„Tiguriner“ – Versionsunterschied

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58 v. Chr. nahmen sie an dem Zug der Helvetier in das südliche Gallien teil, wurden von den Truppen [[Gaius Iulius Caesar|Caesars]] noch vor der [[Schlacht bei Bibracte]] an der [[Saône]] geschlagen und zur Rückkehr in das Gebiet der heutigen Schweiz gezwungen.<ref>[[Appian]], ''Römische Geschichte'' 1,8: Die Truppen sollen von Cäsars Legaten T. Attius Labienus befehligt worden sein; Caesar sich aber den Sieg über die Tiguriner zugeschrieben haben, um sich als 'Rächer' der römischen Niederlage von 107 v. Chr. darzustellen.</ref>
58 v. Chr. nahmen sie an dem Zug der Helvetier in das südliche Gallien teil, wurden von den Truppen [[Gaius Iulius Caesar|Caesars]] noch vor der [[Schlacht bei Bibracte]] an der [[Saône]] geschlagen und zur Rückkehr in das Gebiet der heutigen Schweiz gezwungen.<ref>[[Appian]], ''Römische Geschichte'' 1,8: Die Truppen sollen von Cäsars Legaten T. Attius Labienus befehligt worden sein; Caesar sich aber den Sieg über die Tiguriner zugeschrieben haben, um sich als 'Rächer' der römischen Niederlage von 107 v. Chr. darzustellen.</ref>


== Tiguri(ni) & Turicum für Zürich ==
== ''Tigurum'' als neulateinischer Name der Stadt Zürich ==
Ab dem frühen 16. Jahrhundert brachten [[Renaissance-Humanismus|humanistische]] Gelehrte die Tiguriner, welche heldenhaft die Römer besiegt hatten, in Verbindung mit dem Namen der Stadt [[Zürich]] (in römischer Zeit: [[Turicum]]). In [[neulatein]]ischen Texten (z.&nbsp;B. auf Münzen<ref>Eines der frühesten Beispiele ist MONETA NOVA REIPVBLICAE TIGVRINAE auf einer [https://ikmk-win.ch/object?lang=de&id=ID2929 2-Taler-Münze von 1651]. Im 16. Jahrhundert war noch das «echt antike» Adjektiv ''Turicensis'' verwendet worden (oft ''Thuricensis'' geschrieben), z.&nbsp;B. MON(eta) NO(va) TVRICENSIS CIVIT(atis) IMPER(ialis) («neue Münze der Reichsstadt Zürich») auf einem [https://ikmk-win.ch/object?lang=de&id=ID1682 Taler von 1560].</ref>, siehe Abbildung) wurde Zürich ''Tigurum'' genannt und als Adjektiv («Zürcher») wurde ''Tigurinus'' üblich.<ref>Suche nach der Angabe des Druckortes [https://www.e-rara.ch/zuz/search?operation=searchRetrieve&query=%28bib.originPlace%3DTiguri%29+sortBy+dc.date%2Fasc ''Tiguri''] («in Zürich», lateinische [[Lokativ]]-Form zu ''Tigurum'') und [https://www.e-rara.ch/search/quick?query=Tigurinus&s=date ''Tigurinus''] in ''e-rara.ch''. Die frühesten gefundenen Beispiele stammen aus den Jahren [https://www.e-rara.ch/zuz/content/zoom/9187116 1523] bzw. [https://www.e-rara.ch/zuz/content/zoom/18878000 1518].</ref> Die lateinische Übersetzung für das Zürcher Territorium, den «Zürichgow», lautete nun ''pagus Tigurinus'' (wörtlich: «das Tiguriner Stammesgebiet»).<ref>Zum Beispiel auf einer Karte, die 1660 in Paris gedruckt wurde: ''Tigurini'' (‹Tiguriner›) ''sive'' (‹oder›) ''Tigurinus pagus in Helvetiis – le Zurichgow en Suisse…'' (siehe [[:Datei:Les Cantons de Zurich, Schaffhouse et Appenzel... - par le Sr Sanson d'Abbeville - btv1b53042925m.jpg|Abbildung]] in Wikimedia Commons).</ref>
Im 16. Jahrhundert begannen Historiker und Kartografen das Gebiet um [[Zürich]] «pagus Tigurinus» als Heimat des Divico zu heroisieren, abgeleitet von der Namensähnlichkeit des römischen [[Vicus]] ''[[Turicum]]'' (Zürich) mit ''Tigurini'' oder Tiguri<ref>so als übliche Ortsangabe bei Drucken des [[Christoph Froschauer]]</ref>. Auch wurde ''Tigurinus'' als [[latein]]ische Übersetzung von "Zürcher" verwendet, beispielsweise wird der Zürcher Theologe [[Leo Jud]] lateinisch ''Leo Judæ theologus tigurinus'' genannt.

Die Inschrift auf dem [[Grabstein des Lucius Aelius Urbicus]] – entdeckt im Jahr 1747 auf dem [[Lindenhof (Zürcher Hügelzug)|Lindenhof]] – bewies, dass der römische Ortsname ''Turicum'' gelautet hatte und das Adjektiv ''Turicensis''. In der Folge wurden ''Tigurum'' und ''Tigurinus'' seltener gebraucht; gegen Ende des 18. Jahrhunderts kamen diese humanistischen Neuschöpfungen vollends aus der Mode.<ref>In Münzlegenden wurde um 1770 von ''Tigurinae'' zurück zu ''Turicensis'' gewechselt, z.&nbsp;B. 1767 noch [https://ikmk-win.ch/object?lang=de&id=ID554 DUCATUS REIPUBLICAE TIGURINAE]; 1773 dann [https://ikmk-win.ch/object?lang=de&id=ID1683 MONETA REIPUBLICAE TURICENSIS]. Eines der spätesten Beispiele für Bücher mit Angabe des Druckortes ''Tiguri'' («in Zürich») stammt aus dem Jahr 1796: https://doi.org/10.3931/e-rara-86762.</ref>


== Literatur ==
== Literatur ==

Version vom 16. Mai 2024, 22:03 Uhr

Die Tiguriner (lateinisch Tigurini, altgriechisch Τιγουρίνοι) waren einer der vier Gaue (pagi) des keltischen Helvetier-Stammes.

Die Helvetier zwingen bei Agen im Jahr 107 v. Chr. die Römer unter dem Joch hindurch. Historiengemälde des 19. Jahrhunderts von Charles Gleyre.
Keltische und Rätische Besiedlung der heutigen Schweiz im 1. Jahrhundert v. Chr.

Geschichte

Das Siedlungsgebiet der Tiguriner lag im Gebiet um Aventicum in der Westschweiz. Tigurini entstammt der gallischen Sprache und bedeutet «Herren» (irisch tigern) respektive «Herr» (kymrisch teyrn).

Historisch in Erscheinung treten die Tiguriner und die Tougener mit den Kimbern, mit denen sie im Rahmen der Kimbernkriege das südliche Gallien verwüsteten. 107 v. Chr. gelangten sie in das Gebiet der Volker im heutigen Südfrankreich und schlugen unter der Führung von Divico im Gebiet der Nitiobrogen[1] das römische Heer des Konsuls Lucius Cassius Longinus und dessen Legaten Lucius Calpurnius Piso Caesoninus. Lucius Cassius wurde zusammen mit einem Grossteil der Truppen von den Kimbern getötet, sie nahmen Geiseln und zwangen die Gefangenen unter das Joch, wie Caesar überliefert. In der erhaltenen Epitome von Livius’ Geschichtswerk Ab urbe condita wird diese Episode jedoch nicht erwähnt.[2] Der genaue Ort der Schlacht ist nicht überliefert, er dürfte aber an der Garonne bei Agen gelegen sein, weshalb gemeinhin von der Schlacht bei Agen die Rede ist. Bei Orange schlugen die Tiguriner wieder gemeinsam mit den anderen Stämmen 105 v. Chr. ein weiteres römisches Heer.

Um 102/101 v. Chr. folgten die Tiguriner den Kimbern auf ihrem Zug über die Alpen, drangen aber nicht in Italien ein, sondern verblieben beim Brennerpass.[3] Nachdem die Kimbern 101 v. Chr. in der Poebene bei Vercellae von den Truppen des Gaius Marius und des Quintus Lutatius Catulus besiegt wurden, kehrten die Tiguriner in ihre Heimat zurück. Die Tiguriner konnten der Vernichtung entgehen und zogen mit ihrer Beute wieder nach Norden. Die Tiguriner beziehungsweise die Helvetier blieben danach im kollektiven Gedächtnis Roms als starker und bedrohlicher keltischer Stamm erhalten.[4]

58 v. Chr. nahmen sie an dem Zug der Helvetier in das südliche Gallien teil, wurden von den Truppen Caesars noch vor der Schlacht bei Bibracte an der Saône geschlagen und zur Rückkehr in das Gebiet der heutigen Schweiz gezwungen.[5]

Tigurum als neulateinischer Name der Stadt Zürich

Ab dem frühen 16. Jahrhundert brachten humanistische Gelehrte die Tiguriner, welche heldenhaft die Römer besiegt hatten, in Verbindung mit dem Namen der Stadt Zürich (in römischer Zeit: Turicum). In neulateinischen Texten (z. B. auf Münzen[6], siehe Abbildung) wurde Zürich Tigurum genannt und als Adjektiv («Zürcher») wurde Tigurinus üblich.[7] Die lateinische Übersetzung für das Zürcher Territorium, den «Zürichgow», lautete nun pagus Tigurinus (wörtlich: «das Tiguriner Stammesgebiet»).[8]

Die Inschrift auf dem Grabstein des Lucius Aelius Urbicus – entdeckt im Jahr 1747 auf dem Lindenhof – bewies, dass der römische Ortsname Turicum gelautet hatte und das Adjektiv Turicensis. In der Folge wurden Tigurum und Tigurinus seltener gebraucht; gegen Ende des 18. Jahrhunderts kamen diese humanistischen Neuschöpfungen vollends aus der Mode.[9]

Literatur

Anmerkungen

  1. Titus Livius, Periochae 65.
  2. Dort heißt es nur: „L. Cassius cos. a Tigurinis Gallis, pago Helvetiorum, qui a civitate secesserant, in finibus Nitiobrogum cum exercitu caesus est. Milites, qui ex ea caede superaverant, obsidibus datis et dimidia rerum omnium parte, ut incolumes dimitterentur, cum hostibus pacti sunt.“ Livius, Periochae 61–65, LXV.
  3. Florus, Epitoma de Tito Livo 1,38,18.
  4. Nach Furger-Gunti 1984, S. 75–77.
  5. Appian, Römische Geschichte 1,8: Die Truppen sollen von Cäsars Legaten T. Attius Labienus befehligt worden sein; Caesar sich aber den Sieg über die Tiguriner zugeschrieben haben, um sich als 'Rächer' der römischen Niederlage von 107 v. Chr. darzustellen.
  6. Eines der frühesten Beispiele ist MONETA NOVA REIPVBLICAE TIGVRINAE auf einer 2-Taler-Münze von 1651. Im 16. Jahrhundert war noch das «echt antike» Adjektiv Turicensis verwendet worden (oft Thuricensis geschrieben), z. B. MON(eta) NO(va) TVRICENSIS CIVIT(atis) IMPER(ialis) («neue Münze der Reichsstadt Zürich») auf einem Taler von 1560.
  7. Suche nach der Angabe des Druckortes Tiguri («in Zürich», lateinische Lokativ-Form zu Tigurum) und Tigurinus in e-rara.ch. Die frühesten gefundenen Beispiele stammen aus den Jahren 1523 bzw. 1518.
  8. Zum Beispiel auf einer Karte, die 1660 in Paris gedruckt wurde: Tigurini (‹Tiguriner›) sive (‹oder›) Tigurinus pagus in Helvetiis – le Zurichgow en Suisse… (siehe Abbildung in Wikimedia Commons).
  9. In Münzlegenden wurde um 1770 von Tigurinae zurück zu Turicensis gewechselt, z. B. 1767 noch DUCATUS REIPUBLICAE TIGURINAE; 1773 dann MONETA REIPUBLICAE TURICENSIS. Eines der spätesten Beispiele für Bücher mit Angabe des Druckortes Tiguri («in Zürich») stammt aus dem Jahr 1796: https://doi.org/10.3931/e-rara-86762.