Volksgesetzgebung in Bayern

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Die Volksgesetzgebung ist in Bayern eine Ergänzung der grundsätzlichen repräsentativen Demokratie um Elemente direkter Demokratie zur Gesetzgebung auf Landesebene. Sie wird durch die Instrumente Volksbegehren und Volksentscheid ausgeübt.

Mithilfe eines Volksbegehrens kann vom Volk eine Gesetzesvorlage in den Bayerischen Landtag eingebracht werden (Gesetzesinitiative). Dazu muss ein Zehntel der stimmberechtigten Bürger das Begehren unterstützen. Lehnt der Landtag den Gesetzesentwurf ab, hat ein Volksentscheid zu erfolgen. Weiter bedürfen vom Landtag beschlossenen Verfassungsänderungen der Zustimmung durch das Volk. Die Volksgesetzgebung stellt somit ein Korrektiv zur Gesetzgebung durch das Parlament dar.[1]

Neben der Volksgesetzgebung durch Volksbegehren und Volksentscheide umfasst die direkte Demokratie in Bayern als weitere Mittel insbesondere Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene. Diese Verfahren wurden dabei selbst auf dem Weg der Volksgesetzgebung eingeführt. Zudem kann der Landtag durch einen Volksentscheid abberufen werden.

Gesetzliche Grundlagen

Grundlage für Volksbegehren und Volksentscheide sind Art. 71 ff. der Verfassung des Freistaates Bayern (BV). Art. 72 Abs. 1 BV enthält dazu den Grundsatz: "Die Gesetze werden vom Landtag oder vom Volk (Volksentscheid) beschlossen." Einzelheiten werden durch das Landeswahlgesetz, Art. 62 ff. LWG, sowie durch die Landeswahlordnung (LWO) geregelt.

Ausgeschlossen sind aber Volksentscheide über den Staatshaushalt (Art. 73 BV). Auch die Zustimmung zu Staatsverträgen ist dem Landtag vorbehalten (Art. 72 Abs. 2 BV).

Volksbegehren

Gemäß Art. 71 der Bayerischen Verfassung kann das Volk durch ein Volksbegehren eine Gesetzesvorlage in den Landtag einbringen. Meist ist dies die Vorstufe zu einem Volksentscheid. Nimmt der Landtag eine so eingereichte Gesetzesvorlage nicht an, wird vom Volk über das Gesetz abgestimmt.

Antrag

Aufbau des dreistufigen Volksgesetzgebungsverfahrens im Land Bayern

Die Zulassung eines Volksbegehrens ist beim bayerischen Innenministerium zu beantragen. Der Antrag muss von 25.000 stimmberechtigten Bürgern unterschrieben sein und einen Gesetzesentwurf mit Begründung umfassen, welcher Gegenstand des Volksbegehrens sein soll. Die Unterschriften können frei gesammelt werden und es besteht keine Frist dafür. Von den Gemeinden muss die Stimmberechtigung bestätigt werden, dies darf maximal zwei Jahre zurückliegen.

Das Innenministerium prüft das Volksbegehren auf seine Zulässigkeit. Erachtet das Innenministerium die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens für nicht gegeben, entscheidet über die Zulassung der Bayerische Verfassungsgerichtshof.

Eintragung

Werbung für das später gescheiterte Volksbegehren "Die bessere Schulreform"

Wurde das Volksbegehren zugelassen, müssen sich innerhalb einer Eintragungsfrist von 14 Tagen mindestens 10 % der Stimmberechtigten in Eintragungslisten, die in Amtsräumen ausliegen, eintragen.

Hierfür gibt das Innenministerium den Zeitraum für die Eintragung bekannt. Die Bekanntmachung hat bis spätestens sechs Wochen nach Einreichung des vollständigen Antrags zu erfolgen oder spätestens vier Wochen nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs. Die Eintragungsfrist beginnt zwischen acht und zwölf Wochen nach der Bekanntgabe.

Das Ergebnis der Eintragung wird durch den Landeswahlausschuss festgestellt. Haben sich mehr als 10 % der Stimmberechtigten eingetragen, liegt ein rechtsgültiges Volksbegehren vor.

Behandlung im Landtag

Zu einem rechtsgültigen Volksbegehren muss die Bayerische Staatsregierung innerhalb von vier Wochen ihre Stellungnahme abgeben und das Begehren dem Landtag unterbreiten. Spätestens drei Monate danach muss der Landtag das Volksbegehren behandeln.

Der Landtag kann auf dreierlei Weise mit dem Volksbegehren umgehen:

  1. Er nimmt die Gesetzesvorlage des Volksbegehren unverändert an, damit wird diese Gesetz.
  2. Er lehnt das Volksbegehren ab, so findet innerhalb von drei Monaten ein Volksentscheid über den Gesetzesentwurf statt. Der Landtag kann dabei einen eigenen Gesetzesentwurf als Alternative dem Volk zur Abstimmung vorlegen.
  3. Der Landtag bestreitet die Rechtsgültigkeit des Volksbegehrens. Gegen diesen Beschluss können die Unterzeichner den Bayerischen Verfassungsgerichtshof anrufen.

Bisherige Volksbegehren

Seit 1946 wurden in Bayern bisher 19 Volksbegehren zugelassen, von denen acht die notwendige Eintragung von mindestens 10 % der Wahlberechtigten erzielen konnten.[2] Vier dieser Vorschläge wurden im weiteren Verfahren – zumindest in ihrem wesentlichen Inhalt – als Gesetz angenommen.

Das Volksbegehren zur Rundfunkfreiheit von 1972 war dabei das erste, welches in Folge auch weitgehend unverändert Gesetzeskraft erlange. Dabei bestritt der Landtag zunächst die Rechtsgültigkeit des Volksbegehrens. Es kam allerdings zu keinem Verfahren vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof in dieser Frage, da schließlich auch die CSU-Mehrheit im Landtag einem Kompromissvorschlag zustimmte, welcher die wesentlichen Forderungen der Initiatoren des Volksbegehrens erfüllte. Somit beschloss der Landtag eine Verfassungsänderung, welche weitgehend dem Volksbegehren entsprach. Dieser Verfassungsänderung stimmte später das Volk im Volksentscheid zu.[3]

Von den übrigen rechtsgültigen Volksbegehren, zu denen der Landtag außer beim Volksbegehren zum Nichtraucherschutz von 2009 jeweils einen eigenen Gesetzesentwurf vorlegte, waren bisher drei auch im Volksentscheid erfolgreich: Neben dem Nichtraucherschutz waren dies das Volksbegehren zur Einführung eines kommunalen Bürgerentscheids im Jahr 1995 und das Volksbegehren von 1997 zur Abschaffung des Bayerischen Senats.

Nr. Kennwort Eintragungsfrist Eintragungen rechtsgültig? Landtag Volksentscheid Gesetz?
Nr. Datum Ja-Stimmen
1 Christliche Gemeinschaftsschule 02.01.1967 – 30.01.1967 9,3 % nein nein
2 Christliche Gemeinschaftsschule 03.10.1967 – 30.10.1967 12,9 % ja Ablehnung 2 7. Juli 1968 13,5 % nein
3 CSU-Christliche Volksschule 16.10.1967 – 13.11.1967 17,2 % ja Ablehnung 2 7. Juli 1968 8,5 % nein
4 Demokratische Gebietsreform 10.11.1971 – 23.11.1971 3,7 % nein nein
5 Rundfunkfreiheit 27.06.1972 – 10.07.1972 13,9 % ja Rechtsgültigkeit
bestritten
- 1. Juli 1973 [A 1] ja, durch
Kompromiss
6 Lernmittelfreiheit 13.10.1977 – 26.10.1977 6,4 % nein nein
7 Sport-, Behinderten-, Naturschutz-
Organisationen in den Senat
22.11.1977 – 05.12.1977 5,9 % nein nein
8 Das bessere Müllkonzept 15.06.1990 – 28.06.1990 12,8 % ja Ablehnung 7 17. Februar 1991 43,5 % nein
9 Mehr Demokratie in Bayern:
Bürgerentscheide in Gemeinden und Kreisen
06.02.1995 – 19.02.1995 13,7 % ja Ablehnung 8 1. Oktober 1995 57,8 % ja
10 Schlanker Staat ohne Senat 10.06.1997 – 23.06.1997 10,5 % ja Ablehnung 11 8. Februar 1998 62,2 % ja
11 Gentechnikfrei aus Bayern 24.04.1998 – 07.05.1998 4,9 % nein nein
12 Die bessere Schulreform 15.02.2000 – 28.02.2000 5,7 % nein nein
13 Macht braucht Kontrolle: Für ein unabhängiges
Verfassungsgericht in Bayern
09.05.2000 – 22.05.2000 3,0 % nein nein
14 Menschenwürde ja, Menschenklonen niemals! 22.05.2003 – 04.06.2003 2,3 % nein nein
15 Aus Liebe zum Wald 16.11.2004 – 29.11.2004 9,3 % nein nein
16 Volksbegehren G 9 14.06.2005 – 27.06.2005 2,4 % nein nein
17 Für Gesundheitsvorsorge beim Mobilfunk 05.07.2005 – 08.07.2005 4,3 % nein nein
18 Für echten Nichtraucherschutz! 19.11.2009 – 02.12.2009 13,9 % ja Ablehnung 14 4. Juli 2010 61,0 % ja
19 Nein zu Studiengebühren in Bayern 17.01.2013 – 30.01.2013 14,3 % ja
  1. Der Volksentscheid Nr. 4 stimmte inhaltlich mit dem Volksbegehren weitgehend überein, allerdings betraf dieser die vom Landtag beschlossene Verfassungsänderung des Kompromissvorschlags. 87,1 % der Abstimmenden stimmten zu.

Volksentscheid

In einem Volksentscheid stimmen die stimmberechtigten bayerischen Staatsbürger über einen Gesetzesentwurf ab. Dazu kommt es entweder aufgrund eines Volksbegehrens oder zur Bestätigung einer durch den Landtag beschlossenen Verfassungsänderung.

Volksentscheid aufgrund eines Volksbegehrens

Stimmt der Landtag dem Gesetzesentwurf eines rechtsgültigen Volksbegehrens nicht zu, findet darüber innerhalb von drei Monaten ein Volksentscheid statt.

Der Landtag kann dabei einen eigenen Gegenentwurf zur Abstimmung vorlegen. Mehrere Alternativen zum gleichen Thema werden auf dem gleichen Stimmzettel aufgeführt.

Zu jedem Gesetzesentwurf kann mit "Ja" oder "Nein" gestimmt werden. Mit der Stimmabgabe wird ausgedrückt, ob man diesen Entwurf dem geltenden Recht vorzieht oder nicht. Stehen mehrere Alternativen zur Abstimmung, wird zusätzlich eine Stichfrage gestellt.

Ein Gesetzesentwurf ist angenommen, wenn er mehr gültige Ja-Stimmen als Nein-Stimmen erhält (einfache Mehrheit). Umfasst der Entwurf eine Verfassungsänderung muss zusätzlich ein Zustimmungsquorum erfüllt werden. Dazu muss die Zahl der Ja-Stimmen mindestens 25 % aller Stimmberechtigten umfassen.

Erhalten mehrere Alternativvorschläge auf diese Weise die erforderliche Zustimmung, ist der Gesetzesvorschlag angenommen, welcher die einfache Mehrheit in der Stichfrage erhält.

Volksentscheid zu Verfassungsänderungen durch den Landtag (Art. 75 BV)

Alle Änderungen der Bayerischen Verfassung, welche vom Landtag mit 2/3 Mehrheit beschlossen wurden, müssen zusätzlich dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Eine beschlossene Verfassungsänderung ist vom Volk angenommen, wenn sie mehr Ja- als Nein-Stimmen erhält (einfache Mehrheit). Ein Zustimmungsquorum entfällt in diesen Fällen.

Bisherige Volksentscheide

Insgesamt fanden in Bayern seit 1946 14 Volksentscheide statt, dies schließt die Abstimmung über die Verfassung des Freistaates Bayern mit ein. Von den übrigen waren neun Entscheide aufgrund Art. 75 BV notwendig, da eine vom Landtag beschlossene Verfassungsänderung durch das Volk bestätigt werden musste; das Volk stimmte jeweils zu. Fünf Abstimmungen lagen Volksbegehren zu Grunde, welchen der Landtag nicht zustimmte. Der Volksentscheid vom 7. Juli 1968 war dabei eine Kombination aus beiden. In drei Fällen wurde der Gesetzesvorschlag des Volksbegehrens angenommen (kommunaler Bürgerentscheid, Abschaffung des Senats und Nichtraucherschutz), ansonsten der Vorschlag des Landtags (Schulartikel bzw. Abfallgesetz).[4]

Volksentscheide, welche durch die Volksgesetzgebung initiiert wurden, sind in der Tabelle hervorgehoben.[5]

Nr. Kennwort Datum Wahlbeteiligung Gesetzentwurf von Ja-Stimmen Nein-Stimmen
1 Bayerische Verfassung 1. Dezember 1946 75,7 % Verfassungsgebende Landesversammlung 70,6 % 29,4 %
2 Schulartikel 7. Juli 1968 40,7 % Landtag (Verfassungsänderung) 76,3 % 3,3 %
Volksbegehren „CSU-Christliche Volksschule“ (Nr. 3) 8,5 % 15,4 %
Volksbegehren „Christliche Gemeinschaftsschule“ (Nr. 2) 13,5 % 13,7 %
3 Herabsetzung der Altersgrenze für das aktive und passive Wahlrecht 24. Mai 1970 38,3 % Landtag (Verfassungsänderung) 54,8 % 45,2 %
4 Rundfunkfreiheit (Art. 111a BV) 1. Juli 1973 23,3 % Landtag (Verfassungsänderung) 87,1 % 12,9 %
5 Landtagswahlrecht (Stimmkreiseinteilung, Fünf-Prozent-Klausel) 1. Juli 1973 23,3 % Landtag (Verfassungsänderung) 84,8 % 15,2 %
6 Umweltschutz 17. Juni 1984 46,2 % Landtag (Verfassungsänderung) 94,0 % 6,0 %
7 Abfallrecht 17. Februar 1991 43,8 % Landtag 51,0 % 43,1 %
Volksbegehren „Das bessere Müllkonzept“ (Nr. 8) 43,5 % 49,2 %
8 Kommunaler Bürgerentscheid 1. Oktober 1995 36,8 % Landtag 38,7 % 3,4 %
Volksbegehren „Mehr Demokratie in Bayern“ (Nr. 9) 57,8 %
9 Verfassungsreformgesetz - Weiterentwicklung im Bereich der Grundrechte und Staatsziele 8. Februar 1998 39,9 % Landtag (Verfassungsänderung) 75,0 % 25,0 %
10 Verfassungsreformgesetz - Reform von Landtag und Staatsregierung 8. Februar 1998 39,9 % Landtag (Verfassungsänderung) 73,9 % 26,1 %
11 Bayerischer Senat 8. Februar 1998 39,9 % Landtag 23,6 % 7,1 %
Volksbegehren „Schlanker Staat ohne Senat“ (Nr. 10) 69,2 %
12 Zusammentritt des Landtags nach der Wahl, Parlamentsinformation und Verankerung eines strikten Konnexitätsprinzips 21. September 2003 56,9 % Landtag (Verfassungsänderung) 88,3 % 11,7 %
13 Weiterentwicklung der Wahlgrundsätze, der Grundrechte und der Bestimmungen über das Gemeinschaftsleben 21. September 2003 56,9 % Landtag (Verfassungsänderung) 85,1 % 14,9 %
14 Nichtraucherschutz 4. Juli 2010 37,7 % Volksbegehren „Für echten Nichtraucherschutz“ (Nr. 18) 61,0 % 39,0 %

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bayerischer Landtag: Gesetzgebung (abgerufen am 25. November 2009)
  2. Übersicht des Bayerischen Statistischen Landesamtes über Volksbegehren
  3. Sebastian Lindmeyr: Die Novellierung des Bayerischen Rundfunkgesetzes 1972 und seine Folgen. In Markus Behmer, Bettina Hasselbring (Hrsg.): Radiotag, Fernsehjahre. Interdisziplinäre Studien zur Rundfunkgeschichte nach 1945. LIT Verlag, Münster, 2006. Online bei GoogleBooks
  4. Übersicht des Bayerischen Statistischen Landesamtes über die Ergebnisse aller Volksentscheide seit 1946
  5. Historisches Lexikon Bayerns: Übersicht über Volksentscheide und Verfassungsreferenden 1924-2005 (abgerufen am 10. November 2010)