist Mitglied der Konföderation der Evangelischen Kirchen Italiens, des Ökumenischen Rates der Kirchen, der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa und der Konferenz Europäischer Kirchen.[13] Im Jahr 1990 wurde mit den italienischen Baptisten eine gegenseitige Anerkennung beschlossen.[14]

Stellung gegenüber dem italienischen Staat

Mit der italienischen Verfassung von 1948 wurden alle Religionen (neu: „confessioni“) vor dem Gesetz gleichgestellt und die freie Religionsausübung garantiert. Das 1929 geschlossene Konkordat zwischen Staat und Vatikan wurde darin jedoch bestätigt und die katholische Kirche blieb bis 1984 Staatsreligion. Erst nach der Revision des Konkordates wurde zwischen dem italienischen Staat und der Tavola der Waldenser ein Vertrag (Intesa) abgeschlossen, der erlaubte, auch staatliche Leistungen zu beanspruchen.[15]

Von der Einführung der italienischen Mandatssteuer hat die Kirche finanziell profitiert: Mehr als 400.000 Italiener entscheiden sich regelmäßig, einen Teil ihrer Steuern für die Unterstützung der Kirche zu bestimmen, die damit allerdings nur soziale und kulturelle Projekte unterstützt, nicht die eigene kirchliche Arbeit.[16]

Kontakte zur römisch-katholischen Kirche

Die Beziehungen zur römisch-katholischen Kirche sind durch die Hypothek jahrhundertelanger Verfolgung durch die Inquisition belastet. Andererseits profitierte die Waldenserkirche bei ihrer Ausbreitung über ganz Italien im 19. Jahrhundert von der antiklerikalen und antikatholischen Stimmung in Teilen der italienischen Bevölkerung.[17]

Im Januar 2005 wurde in der norditalienischen Stadt Pinerolo bei Turin ein Denkmal zur Erinnerung an die Verfolgung der Waldenser durch die katholische Inquisition enthüllt. Es ist das erste ökumenische Monument in Italien überhaupt und wurde von der Waldenser-Kirche und dem katholischen Bischof von Pinerolo in Auftrag gegeben. Die vom österreichischen Bildhauer Gerald Brandstötter in Bronze gestaltete Rundplastik hat die Form einer großen Flamme und soll die Verbrennung der Waldenser durch die Inquisition darstellen. Hoffnung und Versöhnung symbolisiert eine Mädchengestalt mit erhobenen Händen und mit Blick zum Himmel.

Am 22. Juni 2015 besuchte mit Papst Franziskus in Turin erstmals ein Papst eine waldensische Kirche. Franziskus bat dabei „um Vergebung für all jene unchristlichen, ja unmenschlichen Handlungen und Einstellungen, die wir in der Geschichte gegen euch gerichtet haben“.[18] Die im darauffolgenden August in Torre Pellice tagende Synode nahm die Worte des Papstes mit „tiefem Respekt und innerer Bewegung“ entgegen, erklärte aber, nicht stellvertretend für die Märtyrer der Vergangenheit vergeben zu können. Man sei bereit, gemeinsam mit der römisch-katholischen Kirche ein neues Kapitel der Geschichte zu beginnen.[19] Am 5. März 2016 empfing Papst Franziskus erstmals eine offizielle Delegation von Waldensern und Methodisten im Vatikan. Themen waren das Zeugnis der Christen in einer säkularen Welt und die Kooperation in sozialen Fragen, insbesondere angesichts der Tragödie der Migration, die Europa und die Kirchen herausfordere.[20]

Veränderungen durch Migration

Viele Migranten haben sich in Italien den Waldensergemeinden angeschlossen. Man schätzt, dass 200.000 evangelische Immigranten in Italien leben; die meisten stammen aus Afrika oder Fernost. Die Evangelische Waldenserkirche sieht ihre Aufgabe auch darin, den neuen Mitgliedern bei der Integration in Italien zu helfen.[13]

Einzelnachweise

  1. Integrazione valdesi e metodisti. In: Chiesa Evangelica Valdese. Abgerufen am 16. November 2018 (italienisch).
  2. La chiesa valdese oggi. In: Chiesa Evangelica Valdese. Abgerufen am 16. November 2018 (italienisch).
  3. Confession of Faith. In: Chiesa Evangelica Valdese. Abgerufen am 16. November 2018 (englisch).
  4. Casa Valdese. In: in Val Pellice. Abgerufen am 16. November 2018 (italienisch).
  5. Sinodo. In: Chiesa Evangelica Valdese. Abgerufen am 16. November 2018 (italienisch).
  6. a b Tavola valdese. In: Chiesa Evangelica Valdese. Abgerufen am 16. November 2018.
  7. The Moderator of the Board. A meeting with Maria Bonafede, the first woman elected to the leadership of the Waldenses. In: L'Osservatore Romano. 2. April 2013, abgerufen am 16. November 2018 (englisch).
  8. Luigi Sandri: Italian Protestant denominations approve same-sex blessings. In: Canadian Mennonite. 31. August 2010, abgerufen am 15. November 2018.
  9. La facoltà. In: Facoltà Valdese di Teologia. Abgerufen am 15. November 2018.
  10. Notizie storiche. In: Collegio Valdese. Abgerufen am 16. November 2018 (italienisch).
  11. Il Centro Diaconale La Noce. In: http://www.lanoce.org/#. Abgerufen am 16. November 2018 (italienisch).
  12. Servizio Cristiano, istituto valdese. Abgerufen am 16. November 2018 (italienisch).
  13. a b Evangelische Waldenserkircheauf der Website des ÖRK
  14. Rainer Janssen: Waldenser. In: reformiert online. Abgerufen am 16. November 2018.
  15. Fitschen: Protestantische Minderheitenkirchen in Europa im 19. und 20. Jahrhundert. S. 78 ff.
  16. Gemeinsame Projektförderung der Waldenser mit dem GAW. Gustav-Adolf-Werk, 11. Januar 2013, abgerufen am 5. Mai 2015.
  17. Relations with the Roman Catholic Church. In: Chiesa Evangelica Valdese. Abgerufen am 16. November 2018 (englisch).
  18. Papst bittet Waldenser um Verzeihung: Historische Entschuldigung, Meldung auf Domradio vom 22. Juni 2015, abgerufen am 22. Juni 2015
  19. Waldenser nehmen Vergebungsbitte des Papstes nicht an . "Tiefer Respekt" aber "verzeihen nicht möglich". In: Evangelischer Bund. 27. August 2015, abgerufen am 14. November 2018.
  20. NEV - News bulletin of the Federation of Protestant Churches in Italy--March 2016. In: Global Ministries. 18. April 2016, abgerufen am 15. November 2018.